Unsere besorgten Eltern hingegen reagierten darauf stets mit den Standardsätzen: „Das muss vielleicht sein. Es soll euch helfen!“ Kein einziges Mal äußerten sie sich während unserer Anwesenheit gegen die soeben erwähnten harten Erziehungsmethoden. Schließlich hielten wir das für völlig normal und klagten fortan niemals mehr darüber. Hinzu kam, dass wir unseren Lehrer trotz seines derartig strengen Durchgreifens und seiner ziemlich kümmerlichen Erscheinung im Grunde genommen doch respektierten und teilweise sogar aufrichtig mochten, vornweg wahrscheinlich wegen seines umfangreichen Wissens, wovon er uns fortwährend überzeugte.
Wir kannten ja auch keinen anderen, bis eines Tages regelrecht ein Wunder geschah, weil das „gescheite Hutzelmännchen“, wie ihn die Einheimischen sowohl anerkennend und ebenso etwas spöttisch unter vorgehaltener Hand oftmals nannten, urplötzlich verschwand, als wäre er für alle Zeiten vom Erdboden verschlungen worden, wofür sich vorerst natürlich keinerlei stichhaltige Erklärung fand. Das ereignete sich im Oktober 1946.
Nach ungefähr drei Wochen muss es Zeus höchstpersönlich gewesen sein, der uns ein göttliches Wesen sandte, von allen seinen Töchtern wohl die klügste und attraktivste, die er jemals in seinem Reich auf dem Olymp gezeugt hatte.
Wir verehrten die neue Pädagogin von Anfang an wie eine heilige Ikone. Sie war ungemein faszinierend, weil ausnehmend klug, dazu bildhübsch, von feingliedriger Gestalt sowie jugendlicher Dynamik und sicherlich auch im hohen Maße gerecht, kurzum, eine von uns inbrünstig angebetete Göttin voller Anmut und Schönheit. Ich will nicht verhehlen, dass mir jenes zauberhafte Geschöpf mit seinem unsäglichen Liebreiz bisweilen schon im zarten Alter von etwa zehn Jahren in meinen nächtlichen Träumen erschien, die selbstredend überaus wonnetrunken waren. Infolgedessen wünschte ich mir damals sehnsüchtig, derart entzückende Bilder hätten sich während des Schlafens viel öfter zeigen sollen, um mich als begierigen Jüngling in einen geradezu fabelhaft genüsslichen Freudenrausch zu versetzen.
Hierauf möchte ich verallgemeinernd sogar behaupten, dass uns die Frauen auf geheimnisvoller Weise fast ein Leben lang wohltuend beschäftigen. Sie haben anscheinend die naturbedingte Veranlagung, uns Männer immer wieder zu fesseln. Goethe hat das noch schöner in Worte gefasst: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ So etwas Einzigartiges nenne ich ein Geschenk des Himmels!
Fortan gab es übrigens in unserer Schule auch keinerlei schmerzhafte Bestrafungen mehr. Wir Jungen erhielten zwar hin und wieder eine leichte Kopfnuss, doch auch das empfanden wir als eine außerordentlich wohltuende Berührung, mit der wir leider viel zu selten beschenkt worden sind. Kurzum, wir lernten tatsächlich der Lehrerin zuliebe. Ich habe es selbst anderthalb Jahre lang erlebt und weiß, wovon einst der namhafte deutsche Pädagoge Salzmann sprach („Die Sympathie ... “). Das ist meines Erachtens eine geradezu phänomenale Grundlage für bleibende Erfolge in einem solchen Beruf.
Auch innerhalb unserer Dorfgemeinschaft erfuhr die erhabene Madonna generell höchste Anerkennung. Man begegnete ihr in jeder Hinsicht mit gebührendem, partiell schon fast an Unterwürfigkeit grenzendem Respekt, wenn auch überwiegend mit spürbarer Distanz, kam sie doch aus einer anderen Welt, falls nicht gar von einem fremden Stern. Sie war für uns die sichtbare Verkörperung von weiblicher Grazie, bewundernswerter Intelligenz und ehrsamer Redlichkeit in einem, eine Art Personifikation von denkbar menschlich Gutem und Schönem, eine phänomenale, nahezu himmlische Erscheinung. Ihrem überwältigenden Charme konnte sich keiner entziehen. Die grenzenlos bezaubernde Lady verfügte offenbar über die edelsten und vielfältigsten Waffen einer Frau, die sie auch redlich nutzte.
