Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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ist da?“ Amnys Stimme klang dumpf durch das Holz der schweren Türe. Sie klang nicht besonders erfreut.

      „Die Gäste aus dem besten Zimmer des Hauses“, erwiderte ich salopp. Nach kurzem Zögern öffnete sich die Tür einen Spalt. Ein fahler Lichtschein fiel auf die Straße. Mit einem einzigen Ruck riss ich die Tür gänzlich auf. Darauf war die arme Amny wohl nicht vorbereitet, denn sie flog mir förmlich entgegen. Die Kerze, die sie in der Hand hielt, fiel zu Boden und erlosch.

      „Was soll denn das?“ protestierte sie lautstark.

      „Empfängt man Gäste hier immer mit Knüppeln?“ Ich stieß das überraschte Mädchen ins Haus zurück. „Tolle Gastfreundschaft! Dein Finn ist ein sauberer Bursche, das muss ihm der Neid lassen. Konntest du keinen besseren finden als diesen Schweinehund?“

      Amny stand da wie vom Donner gerührt. Ihr unschuldiger Gesichtsausdruck überzeugte jedoch. Nein, sie wusste von nichts, soviel Menschenkenntnis traute ich mir zu.

      „Was ist passiert?“ Sie verzog die Nase, roch wohl unsere Alkoholfahnen. „Ihr seid ja betrunken! Trunkenheit wird in diesem Haus nicht geduldet. Ihr müsst sofort gehen!“

      „Keine Angst, das tun wir auch. Nicht eine Sekunde bleiben wir in diesem Räubernest!“ Krister ergriff sie sanft aber doch nachdrücklich an den Schultern. „Du musst dich nicht fürchten, kleine Amny, dir wird nichts geschehen, das verspreche ich. Aber bis wir dieses anständige Haus verlassen haben, wirst du nicht von unserer Seite weichen!“

      „Nimm deine Pfoten weg!“ Amny riss sich los, wich aber keinen Meter zurück. Wütend funkelte sie uns an. „Ich werde um Hilfe schreien, wenn ihr nicht auf der Stelle verschwindet!“

      Krister wollte sie erneut packen, doch hielt ich ihn zurück.

      „Amny, hör mir zu! Dein sauberer Verlobter hat eben versucht, uns umzubringen. Für ein paar lumpige Schwarzperlen! Du wirst verstehen, dass wir in dieser Stadt niemandem mehr trauen.“

      Unsere junge Wirtin sah mich an wie einen Geistesgestörten und schüttelte dann langsam den Kopf.

      „Du lügst! Finn kann keiner Fliege etwas zuleide tun!“ Dabei tat sie den ersten Schritt rückwärts.

      „Einer Fliege vielleicht nicht“, seufzte Krister.

      „Ich glaube euch kein Wort!“ Amny machte zwei weitere Schritte zurück, als suchte sie Halt. Ehe wir uns versahen, fegte sie die einzige brennende Kerze vom Tisch. Sofort versank der Raum in tiefer Dunkelheit.

      „Verdammt!“ fluchte ich und stürzte auf sie zu. Doch ging mein Griff ins Leere. Eine Tür fiel krachend ins Schloss.

      „Kluges Ding“, hörte ich Krister neben mir knurren. Es klang beinahe bewundernd. Dann rief er lautstark nach seinem Bruder. In der oberen Etage flog eine Tür auf, Licht strömte von der Treppe herab. Endlich sahen wir wieder.

      „Luke, bist du das?“

      „Ja. Was ist los da unten?“

      „Ich fürchte, die Nachtruhe ist beendet. Wirf das Gepäck runter, wir müssen verschwinden!“

      Luke zögerte naturgemäß. „Ist das dein Ernst?“

      „Ja, und jetzt Schluss mit der Fragerei! Tu was ich dir sage!“

      Ein kurzer Seufzer war alles, was Luke noch zum Besten gab. Ich rannte die Treppe hoch und half ihm beim Zusammensuchen des Gepäcks. Zum Glück hatten wir wenig ausgepackt, und mit ein paar Handgriffen war alles wieder verstaut. Währenddessen erzählte ich mit knappen Worten, was sich zugetragen hatte. Luke zeigte sich bestürzt und verstand sofort. Voll aufgepackt begaben wir uns nach unten. Krister stand an der halb geöffneten Tür und spähte hinaus.

      „Alles ruhig“, flüsterte er. „Die Luft scheint rein zu sein.“

      „Wo ist Amny?“ erkundigte sich Luke.

