REJ - Der spezielle Gefangene. Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741896453
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werde versuchen, Ihnen so gut wie möglich zu helfen."

      Noah war sich nicht sicher, aber er glaubte. so etwas wie Unbehagen unter einer vorgeschobenen Maske von Gelassenheit bei dem Widerständler zu erkennen. Dass ihm ein Fremder so nahe kam und dabei um Erlaubnis bat, war etwas, dass er wohl nicht kannte. Es schien so, als sei ihm die Art von Kontakt unangenehmer, als die grobe ungefragte Behandlung durch die ShaoSetFai. Doch der Gefangene nickte schließlich erneut und gab dem Pfleger seine Zustimmung. "Ich werde Sie jetzt berühren, ok?", erklärte Sajan seine nächste Handlung. Langsam streckte er seine Hand nach dem Song-Kommendan aus und legte sie ihm dann sanft auf seinen Unterschenkel. Der Medic war am Vortag mit ihm die in der Gerichtsakte notierten Verletzungen des speziellen Gefangenen durchgegangen und so wusste Sajan, wo er diesen berühren konnte, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. "Gut", führte er weiter aus, "spüren Sie das?"

      "Ja", antwortete Rej leise. Der Pfleger hatte eine Art an sich, die den Gefangenen verletzlich und nachdenklich werden ließ. Hatte der Widerständler zuvor sogar noch über seine eigene Hinrichtung lachen können, wirkte er nun von der Sanftheit und Zugewandtheit extrem eingeschüchtert. Sajan erhöhte ein wenig den Druck auf dessen Bein, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich besser auf den ungewohnten Körperkontakt einzustellen. "Sie spüren die Berührung an Ihrem Bein, aber Sie können Ihre Beine nicht bewegen?", fragte er währenddessen interessiert nach. Noah beobachtete neugierig, wie Sajan mit dem Verletzten umging. Er erinnerte sich daran, dass es auch mal eine Zeit gegeben hatte, in der er einfühlsam mit seinen Patienten umgegangen war. Allerdings erschien es ihm wie eine Ewigkeit, wie aus einem anderen, weit entfernten Leben. "Teile seines Rückenmarks wurden verbrannt und das Nervensystem dabei schwer geschädigt", beantwortete der Medic für den Gefangenen die Frage. "Herr Lio'Ta wird nie mehr laufen können. Helfen würde möglicherweise nur eine Nervenrekonstruktion oder ein elektronischer Ersatz, aber das rentiert sich für ihn nicht mehr."

      Die beiden Häftlinge warfen Noah einen überraschten Blick zu, dann sahen sie sich gegenseitig verdutzt an. "Das hat er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?", fragte Sajan entsetzt den vor ihm liegenden und seine Augen wanderten zwischen den beiden Männern irritiert hin und her. Die Augen des Doktors hatten sich geweitet und er hob die Hand erschrocken zum Mund. Es war ihm fürchterlich unangenehm, dass er erneut so taktlos vor sich hin geredet hatte. Vielleicht arbeitete er schon zu lange für solche Einrichtungen.

      "Der Punkt geht wieder an Sie, Doktor", meinte Rej aber nur lächelnd. "Das rentiert sich wirklich nicht mehr." Durch seinen Fauxpas schien der Terroristenanführer wieder zurück zu seiner gelassenen Selbstsicherheit gefunden zu haben und das machte es für Noah nicht ganz so peinlich und er lächelte unglücklich zurück. "Ich mache das nicht mit Absicht", versicherte er.

      "Na wunderbar", meinte Sajan ebenfalls grinsend und nahm seine Hand vom Bein des anderen Gefangenen. "Dann packen wir mal an." Er stand auf und trat an das Kopfende der Liege, schob den Roboterarm des Scanners zur Seite, als fühle er sich hier gänzlich zuhause. Noah desinfizierte sich die Hände und zog sich dann Handschuhe über.

      "Ich werde jetzt mal einen Blick auf ihre Wunden werfen, Herr Lio'Ta", kündigte er an und zog sich einen Stuhl heran. "Die Verbände sehen nicht mehr gut aus. Die wurden jetzt wie lange nicht mehr gewechselt? Hat sich da irgendjemand während Ihres Aufenthaltes im Gerichtsgebäudes darum gekümmert?"

      Der ehemalige Anführer der Terrorgruppe schüttelte den Kopf. "Seit meiner Festnahme nicht mehr." Er wirkte nun wie ein verwundetes Tier, dass in die Enge getrieben worden war, als sich die zwei Männer von beiden Seiten näherten. Auch der Pfleger zog sich Handschuhe über, als er jedoch Rejs Skepsis bemerkte, suchte er erneut den direkten Blickkontakt zu ihm. "Sicherlich, es wird weh tun, aber es ist notwendig, Rej, und danach werden Sie sich besser fühlen. Sie sind ein harter Kerl und Sie haben schon Schlimmeres überstanden."

