Das Elbmonster. Gerner, Károly. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerner, Károly
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847643777
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erst recht nicht. Sie verursachen gelegentlich eher ein ungläubiges Kopfschütteln oder gar Zornesfalten auf meiner Stirn als ein aufrichtiges Mitgefühl.

      Wer sich auch damit anfreunden kann oder es wenigstens toleriert, dürfte von dieser Publikation nicht enttäuscht werden. Das hoffe ich jedenfalls.

      Jetzt aber Schluss mit diesem seitenlangen Geplauder und wieder stracks hin zum eigentlichen Anliegen!

      Schauen wir zunächst gemeinsam auf die beiderseitige soziale Herkunft, um eine weitgehend sichere Grundlage für all das zu schaffen, was uns noch an Unwägbarem bevorsteht. Das bleibt ohnehin überaus rätselhaft.

      4

      Im Unterschied zu Abel standen an meiner Wiege keine anmutigen Grazien und erst recht nicht der praktisch über alles gebietende Mammon. Für die weitere Laufbahn des Heranwachsenden sind das jedoch fast zu allen Zeiten und beinahe an jedem Ort ebenso bedeutsame Voraussetzungen wie bestimmte genetische Faktoren (von zufälligen Glücksumständen einmal abgesehen). Bildung und Erziehung haben dann die Funktion, die entsprechenden Möglichkeiten aufzuspüren und zielgerichtet zu nutzen, um sowohl Wissen als auch Können und Überzeugungen zu vermitteln. Dazu kommt die mehr oder weniger beabsichtigte Anerziehung von moralischen Werten. Falls sich das noch durch die sinnbildliche Erfahrung des großen deutschen Pädagogen Salzmann (1744 bis 1811) ergänzt, dass „die Sympathie zum Lehrer dem Stoff goldene Brücken schlägt“, erweisen sich die Bedingungen für das Gedeihen des Zöglings als nachgerade perfekt.

      Für unseren rätselhaften Freund Abel, der gewiss noch für manche Verwunderung sorgen wird, traf das während seiner Kinderjahre im hohen Maße zu. Seine Eltern waren nicht unbedingt reich, aber durchaus wohlhabend, weil beide von ihrer stammeshauslichen Herkunft schon relativ früh gut ausgestattet.

      Bei uns hingegen dominierte überwiegend der garstige Bruder Schmalhans, ein nahezu ständiger Mangel an irgendwelchen materiellen Gütern, insbesondere Lebensmitteln. Deshalb ist mir noch bestens in Erinnerung, was es sinnbildlich heißt, am Hungertuch zu nagen, quasi des Öfteren unfreiwillig zu fasten.

      Während sich meinem Vater die bisweilen holde Göttin Fortuna insofern einmal recht gewogen zeigte, als er zumindest eine vierjährige Schulbildung genießen durfte, blieb unserer ausnehmend fürsorglichen Mutter in ihrer Kinder- und Jugendzeit selbst das strikt verwehrt. Sie war mehr als zwei Jahrzehnte lang Analphabetin, gleichwohl nicht ungebildet, denn sie verfügte über ein erstaunliches Erfahrungswissen, stets aufs Engste verknüpft mit einer phänomenalen Warmherzigkeit.

      Im Übrigen halte ich die Annahme, dass nach mangelhaftem Besuch von grundlegenden Lehranstalten die Betreffenden notgedrungen dumm bleiben müssen, für einen weitverbreiteten Irrglauben (was sich selbstverständlich nicht gegen die planmäßige Absolvierung von Bildungsstätten richtet). Es sei hier nur auf Thomas Alva Edison (1847 bis 1931) verwiesen, wohl einer der nützlichsten Bürger von ganz Amerika und der Menschheit schlechthin, dessen unmittelbare Schulbildung äußerst dürftig ausfiel, weil er einfach keine Lust dafür verspürte. Allerdings konnte ihn hernach seine Mutter, von Beruf Lehrerin, unter ihre Fittiche nehmen. Der später überaus tüchtige Mann brachte es immerhin fertig, über zweitausend Patente anzumelden.

      Leistung erwächst eben stets aus dem harmonischen Dreiklang von Begabung, Motivation und der realen Möglichkeit. Was für ein grandioser Erfindergeist! Ich verneige mich gern und voller Respekt vor solch überragenden Persönlichkeiten.

      Doch auch meinen Eltern gegenüber empfinde ich fortwährend dankbare Bewunderung, obgleich auf ganz anderer Ebene. Abgesehen davon, dass ich sowieso meine, wer Vater und Mutter nicht ehrt, ist meist selbst des nachhaltigen Beachtens nicht wert (auch hier gibt es begründete Ausnahmen!), haben sie Taten vollbracht, die man im Nachhinein allenfalls mit sichtlichem Staunen Revue passieren lässt.

      Wenn ich gelegentlich meinen Kindern und Enkeln davon erzähle, fühlen sie sich regelrecht in eine Märchenwelt hinein versetzt oder glauben gar, ich hätte dereinst noch unter urgesellschaftlichen Verhältnissen gelebt.

