Der Gefragte sah kurz auf, legte die Stirn in Runzeln und schüttelte den Kopf.
„Na siehst du.“ Ich beließ es dabei und kam mir wie ein rechthaberischer Lehrmeister vor. Luke schwieg fortan. Mein Versuch, eine lockere Unterhaltung in Gang zu bringen, war glatt fehlgeschlagen, zumal Krister nicht das geringste Interesse an ihr zeigte. Also aßen wir schweigend. Das im Feuer angeröstete Brot schmeckte hervorragend. Weniger schmeckte die Tatsache, bald keines mehr essen zu können. Jeden Bissen auskostend verlängerte ich den Genuss, an den ich mich in Zeiten der Entbehrung, die zweifellos vor uns lagen, genau erinnern wollte. Gesättigt und müde wickelte ich schließlich die Decke um mich und beobachtete das ersterbende Feuer.
Viel später lag ich noch immer wach, lauschte dem immerwährenden Seufzen des Ozeans, den leise vernehmbaren Atemzügen meiner beiden Gefährten, die längst schliefen, und wälzte schwere Gedanken.
Zum wiederholten Male stellte ich mir die aufwühlende Frage, was Vater wohl nun denken mochte, jetzt da seine beiden Söhne auf und davon waren. Ob er wenigstens zu verstehen versuchte?
Umgeben vom Dunkel der Nacht, eingewickelt in eine dünne Decke an der Südspitze Aucklands, erschien mein Vorhaben undurchführbarer denn je. Die feuchte Kühle, die vom vom Meer herankroch und mich frösteln ließ, trug nicht dazu bei, meinen Optimismus zu steigern.
Irgendwann ertappte ich mich dabei, Tauri zu beobachten, jene sandfarbene Scheibe am südwestlichen Horizont, die jetzt, wo sie versank, noch intensiver zu glühen schien. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wohl sein mochte, wenn Lukes Legende in der Tat der Wahrheit entspräche. Siebzehn Tage und Nächte vollkommene Dunkelheit. Blödsinn. Nicht einmal in den Aufzeichnungen von Radan war so etwas mit einem Federstrich erwähnt gewesen. Nun ja, wenigstens nicht in dem zugegeben verschwindend kleinen Teil, der in verständlicher Sprache niedergeschrieben worden war. Dennoch, was für ein Unfug! Keine Sekunde glaubte ich daran.
„Guten Morgen.“ Noch fest eingewickelt in seine wärmende Decke öffnete Krister die Augen und gähnte: „Ich hätte gerne gebratenen Speck mit Rühreiern. Darf ruhig etwas mehr sein.“
Kühler Wind war über Nacht herangezogen, der Himmel wolkenverhangen und wenig einladend für einen weiteren Tag auf See.
Ich grinste ihn an. „Mach zwei Portionen draus! Wann haben wir eigentlich zuletzt eine Nacht unter freiem Himmel verbracht?“
„Lass mich sehen... war das nicht kurz vor eurer denkwürdigen Entdeckungsreise nach Radan? Die stürmische Nacht am Kap Mandawar?“
Ich überlegte. Ja, er hatte Recht. Das war eine schlaflose Nacht gewesen! Schwerer Sturm war damals aufgezogen und zwang uns zu einer unfreiwilligen Zwischenstation an besagtem Kap, am westlichen Ende Avenors. Der Frühling war kaum angebrochen und die ersten warmen Tage trieben Krister, Rob und mich leichtsinnig zeitig hinaus auf die noch kalte See. Der Winter hatte sich ewig lange hingezogen, und ungeduldig wie wir waren, nutzten wir einen der ersten angenehmer temperierten Tage zu einer Reise in die December Bay. Kräftiger Ostwind nahm uns ohnehin die Entscheidung ab, in welche Richtung es gehen sollte.
Noch vor Sonnenaufgang waren wir damals losgezogen, in demselben Boot, das uns jetzt nach Hyperion bringen sollte, um das Kap noch bei Tageslicht zu erreichen. Das war uns auch gelungen. Nur war der Wind im Tagesverlauf immer stärker, die See unruhiger, die Aussichten auf einen erfolgreichen Fangzug von Stunde zu Stunde geringer geworden.
Ein Frühjahrssturm der Extraklasse brach am späten Nachmittag los, der uns an Land zwang. Mit vereinten Kräften schleppten wir das Boot einen steinigen Kiesstrand hoch und fanden Unterschlupf in einer kalten und feuchten Höhle, durch die der aufgebrachte Wind pfiff. Kein Auge hatte ich in jener Nacht zugetan, vor Kälte zitternd, vor Sorge um das Wohl des Bootes. Es gelang uns nicht einmal, ein Feuer zu machen, um uns zu wärmen. Zwei Tage und Nächte tobten die Elemente, bis sich das Unwetter am dritten Tag endlich verzogen hatte und wir halb erfroren und ausgehungert nach Hause zurückkehrten. Keinen einzigen Fisch hatten wir gefangen, dafür das Boot beschädigt, ein Segel zerrissen und ein Ruder verloren. Die fälligen Reparaturarbeiten standen in keinem Verhältnis zum Nutzen der gesamten Aktion. Aber es hatte dennoch Spaß gemacht. Verdammten Spaß.
