Joe sprach sie an und Chris wandte sich ab. Er wollte nicht dabei ertappt werden, wie er die beiden beobachtete.
Langsam schlenderte er zur Bar hinüber und ließ sich auf einem der hohen Lederstühle nieder. Er sah sich nach einer Bedienung um, doch es kam niemand. Der Laden hatte echt nachgelassen, seit er nach seinem Studium hier gekündigt hatte.
Kapitel 5 - Nadeya
May love and laughter light your days,
and warm your heart and home.
May good and faithful friends be yours,
wherever you may roam.
May peace and plenty bless your world
with joy that long endures.
May all life‘s passing seasons
bring the best to you and yours!
- Irish Blessing -
»Nadeya, schön dich zu sehen.« Joe schob sich zwischen zwei dieser typisch aufgetakelten Tussis hindurch und kam direkt auf sie zu. Sie lächelte ihn an, als er sich zu ihr hinab beugte und ihr einen flüchtigen Kuss an der Wange vorbei hauchte.
»Frag mich bloß nicht, ob ich zum Arbeiten hier bin. Ich bin mit meiner Schwester da.«
Joe grinste zerknirscht.
»Ich bitte dich, Darling. Suzanne ist krank geworden. Ich habe schon versucht, dich anzurufen.«
»Mein Handy ist ins Klo gefallen«, gab Nadeya ungerührt zurück. Tatsächlich hatte sie es ausgeschaltet in ihrer Nachttischschublade verschwinden lassen, nachdem Alan noch dreimal versucht hatte, sie zu erreichen.
»Wie dem auch sei. Ich bitte dich inständig. Colin ist alleine hinter der Theke total überfordert.«
Nadeya blickte sich nach ihrer Schwester um. Die stand bei drei anderen jungen Frauen, die sie in ein Gespräch verwickelt hatten. Nadeya seufzte resigniert.
»Na gut. Dafür will ich die doppelte Bezahlung.«
Joe gluckste vergnügt, umarmte sie und gab ihr diesmal einen richtigen Kuss auf die Wange.
»Du bist die Beste.«
Sie verdrehte die Augen, und als Joe sich abgewandt hatte, wischte sich mit der Hand über die Wange.
»Ja, bis du die nächste am Start hast«, murmelte sie.
Heute wäre ihr einziger freier Tag in dieser Woche gewesen. Warum hatte sie mit Khyra auch hierher kommen müssen? - Weil sie die Drinks günstiger bekam...
Nadeya schob sich zwischen zwei zu jung aussehenden Kerlen hindurch, die ihr interessierte Blicke zuwarfen, und trat neben Khyra.
»Oh, hey. Das ist Nadeya. Meine Schwester. Und das sind Beatrice, Lauren und Olivia. Kolleginnen von mir.«
»Reizend«, gab Nadeya trocken zurück, musterte kurz die brav aussehenden Gestalten, die sie misstrauisch taxierten, und nahm ihre Schwester bei Seite, um ihr die Planänderung mitzuteilen. Khyra wirkte ehrlich enttäuscht.
»Das kann er doch nicht von dir verlangen«, beschwerte sie sich.
»Er ist der Boss.«
Khyra seufzte.
»Na schön. Obwohl ich keine große Lust habe, mir Olives Geplapper den ganzen Abend anzuhören. Morgen Abend hab ich zusammen mit ihr Dienst. Das reicht mir schon.«
Nadeya grinste ihre Schwester an.
»Ich lad dich morgen zur Entschädigung auf einen Kaffee ein. Joe bezahlt mir das doppelte.«
»Das klingt schon besser«, antwortete sie und lachte. Es war so schön, dieses Geräusch wieder zu hören. Seit Wochen war sie so in sich gekehrt. Hatte Nadeya ihre geliebte Schwester endlich wieder?
