Das Elbmonster. Gerner, Károly. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerner, Károly
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847643777
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oder das Gemüt in Wallung zu bringen, wenigstens aber besonnen zu unterhalten und originellen Genuss zu bewirken.

      Ich werde mich auch nicht davor scheuen, bestimmte Passagen aus meinen frühren Büchern einzubinden. Das geschieht zum einen, weil sie nicht mehr im Handel sind, und zweitens glaube ich, auch damals schon ab und an belebende Gedanken verkündet zu haben.

      Mein ziemlich eigenwilliges Vorgehen ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich seit Langem den gesellschaftlichen Zuständen und Prozessen große Aufmerksamkeit schenke, weil ich selbst am Puls der Zeit teilnehmen möchte, um dessen Atem zu spüren. Insofern ist das Buch zum Teil auch stark politisch sowie weltanschaulich orientiert und keine durchgängige, linientreue Erzählung oder Kriminalstory.

      Unsere Erdentage eilen ohnehin in steter Veränderung von dannen. Sie gleichen wiederholt einer fortwährenden Balance zwischen Spiel und Pflicht sowie Verlangen und Wagnis. Machen wir das jeweils Beste daraus!

      2

      Abel Kager und ich erblickten im selben Jahr das Licht der Welt, er genau zwei Wochen später als ich und beide im Zeichen des Skorpions (Letzteres erscheint mir zwar absolut belanglos, ist aber für manche Leser sicherlich erwähnenswert).

      Damals, neunzehnhundertsechsunddreißig, kam das krisengeschüttelte Europa immer noch nicht zur Ruhe. Kaum waren die unsäglich schmerzhaften Wunden des Ersten Weltkrieges einigermaßen verheilt und die furchtbar bitteren Tränen der Leidtragenden halbwegs gestillt, schon formten sich erneut drohende Gewitterwolken am Himmelszelt. Sie nahmen der wunderbaren Sonne zusehends einen Teil ihrer Leuchtkraft, welche seit Urzeiten irdisches Leben spendet. Aber nur wenige Zeitgenossen auf unserem überaus faszinierenden Himmelskörper erkannten das fatale Donnergrollen als ein nahendes Unheil, gleichsam einer Apokalypse, die schon bald alles Vorangegangene an Grausamkeiten und Todesopfern (wenigstens fünfzig Millionen Seelen!) in den Schatten stellen sollte.

      Die Götter meinten es anscheinend wiederum nicht unbedingt gut mit ihren Erdenkindern und wohl am allerwenigsten mit den Bewohnern Teutonias.

      Vielleicht öffnete auch die sagenumwobene Pandora als Abgesandte des Zeus in mannigfach bewährter Tradition ein weiteres Mal ihre Büchse, um die Sterblichen für ihr sündhaftes Verhalten zu bestrafen, weil diese trotz beschenkten Verstandes sämtliche Warnungen der legendären Kassandra ein weiteres Mal in den Wind schlugen.

      Womöglich war es auch der Teufel in persona, „denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“, sagte bereits Mephisto zu Faust.

      Wie dem auch sei, ein jeder urteile nach eigenem Gutdünken, zeige sich jedoch stets aufgeschlossen für eventuelle Korrekturen!

      Indessen bekunde ich sogleich freiheraus, dass sich mir derartige Schuldzuweisungen für menschliche Konflikte und Tragödien seit Langem als vollkommen abwegig darbieten. Es sind vielmehr gesellschaftliche Ursachen, oft direkt einherschreitend mit teils stark negativ ausgeprägten Eigenschaften von Individuen, welche fortwährend irgendwelche Katastrophen heraufbeschwören. Dazu gehören vor allem die egozentrischen Machtgelüste der Stärkeren zur Unterdrückung und Ausbeutung anderer, was zwangsläufig soziale Ungerechtigkeit zur Folge hat, obendrein angespornt durch blindwütigen religiösen oder politischen Fanatismus und dieser wie eh und je gepaart mit garstiger Intoleranz. Hinzu kommen Begehrlichkeiten diverser Art, ferner Missgunst, Rachsucht sowie die maßlose Selbstüberschätzung bestimmter Subjekte.

      Das sind meines Erachtens die maßgeblichen Triebkräfte des Bösen, und sie wirken heute nicht anders als früher. Allein wenn wir uns die laufenden Vorgänge im Weltgeschehen kritisch ins Blickfeld rückten, hätten wir bereits genügend geistigen Zündstoff.

      Diesen jetzt zu entfachen, dürfte momentan wohl kaum jemanden ernsthaft nötigen. Darum wieder schnurstracks zurück zum Ausgangspunkt meiner Schilderungen!

