REJ - Der spezielle Gefangene. Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741896453
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einer Weile machte sein schlaksiger schwarzhaariger Pflichtverteidiger mit einem dezenten Räuspern auf sich aufmerksam. Widerwillig hob der Gefangene die Lider und blickte in die verschwommenen Gesichtszüge des nervösen Mannes. "Was wollen Sie?", flüsterte er müde, mit leicht gereiztem Unterton.

      Der Solicidan, Tela Enika, kratzte sich verlegen am Kopf und hielt ihm dann ein Glas vor die Nase. "Ich... ich habe Ihnen etwas zu trinken geholt, Herr Lio'Ta", stotterte er unbeholfen. "Sie sehen sehr erschöpft aus."

      "Ich hab' leider keine Hand frei, Tela", gab er zurück, obwohl er es nett von dem jungen Mann fand, dass er sich um ihn bemühte.

      "Ich... ich könnte es Ihnen halten", bot dieser nun noch unsicherer an und schob seine zitternde Hand mit dem Gefäß etwas näher. Der Angeklagte fragte sich, ob der junge Verteidiger nur vor Aufregung zitterte, oder weil er Angst vor ihm hatte. Obwohl er das selbst als unnötig empfand, hätte er dies trotzdem verstanden. Ja, in Xiantiao erzählten manche tatsächlich herum, dass er aus Spaß Kinder bei lebendigem Leibe grillte. "Das wäre sehr nett von Ihnen.".

      Seine Hals brannte wie Feuer, als das Wasser seine Kehle hinab rann. Er fühlte sich wie eine Wüste, innerlich ausgetrocknet und verdörrt, und obwohl das Schlucken schmerzte, genoss er es, endlich seinen Durst löschen zu können. "Danke", keuchte er, als das Glas leer war und der Solicidan es neben sich auf das Verteidigerpult stellte. Als Tela sich nicht entfernte, war dem Gefangenen klar, dass das noch nicht alles gewesen war.

      "Ich... ich...", fing Enika erneut unbeholfen an. Dass ihm extrem unwohl dabei war, konnte der Angeklagte sogar mit seinen beschädigten Augen sofort erkennen. Der Norm hatte kalten Schweiß auf der Stirn stehen und seine Finger kneteten ständig an seinen Handballen herum. Schließlich hielt er plötzlich ganz still, dann quoll es aus ihm heraus, was ihm auf dem Herzen lag. "Herr Lio'Ta, ich konnte Sie nicht besser verteidigen - das wissen Sie! Ich bin nur Ihr Pflichtverteidiger und Sie ein Terrorist. Aber die Sache ist die:", er rieb sich nervös über die Nase, "ich konnte es nicht, nein, ich durfte es nicht. Sie... verstehen Sie, was ich sagen will...?"

      Das Herumgestottere war zwar nicht sonderlich deutlich, aber der Angeklagte verstand sofort, um was es dem Solicidan ging. Trotz der Schmerzen, die seinen gesamten Körper traktierten, brachte er ein schwaches Lächeln zustande. "Keine Sorge, Tela, das ist mir schon klar. Unabhängig Ihrer persönlichen Motivation mussten Sie tun, was man von Ihnen verlangt." Er holte tief Luft, um dann dem jungen Kerl etwas zu verdeutlichen. "Man hat mir mit Ihnen einen der jüngsten und unerfahrensten Verteidiger zur Seite gestellt. Aber glauben Sie nicht, dass es Zufall war, dass es Sie getroffen hat, Tela." Er verfiel für ein paar Augenblicke in Schweigen, da das Sprechen zu anstrengend für ihn wurde.

      Der Schwarzhaarige beugte sich zu dem Gefangenen vor und flüsterte: "Was meinen Sie?"

      "Diese Verhandlung hier führt zu meiner Hinrichtung. Aber - das sollte Ihnen bewusst sein - es ist auch die Ihre." Er blickte zu dem Pflichtverteidiger auf und sah ihm ernst ins Gesicht. "Man hat Sie ausgewählt, weil Ihre weitere Karriere für sie unbedeutend ist. Und weil Ihre Karriere mit dem heutigen Urteil auch beendet werden wird."

      Der Solicidan runzelte die Stirn und wich ein Stück vor dem Angeklagten zurück. "Versuchen Sie nicht, mir Angst zu machen, Herr Lio'Ta. Was nützt Ihnen das denn?"

      Sein Gegenüber schüttelte leicht in Unverständnis den Kopf, schloss die Augen und lächelte erneut. "Das versuche ich nicht, Tela, ich sage Ihnen einfach nur... wie es laufen wird. Haben Sie sich nie gewundert, warum man Sie, trotz Ihrer C-Herkunft, so gefördert hat. Sicherlich auch, weil aus Ihnen ein guter Verteidiger werden hätte können. Aber vor allem, um für einen Schauprozess wie diesen ein Lamm zu haben, das problemlos geopfert werden kann. Glauben Sie, irgendwer wird sich danach noch für Sie interessieren?"

      "Lassen Sie sich keinen Unfug vom Angeklagten einreden, Herr Enika", mischte sich plötzlich die unangenehm laute Stimme des Regierungsanwaltes ein. Seine breitschultrige Silhouette war neben der Gestalt des jungen Mannes aufgetaucht und hatte diesem ganz väterlich eine Hand auf die Schulter gelegt. "Sie wissen doch, er beherrscht die Gabe, Leute in sein Geschwätz einzuwickeln, um sie für seine verächtliche Sache zu gewinnen. Habe ich nicht Recht, Herr Lio'Ta?"

