Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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mühelos, es sah kinderleicht aus. Nur der Schweiß auf seinem im gleißenden Sonnenlicht glänzenden Rücken zeugte von der Schufterei, der er sich so bereitwillig hingab. Endlich oben angelangt wandte er sich um und winkte, bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand. Da stand ich nun und glotzte dümmlich in die Höhe.

      „Was siehst du?“ rief ich endlich.

      Keine Antwort.

      „Krister?“ Geduld zählte eindeutig nicht zu meinen Stärken. Als zehn Sekunden später immer noch keine Antwort kam, war es um meine Beherrschung geschehen. Ebenso kraftvoll aber sicherlich weniger geschickt hastete ich die Sanddüne hoch, wobei Kristers tiefe Spuren nicht unerheblich Hilfestellung leisteten.

      Auf halber Höhe hielt ich inne und lauschte. Hatte da jemand meinen Namen gerufen? Mein Pulsschlag beschleunigte nochmals, auch wenn das unter den gegebenen Umständen kaum möglich war.

      Die restlichen Meter hetzte ich regelrecht hinauf. Da lag Krister. Auf dem Bauch. Alle viere von sich gestreckt. Einen Sekundenbruchteil später kniete ich tief besorgt neben ihm. Ein Blick in sein zu einem breiten Grinsen verzogenes Gesicht bedeutete mir jedoch sogleich, ihm wieder einmal auf den Leim gegangen zu sein. Seine zuweilen derben Scherze enstprachen nicht jedermanns Geschmack. Für einen Moment verspürte ich gewaltige Lust, ihn zu verprügeln.

      „Du enttäuschst mich nicht, Jack.“ Seine von der Sonne gebleichten Locken wehten verspielt im Wind. „Rekordzeit. Ich hätte dich eine halbe Minute später erwartet. Kompliment!“

      „Wahnsinnig ulkig, du schwachsinniger Esel!“ Ich stand auf und wandte mich demonstrativ der Umgebung zu.

      „Tolle Aussicht, was?“ Schon lehnte Krister an mir, versöhnlich einen schweren Arm um meine Schultern gelegt. Von unserer Warte aus bot sich ein eindrucksvoller Fernblick auf eine ausgedehnte Dünenlandschaft, die in drei Himmelsrichtungen bis zum Horizont reichte. In unserem Rücken lag die See. Wir entdeckten sogar das auf den Strand hochgezogene Boot.

      „Schöne Gegend, fürwahr“, konnte ich nur bestätigen. „Diese Wüstenei wird unsere Mägen allerdings nicht füllen. Und nach Wasser sieht es hier auch nicht aus.“

      „Immerhin gibt es Vögel.“ Krister deutete auf einen flatternden Punkt, der aus den Dünen auf uns zuflog. Zunächst maß ich dem wenig Bedeutung bei. Doch der Punkt nahm rasant schnell an Größe zu. Und sein Kurs stand unbeirrbar fest.

      „Was zum...“ entfuhr es mit, als das aufgeregte Tier mit einem Höllenkreischen und wild um sich schlagenden Flügeln nur eine Handbreit über unseren Köpfen schwebte. Sein langgezogener spitzer Schnabel hieb dabei mit erstaunlicher Präzision auf beide Blondschöpfe ein, die die Arme hochrissen, um den unerwartet hartnäckigen Angreifer zu verscheuchen. Tatsächlich entfernte sich der entengroße Vogel daraufhin auch ein Stück und umkreiste das Objekt seiner Rage in gewisser Distanz.

      „Hab ab, du blödes Vieh!“ schrie ich ihm zu.

      „Qui wieh, qui wieh“, kam die unmissverständliche Antwort, was wohl so viel wie „Verpisst euch von hier!“ heißen sollte.

      „Typisches Brutverhalten“, meinte Krister. „Wir müssen wohl in sein Revier eingedrungen sein. Womöglich ist ganz in der Nähe sein Nest.“

      Wir tauschten zwei Blicke aus und wussten auch schon, das gleiche zu denken. Ich sah mich schon eine mächtig große Portion Rührei verschlingen – und Mamma Vogel gerupft am Spieß über kleiner Flamme. Aus dem Nichts tauchten angelockt von dem Lärm noch weitere schwarze Punkte auf, die sich schon von weitem mit ohrenbetäubendem „Qui wieh!“ ankündigten. Noch bevor wir wussten wie uns geschah, schwirrte ein halbes Dutzend wildgewordener Elternvögel schnabelhackend über unseren Köpfen. Und es wurden stetig mehr. Wir hatten nicht viel Auswahl: flüchten oder angreifen. Ich entschied mich für letzteres. Der Gedanke an knuspriges Brathuhn ließ nicht mehr los. Jetzt zahlte es sich aus, Pfeil und Bogen mitgeführt zu haben. Ich ging in die Knie. Nun bildete allein Krister eine hervorragende Angriffsfläche, und der mittlerweile auf ein Dutzend Exemplare angewachsene Sturmtrupp attackierte ihn nach Belieben von allen Seiten.