      „Hat sich irgendwo eingeschlossen. Sie traut uns wohl nicht mehr über den Weg. Los jetzt, Abmarsch! Runter zu den Stegen! Ich hoffe, wir finden in der Dunkelheit das Boot.“

      Wie Verbrecher stahlen wir uns aus der Herberge und marschierten die dunkle Straße hinunter. Kein Mensch kam uns entgegen. Als wir an der Taverne vorbeischlichen, drang kein Laut mehr heraus. Auch hier schien der Abend zu Ende gegangen zu sein.

      Am nordöstlichen Horizont tauchte Ebrod aus dem Meer auf. Noch war der Mond selbst nicht zu sehen, aber sein Vorbote, eine milchig-silberne Aura, kündigte sein baldiges Erscheinen an. Zwar wölbte sich über uns ein nahezu sternenklarer Himmel, und hier abseits der dunklen Gassen war die Umgebung einigermaßen erkennbar, doch waren wir für das zusätzliche Licht dankbar. Die Chancen, das Boot jetzt in der Nacht zu finden, stiegen dadurch erheblich.

      Im Hafen herrschte nur noch wenig Betrieb, eine Handvoll müder Fischer kehrte mit vollen Netzen zurück. Sie hatten offensichtlich den ganzen Tag auf See verbracht und sehnten sich nun nach warmer Mahlzeit und einer Mütze voll Schlaf. Wir gingen an ihnen vorbei ohne dass sie Notiz von uns nahmen.

      Luke schritt unbeirrt voran, er hatte sich unseren Landungsplatz am besten eingeprägt. Bei dem Durcheinander an Piers, Anlegebrücken und festgemachten Booten wollte es mir einfach nicht gelingen, mich zu orientieren.

      „Hier entlang!“ rief Luke plötzlich und sputete zielstrebig auf einen der vielen Stege hinaus. An was auch immer er sich orientiert hatte, blieb mir schleierhaft. Doch das Ergebnis zählte. Ich stand vor unserem Boot, ohne es zu bemerken.

      „Gut gemacht, Luke!“ sagte ich erleichtert. „Wie hast du das nur gemacht? Ich hätte den Kahn in dieser Dunkelheit beim besten Willen nicht mehr gefunden.“

      Kristers Stiefbruder stand mit dem Rücken zum Meer, sein Gesicht lag in tiefem Schatten, doch sah ich zwei Reihen schneeweißer Zähne schimmern. Ganz klar, er grinste über beide Backen.

      „Schön, dass ich mich nützlich machen kann“, sagte er und sprang an Bord. Krister und ich folgten. Es war, als käme ich zuhause an, alles schien wieder vertraut. Die tausendfach eingeübten Handgriffe saßen auch bei schlechten Lichtverhältnissen. Das Segel war in Nullkommanichts gesetzt, und wir legten ab.

      Keine Minute zu früh.

      Von der Straße her näherten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit flackernde Lichter, ein wahrer Fackelzug. Noch konnte ich keine Einzelheiten ausmachen, aber es mussten wohl an die zwanzig Mann sein, die zu den Landungsstegen eilten.

      „Krister, schau dir das an!“ zischte ich.

      „So etwas Ähnliches habe ich erwartet. Wären wir im Mataki geblieben, hätte uns der Mob vermutlich schon gelyncht. Die haben wirklich keine Zeit verloren!“

      Ich schluckte hart. Jetzt erst wurde mir richtig bewusst, in welcher Gefahr wir geschwebt hatten. Nicht auszudenken, was passiert wäre, würde Luke nicht über die Augen einer Eule verfügen! Naheliegend, dass uns der aufgebrachte Pöbel an Ort und Stelle ohne mit der Wimper zu zucken erschlagen hätte. Dabei waren wir unschuldig in diese Situation geraten. Doch das zählte nicht. Der Fremde ist stets der Verdächtige, der Täter. Womöglich hätte ich daheim in Stoney Creek ähnlich reagiert. Schuldig bis zum Beweis der Unschuld. Ob Zeit geblieben wäre, selbige zu beweisen, durfte bezweifelt werden.

      Einer Eingebung folgend griff ich zu den Rudern, um das Boot zu beschleunigen, doch Krister hielt mich zurück.

      „Besser nicht. Wir verziehen uns lieber so lautlos wie möglich.“

      „Sie werden uns sehen, wenn sie sich am Ende irgendeines Stegs postieren. Wir haben nicht genug Fahrt, der Wind ist zu schwach.“

      „Nein, das würde die Aufmerksamkeit nur auf uns ziehen, Jack. Los, geht auf Tauchstation! Unsere sauberen Fackelträger werden nach einem Boot mit drei Leuten Ausschau halten, warum sollten wir ihnen den Gefallen tun?“

      Luke und ich befolgten diesen Rat und legten uns flach auf die Planken, während Krister der Meute den Rücken zuwandte.

      In diesem Augenblick