      Als Abel und ich 1936 geboren wurden, tobte in Spanien ein abgründig grausamer Bürgerkrieg, und deutsche Verbände testeten an der Seite dortiger Faschisten ihre neuen Waffen („Legion Condor“). Es kämpften indessen auch viele Freiwillige (circa 60.000!) aus allen Herren Ländern gegen die aufkommende Franco-Diktatur. Darunter befanden sich solch namhafte Persönlichkeiten wie George Orwell, Egon Erwin Kisch, Ernest Hemingway, Ilja Ehrenburg, Hans Beimler und André Malraux. Ihr dort gezeigter Heldenmut war allerdings vergebens, sofern man vom weithin leuchtenden Fanal jener heroischen Aktionen einmal absieht (der auserlesen talentierte Schriftsteller Ken Follett setzte ihnen sowie dem spanischen Volksheer mit dem zweiten Teil seiner im September 2012 erschienen Jahrhundert-Saga „Winter der Welt“ ein überwältigendes literarisches Denkmal).

      Ähnlich in Germanien: Überaus blindwütige Nationalsozialisten schickten sich an, das Tausendjährige Reich zu errichten, konzentrierten ihre Kräfte jedoch zunächst auf den bevorstehenden irrsinnigsten Waffengang aller Zeiten. Dafür diente ihnen das fraglos schändliche Friedensdiktat der Siegermächte von 1919 als willkommener Vorwand. Unter der Ägide ihres vom manischen Cäsarenwahn befallenen Führers Adolf Hitler machten sie sich also ans Werk, um die „Schmach von Versailles“ gezielt und ebenso unerbittlich zu vergelten. Doch es kam weit schlimmer, denn nie zuvor ward ein derart bestialisches Völkermorden inszeniert. Die verbrecherische Elite der „reinrassigen Arier“ vermochte etwas zu bewirken, das in der gesamten Menschheitsgeschichte seinesgleichen sucht und glücklicherweise nicht findet. Dabei hatte sie auch zahlreiche Befürworter sowie aktive Förderer, vornweg durch Rüstungsindustrielle, Teile der Finanzoligarchie und andere Monopolhaie.

      Und kaum waren die Nazis zur Macht befördert, gewährten sie Heiratswilligen ein zinsloses Ehestandsdarlehen von bis zu eintausend Reichsmark. Das feierliche Ja-Wort verpflichtete daraufhin die Braut, ihren Arbeitsplatz aufzugeben und Kinder zu gebären (Frauenemanzipation war für Hitler ohnehin eine jüdische Marotte). Nach jedem frischen Sprössling erließ man den betreffenden Eheleuten fünfundzwanzig Prozent der vom Staat dargebotenen Summe. Mit der vierten Geburt war die Mutter schließlich „abgekindert“, wie man es treffend im Volksmund nannte.

      Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass selbst die XI. Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, welche für die Sportler der Gastgeber überragende Erfolge brachten, von den erkorenen Leitwölfen der frenetischen braunen Horden sogar als internationale Tribüne für ihre Zwecke missbraucht wurden, indem man deutsche Frauen gezielt dazu aufrief, emsig für mehr Nachwuchs im Lande zu sorgen.

      Ach, wenn alle heutigen Mitbürger wenigstens einen blassen Schimmer davon hätten, was damalige Machthaber mit ihrer Familienpolitik tatsächlich beabsichtigten!

      Dem „Führer“ und seinen Schergen ging es in besagter Hinsicht allein darum, „deutschblütige und erbtüchtige“ Eltern anzufachen, damit sie dem Regime genügend Kanonenfutter für die beabsichtigten Eroberungskriege lieferten. Waren Frauen und Männer indessen von Erbkrankheiten geplagt, drohte ihnen obendrein Zwangssterilisierung und den betroffenen Kindern Euthanasie (bewusste Herbeiführung des Todes). Handelte es sich gar um Menschen jüdischen Glaubens, wurden sie in Konzentrationslager getrieben, was gemeinhin ihr physisches Ende bedeutete.

      Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde übrigens schon im Juli 1933 vom Deutschen Reichstag beschlossen, und es trat bereits Anfang 1934 in Kraft. Damit überantworteten die neuen politischen Herrscher eine ungeheure ethische Last den Ärzten, weil diese fortan verpflichtet waren, „mögliche Erbdefekte“, die sie bei ihren Patienten oder deren Familien vermuteten, den zuständigen Ämtern zu melden. Namentlich der Hausarzt sollte „Hüter am Erbstrom der Deutschen“ sein, wie es offiziell lautete. Sonach oblag es in erster Linie ihm, entsprechende Anträge an das Erbgesundheitsgericht zu stellen. Befand man dort, dass ein Mensch „erbkrank“ war, wurde er sterilisiert, selbstredend auch gegen seinen Willen. Und es gab durchaus genügend Leute, die wenig oder keinerlei Skrupel hatten, der inhumanen Order nachzukommen.

      Sachbezogen wäre hier allerdings einzuräumen, dass die Zwangssterilisation keine Erfindung der Nationalsozialisten war. Sie wurde beispielsweise in den USA oder Dänemark wesentlich früher praktiziert, aber in Deutschland besonders radikal durchgesetzt. Daher wird es kaum jemanden überraschen zu erfahren,