      Anlegen – spannen – loslassen. Die einzige Gefahr bestand darin, aus Versehen Krister zu verletzen. Doch er vertraute auf was ich im wahrsten Sinne des Wortes abzielte und beschränkte sich darauf, den Kopf mit übereinandergeschlagenen Armen zu schützen und ansonsten reglos zu verharren. Noch bevor die Krachmacher realisierten, zu Gejagten geworden zu sein, hatte ich zweimal getroffen. Ein dritter Pfeil verfehlte sein Ziel knapp. Das erstickende Kreischen der zu Boden gestürzten, tödlich verwundeten Tiere verfehlte seine Wirkung nicht. Innerhalb von Sekunden war der flatternde Spuk vorüber. Weiterhin laut protestierend stellten die Vögel den Angriff ein und zogen ab. Kein Wunder, ihre Verluste waren furchtbar.

      Eines der Tiere lag bereits tot da. Das zweite hingegen zeigte sich noch verblüffend lebendig trotz des tief in der Körpermitte steckenden Pfeils. Nicht mehr flugfähig versuchte es mit ruckartigen Bewegungen aus der Gefahrenzone zu hüpfen. Doch dagegen hatte Krister etwas. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine kräftigen Hände um den schlangenförmigen Hals. Sein Gezeter erstickte unverzüglich. Einmal nur knackte es, dann war alles vorbei.

      Ich schloss die Augen. Es würde mir wohl niemals gelingen, kein Bedauern gegenüber der Kreatur zu empfinden, das durch mein Zutun sein Leben verlor. Für einen Moment spürte ich Traurigkeit, den Tod dieser beiden furchtlosen Geschöpfe verantwortet zu haben. Aber es musste sein. Und schon einen Wimpernschlag später tröstete mich der Gedanke an gebratenes Geflügel darüber hinweg.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass uns das Mittagessen entgegenfliegen würde.“ Krister begutachtete die ihm beigebrachten blutigen Schrammen an beiden Armen. Es sah jedoch schlimmer aus, als es tatsächlich war. „Sehr gut gemacht, Jack. Hungers werden wir heute nicht sterben.“

      Die beiden erlegten Vögel wogen gut und gern zehn Pfund. Nach Abzug von Knochen und Fett bedeutete das rund fünf Pfund frisches Fleisch, was für den Rest des Tages mehr als genügen sollte. Zufrieden machten wir uns an den Abstieg. Der Ausflug ins Innere Zadars hatte sich gelohnt. Luke würde Augen machen!

      Doch zunächst sollten wir Augen machen. Streng unseren Fußspuren folgend ging es zielstrebig zurück in Richtung Küste. Wir ließen die Dünenlandschaft hinter uns und erreichten abermals bewachsenes Terrain. Annähernd den halben Rückweg bewältigt, blieben wir wie angewurzelt stehen. Irgendetwas hatte in der Zwischenzeit unsere Fährte gekreuzt. Und dieses Irgendetwas hinterließ Spuren, die meine Nackenhaare dazu veranlassten, sich steil aufzurichten.

      „Was zum Teufel ist das?“ Krister ging in die Knie. Im Fährtenlesen machte ihm so schnell keiner etwas vor, auch wenn seine Erfahrungswerte jetzt versagten. „Das nenne ich eine Bodenverwundung! Und eine äußerst frische dazu. Spuren dieser Art habe ich noch nie gesehen. Sieht aus wie eine Klaue mit nur einer Zehe. Oder einer Kralle. Sehr merkwürdig.“

      „Mich beunruhigt eher die Größe dieser Klaue.“ Unbehaglich sah ich mich nach allen Seiten um. „Das dazugehörige Tier muss riesig sein! Wie weit mag es entfernt sein?“

      Krister richtete sich auf. „Nicht all zu weit“, meinte er und prüfte die Windrichtung. „Westwind. Und die Spur führt nach Osten.“

      „Lass uns verschwinden.“ Zu meinem Befremden sah ich Jagdfieber in Kristers Augen glimmen. „Am Ende sind das hier die Spuren eines Opreju. Krister, keine Dummheiten jetzt! Luke ist alleine beim Boot!“

      Mein Freund sah mich unentschlossen an. Dann siegte die Vernunft auch bei ihm. Den restlichen Weg zur Küste legten wir im Sprint zurück.

      Atemlos brachen wir endlich durch das Buschwerk auf den Strand zu. Noch nie waren mir ein paar hundert Meter so lange vorgekommen! Da lag das Boot – aber keine Spur von Luke.

      „Luke!“ Kristers Rufen verriet die Sorge um den Bruder. „Luke, wo bist du?“

      „Luke!“ schrie nun auch ich. Rückwärts langsam auf das Boot und damit die schützende See zusteuernd, sahen wir uns nach allen Seiten um.

      Nichts.

      „Wo kann er nur