Prolog
Die Liebe ist geduldig und freundlich.
Sie ist nicht neidisch oder überheblich,
stolz oder anstößig.
Liebe ist nicht selbstsüchtig.
Sie lässt sich nicht reizen,
und wenn man ihr Böses tut,
trägt sie es nicht nach.
Sie freut sich niemals über Ungerechtigkeit,
sondern sie freut sich immer an der Wahrheit.
Liebe erträgt alles, verliert nie den Glauben,
bewahrt stets die Hoffnung
und bleibt bestehen, was auch geschieht.
Die Liebe hört niemals auf.
- Die Bibel: 1. Korinther 13,4-8 -
Kapitel 1 - Khyra
May the road rise up
to meet you.
May the wind be
always at your back.
May the sun shine warm
on your face
and the rain falls soft
upon your fields.
And until we meet again,
may God hold you
in the palm of his hand.
- Irish Blessing -
Es waren die ersten warmen Tage in diesem Jahr. Dabei hatte der Sommer nicht einmal Einzug erhalten. Es war April, doch die Sonne schien schon um 9 Uhr morgens angenehm warm.
Khyra nahm die gleichmäßigen, schabenden Geräusche nicht mehr wahr, die ihre Inlineskates auf dem glatten Asphalt des Fahrradweges hervorriefen. Sie fuhr seit einer Viertelstunde in immer schnellerem Tempo in der Nähe des River Shannon. Schon in aller Frühe hatte sie beschlossen, den freien Vormittag zu nutzen, um ein wenig Sport zu treiben. Endlich wieder Bewegung an der frischen Luft, nach den vielen düsteren Wintertagen.
Khyra hatte sich darauf gefreut. Doch dann war dieser verheerende Anruf dazwischen gekommen. Und nun liefen ihr unaufhaltsam die Tränen über das Gesicht. Sie konnte nichts dagegen tun. Die Ränder des schmalen Asphaltweges nahm sie nur verschwommen wahr. Sie spürte die Kälte des Fahrtwindes an ihren tränenfeuchten Wangen.
Sie konnte Nadeyas Stimme noch immer hören, die in ihrem Kopf widerhallte.
»Bitte fang nicht gleich an zu weinen, okay?«
Erneut entstieg ein Schluchzen ihrer Kehle. Bald würde sie nicht mehr weiter fahren können. Ihr Inneres krampfte sich zusammen.
»Mom ist gestern Abend etwas... zugestoßen...«
Sie keuchte, als die Worte ihrer Schwester erneut ihre Gedanken durchströmten. Der erschreckend tiefe Schmerz fraß sich durch ihr Inneres. Nein... das war einfach... nicht möglich...
Sie rief sich das Gesicht ihrer Mutter in Erinnerung. Die feinen Lachfältchen, das rote, von grauen Strähnen durchzogene Lockenhaar, die blauen Augen, die sie ihren Töchtern vererbt hatte... Es konnte einfach nicht wahr sein. Jemand erlaubte sich einen üblen Scherz mit ihr.
In der Ferne sah sie einen Jogger herannahen. Peinlich berührt wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Sie hatte gehofft, um diese Uhrzeit niemanden zu treffen. Doch vielleicht hatte der Mann Kopfhörer im Ohr und achtete ohnehin nicht auf eine junge Frau, die in raschem Tempo an ihm vorbei sauste. Khyra konnte nur erkennen, dass er blaue Kleidung trug, doch fast sofort schossen neue Tränen in ihre Augen und die noch weit entfernte Gestalt verschwamm erneut.
»Sie ist tot, Khyra...«
Ein schmerzerfüllter Schrei entstieg ihrer Kehle und fast zeitgleich spürte sie die kleinen Steinchen der Bankette unter den Rädern ihres rechten Fußes. Sie verlor das Gleichgewicht. Der Tränenschleier trübte ihre Sicht und nur undeutlich nahm sie wahr, dass der Boden näher kam. Sie spürte den Aufprall, den harten Schlag an ihrer Schläfe und stieß einen neuerlichen Schrei aus. Vertrocknete Pflanzen stachen ihr in die Haut, während sie die Böschung hinab rutschte und sich dabei um sich selbst drehte. Sie keuchte erschrocken, während auf einmal jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte. Die feinen Zweige eines noch blätterlosen Busches zerkratzten ihr das Gesicht, als sie darin hängen blieb. Der Abhang war nicht tief. Zwei oder drei Meter vielleicht. In der Mulde blieb sie reglos liegen und konnte sich nicht rühren. Und sie wollte es auch gar nicht. Es war zu schmerzhaft. Nicht nur ihr Körper, sondern vor allem ihre Seele fühlte sich an, als wäre sie entzwei gerissen.
Alles war still um sie herum, nur Nadeyas Stimme dröhnte in ihrem Kopf.
»Khyra bist du noch dran? Ich sagte doch, du sollst nicht gleich weinen. Beruhig dich erst mal.«
»Ich gehe jetzt skaten«, hatte sie gesagt und einfach aufgelegt. Wie in Trance hatte sie ihre Inlineskater angezogen und war hinaus in die Morgensonne gerollt. Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen, sich ausgerechnet dann auf die Straße zu begeben, wenn einen jeden Moment der Schock übermannen konnte.
»Miss? Hey Miss!«
Eine tiefe, männliche Stimme drang an ihr Ohr. Der Jogger vielleicht. Er musste ihren Sturz gesehen haben, war er doch kaum einen halben Kilometer von ihr entfernt gewesen.
Eine Hand berührte ihr Gesicht und sie öffnete die Augen, während ein schmerzerfüllter Laut ihre Lippen verließ. Der Fremde hielt sich ein Handy ans Ohr, während er sie erleichtert anlächelte.
»Ja... Ja, sie ist wach. Beeilen Sie sich bitte... Ja ich bewege sie nicht... Gut... Gut das mache ich.«
Ihr