      Sicher, wir hatten damals weder elektrischen Strom (bei Dunkelheit zauberte eine Petroleumlampe etwas Licht in die karge Behausung), ergo auch kein Radio, geschweige denn Fernsehen oder sonstige moderne Informationsmittel, noch Anschluss an ein öffentliches Wassernetz beziehungsweise überhaupt kaum Teilhabe an zivilisatorischen Errungenschaften. Sie kamen uns so gut wie nie zu Gesicht, mit Ausnahme von einigen Arbeitsgeräten und vereinzelt auch Kleidungsstücken, die wir hin und wieder gegen selbst erzeugte Produkte, vornehmlich Korbwaren, auf Wochenmärkten oder bei umherziehenden Händlern eintauschten.

      Geld war uns zwar nicht völlig fremd, aber wir besaßen denkbar selten etwas davon, und wenn doch, so stets in äußerst dürftigen Mengen. Daher hatten unsere Eltern auch nur sehr sporadisch eine minimale Chance, beispielsweise spezielle technische Erzeugnisse, die zeitgemäß waren, zu erwerben, um sie in ihrer kleinbäuerlichen Wirtschaft für einen effektiveren Stoffwechselprozess mit dem vorhandenen geografischen Milieu oder andere Zwecke sinnvoll zu nutzen.

      Natürlich besaßen wir Kinder auch keinerlei gekauftes Spielzeug. Langeweile kam trotzdem nicht auf, denn wir konnten uns selber helfen. Not macht bekanntlich erfinderisch. Außerdem hatten wir auch von klein auf regelmäßig bestimmte Pflichten zu erledigen. Und soweit ich mich entsinne (mein Langzeitgedächtnis funktioniert noch recht gut), erschien uns das keineswegs oder nur selten als frustrierend. Es erfüllte uns vielmehr mit sichtlichem Stolz, unseren eigenen Beitrag zum Wohle der Familie leisten zu dürfen, indem wir uns gemäß unserer individuellen Kräfte beispielshalber um die verschiedenartigen Haustiere kümmerten. Da gab es immer reichlich zu tun. Aber wir hatten auch oftmals Freude daran und irgendeinen Nutzen sowieso, bis hin, dass ich später in Deutschland schon mit vierzehn Jahren vollkommen selbstständig war. Dies ist keineswegs übertrieben, was entsprechende Zeugen sicherlich anstandslos bestätigen würden.

      All das wird schnell verständlich und daher auch leicht nachvollziehbar, sobald man weiß, dass meine Eltern mit leiblichem Nachwuchs sattsam gesegnet waren. Insgesamt acht Kinder brachte unsere Mutter zur Welt. Zwei davon habe ich freilich niemals gesehen (auch nicht auf einer Fotografie, denn so etwas kannten wir damals noch nicht), weil sie bereits starben, bevor ich als sechster Sprössling geboren wurde.

      Bisweilen vernehmen wir die frappierende Mitteilung, dass irgendwo auf afrikanischem Terrain bäuerliche Familien eine gewisse Kinderschar haben müssen, welche eigens im Sinne möglicher Arbeitskräfte gezeugt wird, um dem wenig fruchtbaren Boden gemeinsam zumindest das Notwendigste abzugewinnen, damit sie überleben.

      Mit anderen Worten: Sie sind zu arm, sich nur eine geringe Zahl an Nachwuchs leisten zu können, das heißt, als Kleinfamilie würden sie allesamt glattweg verhungern.

      Zudem ist uns wahrscheinlich bekannt, dass es innerhalb früherer Sippschaften durchaus vorkam, Alte, Schwache und unheilbar Kranke einfach sterben zu lassen oder mitunter sogar absichtlich zu töten, weil sie zum weiteren Bestand der Großfamilien selbst nichts mehr beitragen konnten und damit letztlich die physische Existenz aller gefährdeten.

      Das klingt zwar furchtbar brutal, spielte sich aber in manchen Gefilden teilweise so oder ähnlich ab.

      Derart archaisch ging es während meiner Kinderzeit indessen gottlob nicht zu, obwohl wir als Familie weitestgehender Selbstversorgung, abseits von größeren Ortschaften, unser ohnehin kümmerliches Dasein in materieller Hinsicht überwiegend eher schlecht als recht fristeten. Dennoch wäre es falsch zu behaupten, wir hätten niemals das wunderbare Gefühl persönlicher Zufriedenheit verspürt. Allein wenn ich daran denke, wie glücklich wir sein konnten, sobald uns die Mutter ein besonders schmackhaftes Essen bereitete oder uns ein Stück vom Kuchen gab, den sie extra backte, um uns zu erfreuen, wird die naheliegende Vermutung vom ständigen Verhärmtsein, welches uns die mannigfachen Kümmernisse zwangsläufig aufgebürdet haben müssten, bereits widerlegt. Auch wenn wir gewissermaßen nichts zu lachen hatten, war es uns trotzt allem oftmals ein Herzensbedürfnis, es zu tun, mithin wesenseigen. Außerdem streichelten uns die Eltern wiederholt mit einem anerkennenden Blick oder durch ihr aufmunterndes Lächeln, selbst wenn sie die unaufhörlichen