»Bis nachher, Süße.«
Khyra nickte und gesellte sich zurück zu ihren Kolleginnen. Nadeya hatte sich nie sonderlich wohl unter den Freundinnen ihrer Schwester gefühlt. Unter ihnen war sie sich immer zu... mittelmäßig vorgekommen. Sie waren so perfekt mit ihren großen Plänen. Studiert hatten sie alle oder übten zumindest Berufe aus, bei dessen Einstellungsgesprächen Nadeya aufgrund ihres Äußeren schon ausgemustert worden wäre.
Deshalb hatten Nadeya früher nicht viel mit Khyra unternommen. Sie war sowieso nie ein großer Fan von wilden Feiern gewesen. Nicht mehr, seit sie mit sechzehn Jahren auf dieser verhängnisvollen Privat-Party gewesen war...
Unwirsch schob sie die Gedanken daran bei Seite. Sie kannte sich zu gut. Würde sie dort verweilen, die Erinnerung zulassen, saß sie letztendlich mit vor der Brust verschränkten Armen in irgendeiner Ecke und weinte.
Langsam kämpfte Nadeya sich zwischen den Gästen hindurch. Das Gedränge wurde allmählich zu viel für sie und sie war froh, als sie die Theke erreicht hatte. Mit einem Satz sprang sie hinauf und schwang die Beine über den Tresen.
»Oh, Nadeya«, stieß Colin erleichtert aus, der gerade aus der Küche gestürzt kam, »gut, dass du da bist. Ich bin am verzweifeln. Kannst du den vorderen Teil der Bar übernehmen?«
»Klar. Entspann dich. Kesha und Letty sind an den Tischen, oder?«
»Ja, die kommen klar. Aber hier ist die Hölle los. Ich glaube, der Typ da hinten wartet schon seit fünfzehn Minuten.«
Colin deutete mit einem Spültuch auf die andere Seite der Bar.
Nadeya stockte der Atem. Sie erkannte ihn sofort. Das war er. Der Makler... Konnte es ein Zufall sein, dass sie ihn heute schon zum zweiten Mal sah?
»Okay, ich kümmere mich drum«, gab sie nur zurück und hörte selbst, dass sie ein wenig atemlos klang. Colin schien das nicht zu registrieren. Er wandte sich schon den nächsten Gästen zu.
Nadeya bewegte sich ein wenig zu langsam auf dem Fremden zu. Er beobachtete gerade irgendetwas hinter sich, während er, mit auf dem Tresen verschränkten Händen, da saß. Fieberhaft überlegte sie, was sie sagen sollte. Einfach »Was darf‘s sein?« Oder gab es etwas Ausgefalleneres, das vielleicht sein Interesse weckte?
Im nächsten Augenblick schalt sie sich für ihre Dummheit. Gute Güte, sie hatte einen Freund. Der war zwar manchmal ein Idiot, doch das gab ihr noch lange nicht das Recht, mit wildfremden Typen zu flirten.
»Bitte sag mir, dass diese aufgeblasene Tussi nicht meine Nachbarin wird«, rutschte es ihr heraus, als sie sich mit beiden Händen vor ihm auf dem Tresen abstützte. Der Blonde zuckte zusammen und blickte sie erstaunt an. Er schien einen Moment zu brauchen, um sie einzuordnen.
»Du arbeitest hier?«
»Zum Spaß stehe ich nicht hinter der Theke. Was darf‘s sein?«
»Ein Wasser mit Kohlensäure, bitte.«
»Ein Wasser?« Sie starrte ihn ungläubig an. War das sein Ernst oder machte er sich über sie lustig? Er lachte tatsächlich.
»Ich fürchte ich muss dich enttäuschen. Die nette Dame hat vor etwa einer Stunde angerufen und mir mitgeteilt, dass sie die Wohnung nehmen wird.«
Nadeya verzog das Gesicht. Wenigstens wusste er noch, wo sie sich getroffen hatten.
»Ich hab aber auch nie Glück«, beschwerte sie sich. Wieder lachte der Fremde.
»Ich kann gerne nach einer neuen Wohnung für dich Ausschau halten, wenn du mir sagst, was