Zwischenruf: Ich vertrete seit Langem und heute mehr denn je die Auffassung, dass auch femininer Liebreiz stets relativ bleibt. Mit anderen Worten: Evastöchter, deren Trumpf sich einzig und allein auf ihr faszinierendes Aussehen beschränkt, waren und sind für mich wohl selten die attraktivsten, soll heißen, der Kopf (Verstand, Charakter) ist mir wichtiger als der Busen oder sonstige Äußerlichkeiten (denn sobald man sie etwas näher kennenlernt …). Das dürfte umgekehrt nicht wesentlich anders sein: Männer, die nur ihre Muskeln trainieren, führen ein armseliges Leben.
Gleichwohl soll hier keinesfalls bestritten werden, dass Schönheit stets eine besondere Wirkung in uns auslöst. Wie sonst wäre beispielsweise zu erklären, dass sich nicht wenige junge Frauen mittels ihrer speziellen Verlockung buchstäblich nach oben „schlafen“, statt sich durch Talent und Fleiß hochzuarbeiten. Dies gilt offenkundig für die Film- und Fernsehbranche, aber beileibe nicht nur dort. Na ja, wenn’s denn Spaß macht und sogar hilft.
Und nun wieder avanti!
Lediglich der Religionsunterricht wurde nicht von unserem abgöttisch verehrten Idol erteilt. Eigens dafür kam ab März 1947 einmal pro Woche ein junger Priester von der übergeordneten Gemeinde zur Bildungsstätte nach Kispuszta, um wiederum sämtliche Schüler gleichzeitig in Glaubenslehre zu unterweisen.
Dabei erinnere ich mich heute noch recht bildhaft an seinen ersten Auftritt, der sich wie folgt zutrug:
Bevor wir Kinder ausnahmslos seinen verlockenden Worten inbrünstig zu lauschten vermochten, bewunderten die meisten von uns wohl besonders auffallend seine Tonsur, eine kreisrund geschorene Stelle auf dem Hinterkopf des Geistlichen, deren Sinn zumindest einigen Pennälern, darunter auch mir, bis dato völlig unbekannt war und demzufolge überaus rätselhaft erschien. Natürlich bemerkte er sofort unsere spezielle Neugierde, denn wir sahen ja fast wie gebannt auf den im Durchmesser etwa sieben oder acht Zentimeter großen Fleck, wo sich normalerweise ein Wirbel befindet, zumal sein Haupt ansonsten von einer opulenten Haarpracht geschmückt war. Folglich erklärte er sogleich die eigentümliche Bewandtnis des damals noch üblichen Tonsurierens, indem er uns halbwegs plausibel veranschaulichte, dass es sich um ein traditionelles Standeszeichen für katholische Mönche und eben auch Kleriker wie ihn handle, ähnlich einem Ehrendkodex.
Schon drei Tage später überraschte uns allesamt ein argloser Frechling mittels einer kahl geschorenen Stelle auf seinem kindlichen Nischel, wenngleich eher im Zickzack als schön kreisförmig ausgeführt. Anscheinend wollte er nicht bloß Aufsehen erregen, sondern obendrein möglichst auch noch zur Kaste der Erlauchten gehören. Stattdessen erntete er fortan nur Hohn und Spott von uns Mitschülern. Der über alle Maßen blamierte Junge war garantiert heilfroh, nachdem die kahle Stelle wieder zusehends von seiner bewusst verunzierten Birne verschwand. Die Blamage ward damit freilich nicht gelöscht (ja, so läuft das manchmal, ein passendes Missgeschick, und du hast zeitlebens die Lacher auf deiner Seite).
Im Vergleich dazu bildete die stets sauber geschorene Tonsur des Kaplans einen nachhaltigen Blickfang. Zudem verliebte er sich bald in die ungemein betörende Lehrerin, so unsere einstige Auffassung, was danach bei den üblichen Dorfgesprächen regelrecht zum Dauerbrenner wurde, weil es buchstäblich jeden interessierte.
Die einschlägige Beobachtung entsprach jedoch nicht ganz den Tatsachen, denn beide waren bereits seit Jahren miteinander eng verbunden, und sie hatten sogar zwei gemeinsame Söhne, nämlich Abel und Peter. Das erfuhren wir allerdings erst während unserer späteren Fahrt nach Deutschland, welche zu den ohnehin scheußlichen Umständen noch recht merkwürdig verlief, denn eine schier unglaublich düstere Prophezeiung beeinflusste mein weiteres Leben ebenso nachhaltig wie das meiner künftigen Weggefährten. Und das Fatalste daran ist, dass sie sich nach nunmehr gut sechzig Jahren jeden Moment bewahrheiten könnte, falls nicht noch ein befreiendes Hexenwerk geschieht.
Doch halt, verehrte (Krimi-)Freunde!
Mittlerweile