      Der Gefangene verzog das Gesicht, weil der Tonfall des älteren Mannes in seinem Schädel dröhnte. "Sie dürfen... außerhalb des laufenden Prozesses... nicht mit dem Angeklagten, mit mir, sprechen", keuchte er atemlos. "Halten Sie sich gefälligst... an Ihre Regeln und Gesetze..., die Sie so sehr verehren!"

      Der Regierungsanwalt stieß einen Laut der gespielten Überraschung aus. "Ha! Sie kennen sich also doch mit den Gesetzen von Xiantiao aus, wer hätte das gedacht?" Er schnipste mit dem Finger direkt vor seinem Gesicht in die Luft. "Na, hätten Sie sich mal besser an sie gehalten!" Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand aus dem eingeschränkten Blickfeld des Gefangenen.

      Dieser hätte ihm gerne noch etwas Unschönes hinterher gerufen, aber er sparte sich den Atem lieber.

      "Ich bin kein Opferlamm!", zischte Tela Enika wütend zu ihm herüber und ließ sich hinter seinem Pult nieder, begann dann akribisch seine Unterlagen zu sortieren.

      Der Angeklagte wurde aus einem sich endlos zu wiederholen scheinendem Sekundenschlaf gerissen, als ein tiefer Signalton ankündigte, dass sich zur Urteilsverkündung versammelt werden sollte. Er hörte, wie hinter ihm die Tore geöffnet wurden und die Menschen, die zuvor den Saal verlassen hatten, in Scharen wieder herein strömten. Nun richteten sich zu den Augen des Wachpersonals auch wieder unzählige Kameralinsen auf ihn, aber das spielte kaum eine Rolle. Da er sowieso wusste, wie das Urteil aussah, da dieses keine sonderliche Überraschung mit sich bringen würde, konnten die Reporter auch nichts einfangen, was sie seiner Meinung nach nicht hätten zeigen sollen. Er würde sicherlich nicht weinen, oder um Gnade bitten - er war darauf vorbereitet, was kam.

      Auch die Staatsanwaltschaft nahm auf der Tribüne der LAAN-Akudanaies wieder Platz, die Zeugen, die zuvor ihre Aussagen gemacht hatten, reihten sich auf ihre Stühle dahinter, die Richter betraten als letzte wieder den Gerichtssaal. Kurz darauf erklang der Signalton ein zweites Mal und es wurde schlagartig sehr Stil in dem großen Raum.

      Die sechs Magister Hel erhoben sich und der Vorsitzende ergriff das Wort. "Wir möchten Sie bitten, sich zur Urteilsverkündung zu erheben." Vielfältiges lautes Rascheln signalisierte, dass die Anwesenden der Aufforderung auch nachkamen. Allein das war schon ein Witz. Zur Verkündung des Urteils sollten sich alle zu Ehren des Gesetzes von Xiantiao erheben, nur dem Angeklagten selbst, dem, den es am meisten betraf, war dies nicht möglich. Allerdings wäre es ihm auch ohne die ihn aufrecht haltenden Fesseln nicht gelungen aufzustehen.

      "Unter Hel, dem höchsten Gott der Gerechtigkeit und im Namen des einigen Volkes von Xiantiao, wird nun Recht gesprochen. Wir, die Magister Hel, sind zu folgendem einstimmigen Urteil gelangt: Der Angeklagte, Herr Rej Lio'Ta, hat sich in folgenden Anklagepunkten schuldig gemacht: Hochverrat durch die Angriffe auf den inneren Bestand und die verfassungsmäßige Ordnung Xiantiaos, Teilnahme an Kriegshandlungen gegen Xiantiao, Versuch des Sturzes der Regierung und versuchter Mord an der AneLAAN. Friedensverrat durch die Vorbereitung und Aufstachelung Dritter zu einem Angriffskrieg, Landesverrat durch Spionage, sowie Gründung und Leitung einer terroristischen Vereinigung."

      Es bereitete ihm große Mühe, aber der Gefangene sah dem vorsitzenden Richter, während dieser sprach, permanent in die Augen. Er würde das Urteil sicher nicht mit Demut entgegen nehmen, sondern so aufrecht, wie ihm nur möglich.

      "Zudem ist er in den weiteren Punkten für schuldig zu erkennen: Verbreitung von Propagandamitteln einer verfassungswidrigen Organisation, Agententätigkeiten zu Sabotagezwecken und verfassungsfeindliche Sabotage, verfassungsfeindliches Einwirken auf die öffentlichen Sicherheitsorgane und die ShaoSetFai. Das Auskundschaften und Offenbaren von Staatgeheimnissen, Nötigung von Verfassungsorganen, Nötigung des Gouverneurs und von Mitgliedern der AneLAAN, Störung der Tätigkeiten der AneLAAN, Wahlbehinderung, Abgeordnetenbestechung, Störpropaganda gegen die ShaoSetFai, Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln."

      Der Angeklagte fragte sich, wie viele der genannten Punkte auf jeden einzelnen der AneLAAN zutraf oder auch nur auf jeden einzelnen der Magister Hel. Aber dies