      Noah nickte Sajan zu und dieser reichte ihm eine Schere. "Als erstes werden wir Sie von Ihren Kleidern befreien. Im Anschluss bekommen Sie dann sowieso die Häftlingskleidung. Halten Sie bitte still." Er nahm den grauen Stoff des schmutzigen Pullovers zwischen die Finger und begann ihn behutsam an der Vorderseite aufzuschneiden. Der andere Mann hob währenddessen so vorsichtig wie möglich den geschienten Arm ein Stückchen an, um dem Arzt mehr Bewegungsspielraum für die Schere zu geben. Der Patient schien allein schon durch die veränderte Position des Armes verstärkt Schmerzen zu verspüren, aber mit eiserner Miene hielt er sie zurück. Noah trennte den Stoff vom Kragen am Ärmel entlang bis zum Handgelenk auf und sein Helfer zog das zerschnittene Kleidungsstück zur Seite. Darunter kamen Haufenweise Verbände zum Vorschein, die den rechten Arm, die Schulter und große Teile des Torsos, besonders auf der rechten Seite, bedeckten. Die Haut, die dazwischen hervor schien, war teilweise stark gerötet, Leichenblass, oder schimmerte in allen Farben von Blutergüssen und Hämatomen. Die Bandagen waren an einigen Stellen verrutscht, saßen nicht mehr fest an Ort und Stelle, oder hatten sich zusammengeschoben und schnitten unangenehm in die Haut ein. Eiter und Blut hatte sie bräunlich gefärbt und starr werden lassen. Die Schiene an seinem Arm saß ebenfalls nicht mehr richtig und erfüllte auch nicht mehr ihren Zweck.

      Der Medic verzog das Gesicht. "Das muss ja weh tun", meinte er einfühlsamer, als er es sonst von sich selbst kannte. "Diese Verbände richten mehr Schaden an, als dass sie was nutzen." Er legte die Schere zur Seite und machte sich dann langsam an dem Verschluss der Armschiene zu schaffen. Vorsichtig zog er das nutzlose Plastikteil von Rejs Arm und legte die darunterliegende silberbeschichtete Wundauflage frei. Als die beiden Männer begannen, die antiseptischen Verbände von der verbrannten Haut zu lösen, drückte der Verletzte sein Gesicht in das Kissen unter sich, um sich selbst am Schreien zu hindern. Noah hatte schon einige Brandwunden gesehen, hatte auch am eigenen Leib schon spüren müssen, wie schmerzhaft diese sein konnten, aber so etwas hatte er bis jetzt noch nicht vor die Augen bekommen. Der Unterarm war bis zu dreißig Prozent verkohlt, vom Rest war die Hälfte mit tiefen Verbrennungen übersät, der Ringfinger und der kleine Finger sowie deren Mittelhandknochen fehlten völlig. Der Mediziner, der sich vor Lio'Tas Festnahme um die Wunden gekümmert hatte, hatte zudem einige der Muskeln komplett entfernt und versucht, das tote Gewebe vom noch zu Rettenden zu trennen. Aber durch die groben Behandlungen der letzten Tage bei Gericht, wo wenig Rücksicht auf den bedenklichen Zustand des Gefangenen genommen worden war, war kaum Heilung eingetreten.

      "Ohne den Arm wäre er wahrscheinlich besser dran", murmelte Noah vor sich hin, als er die zerstörte Gliedmaße begutachtete. "Die Nekrose vergiftet noch seinen Körper. Aber ich darf hier keine Amputation vornehmen. Das muss auch so gehen."

      Sie spülten die verbrannte Haut und versorgten sie dann mit einer hochwertigen silberbeschichteten Wundauflage. Noah schüttelte immer wieder den Kopf. Ihn beschäftigte der Gedanke, dass sich niemand, während der Prozess gegen den Terroristenanführer noch gelaufen war, um den Gesundheitszustand des Angeklagten gekümmert hatte. In diesem Fall wäre ein Freispruch oder ein Justizirrtum höchst unwahrscheinlich gewesen, aber er fragte sich, ob in anderen, weniger klaren Fällen ebenso menschenverachtend mit den Angeklagten umgegangen wurde.

      Sajan war ihm eine große Hilfe. Er wusste genau, wo er unterstützend hin greifen musste und wie er die Belastungen für den geschundenen Körper des Mithäftlings am geringsten halten konnte. Der XSF-Medic passte diesem eine neue, besser sitzende Armschiene an, die am Ellenbogen abgewinkelt war und das übriggebliebene Gewebe zusammen hielt. Als er sich den bandagierten und gestützten Arm betrachtete, war er sehr zufrieden mit der Arbeit. Wenn die Bandagen regelmäßig gewechselt und die Wunden sauber gehalten wurden, dann bestand zumindest die Möglichkeit, dass sich ein Teil des Gewebes wieder regenerierte. Dann legten die beiden erst einmal eine Pause ein und säuberten ihre Hände, wechselten die Handschuhe. Der Gefangene konnte die Zeit nutzen, um sich von der Pein zu erholen.

      Sajan ging erneut vor ihm in die Hocke und legte ihm behutsam die Hand auf das selbe Bein wie vorhin. "Sie haben es bald geschafft", versicherte er dem Patienten mit ruhiger Stimme. "Sie halten sich gut, Rej. Das sind wirklich üble Verletzungen, aber wir kriegen das in den Griff, ok?"

      Das Gesicht des ehemaligen Song-Kommendan war bleich und wächsern, der Gesichtsausdruck der einer starren Maske. "Ok", keuchte er. Seine Stimme war schwach und zittrig.

      "Normalerweise gibt man für so eine Prozedur Schmerzmittel", meinte Noah zu den beiden, "aber mir