„Du warst gestern so schweigsam“, wagte ich zu fragen.
Krister sah mich einen Augenblick an, bevor er die Augen wieder schloss, als wollte er weiterschlafen. Es gab nur wenige Themen, die Krister Bergmark nicht zu diskutieren bereit war, und dazu gehörte Sava. Seit sie sich liebten gehörte ein Teil von ihm nicht mehr zu unserer Freundschaft, gab es etwas, das trennend zwischen ihm und Rob und mir stand. Nun ist Stoney Creek nichts anderes als eine kleine Siedlung am Meer, deren wenige hundert Bewohner von Ackerbau und Fischfang leben. Irgendwie ist keiner dem anderen so richtig fremd. Krister und Sava kannten sich schon, seit sie Kinder waren, ihre Zuneigung füreinander entdeckten sie allerdings erst später, dafür umso intensiver und leidenschaftlicher.
Anfangs hatte ich recht eifersüchtig auf Sava reagiert, die mir zuweilen einen guten Freund raubte. Meiner Meinung nach gab es doch viel Sinnvolleres zu tun.
Würde ich wegen eines Mädchens auch nur einen Augenblick gezögert haben, wenn es darum ging, zwischen ihr und der Jagd nach Oktopoden zu entscheiden? Damals sicherlich nicht.
Die Zeiten änderten sich allerdings auch für mich, und die verwirrende Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht, nach körperlicher Nähe und Zweisamkeit, nahmen mich letztendlich genauso gefangen. Auch wenn es sich schwierig gestaltete.
Am Beispiel meines Bruders, der im vergangenen Jahr verschwiegen die Nähe eines Mädchens aus der Nachbarschaft, Rebekka van Renterghem, suchte, stellte ich fest, wie schwer. Ich fand sie gleichermaßen faszinierend. In ihren stolzen, etwas hochmütigen Augen schien ein eisblaues Geheimnis zu wohnen, das zu entlocken es alle Mühe wert war.
Der hochgewachsene Robert Schilt, in der Blüte seiner Jugend, sah sich mit wenigen Problemen konfrontiert, wenn es darum ging, ein Mädchen zu betören. Rebekka jedoch gehorchte lange Monate dem strengen Vater, der ihr den Umgang mit dem unwürdigen Fischersohn verbat und sein achtsames Auge nicht von ihr nahm. Folglich ging sie Rob aus dem Weg. Kein noch so süßes Wort, das er ihr auf dem Weg zum Fluss zuflüsterte, erwiderte sie. Widerspenstig schlug sie seine streichelnde Hand fort, die ihr krauses Blondhaar zu liebkosen versuchte.
Doch Rob wäre nicht Rob gewesen, hätten ihn nicht genau diese Hürden, die ihm der alte van Renterghem in den Weg legte, zu Höchstleistungen angespornt. Er spürte, ihr nicht gleichgültig zu sein, und nach und nach erlahmte der halbherzige Widerstand. Wenn auch sein Werben vom Frühjahr bis in den Spätsommer andauerte, am Ende gab sie ihm nach.
Das Verbot des Vaters hingegen hing wie dunkle Wolken über ihren zarten Spielen im goldgelben Herbstkorn. Sehr viel länger dauerte ihre Liaison auch nicht an, denn noch bevor die ersten Frostnächte über das Land kamen, hielt Rebekka dem Druck des ahnungsvollen Vaters nicht stand und beichtete ihre unglückliche Liebe. Van Renterghem sperrte seine Tochter einen ganzen Winter lang weg und schickte sie im folgenden Frühling – das war erst vor wenigen Wochen gewesen – zu Verwandten nach Cape Travis. Um ein Haar wäre Rob ihr gefolgt, doch entschied er sich letzten Endes gegen sie.
Wie oft tat er so, als sei nichts gewesen, wie sehr mimte er den willensstarken Mann, der über all diesen bittersüßen Liebesdingen stand, doch spürte ich sehr wohl den herben Stachel, der seitdem in seinem Herzen steckte. Wenig später ereignete sich Radan, was nicht nur sein Leben grundlegend umkrempelte.
Ich spürte, was kaum zu leugnen war: Krister litt unter der Trennung seiner Gefährtin Sava und wünschte nicht darauf angesprochen zu werden. Er staunte nicht schlecht, als ihm kurze Zeit später der Duft von gebratenem Speck in die Nase stieg. In der Tat fand sich im Proviant eine Seite Schweinespeck. In dem ausgelassenen Fett brieten – ganz nach Wunsch – ein Dutzend Möweneier, die Luke im dichten Strandgras aufgestöbert hatte. Zwei der Eier waren bereits angebrütet gewesen und für den Verzehr nicht mehr geeignet, doch die restlichen dickten in unserer Pfanne zu einem ansehnlichen Omelett zusammen.
„Das