Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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das alles?“ fragte ich ihn mit dem Versuch eines erwartungsvollen Gesichtsausdrucks. „Immerhin ist es dem Service gelungen, Ihrem Wunsch voll und ganz zu entsprechen. Hat er sich keine Anerkennung verdient?“

      Ich deutete auf Luke und mich, bemüht, Kristers Stiefbruder nach meiner herablassenden Behandlung vom gestrigen Abend auf versöhnliche Art und Weise mit einzubeziehen.

      „Eine ganz hinterlistige Art, um Aufmerksamkeit zu betteln. Schön, ums Abendessen kümmere ich mich. Wenn mir das Jagdglück hold ist, werdet ihr das köstlichste Mahl eures Lebens vorgesetzt bekommen, das kann ich jetzt schon versprechen.“

      Wir packten zusammen und brachen auf. Das Segel blähte sich im kräftigen Westwind, der um einiges stärker blies als gestern, was der See nicht zu imponieren schien. Sie blieb verhältnismäßig ruhig und gelassen.

      Ich brachte den Kahn auf nordöstlichen Kurs. Bis Mittag würden wir Wanaka erreicht haben, vielleicht sogar dort landen, auch wenn Krister sich dagegen aussprach. Er konnte Kap Longreach nicht schnell genug erreichen, um sich heute noch auf die Jagd nach Yanduras zu machen.

      Im Verlauf des Vormittags begann die See unruhiger zu werden. Nicht bedrohlich unruhig, keineswegs, aber dennoch nachdrücklich kabbeliger als am Vortag. Die Wellen trugen nun Kämme aus weißem Schaum, zuweilen sprühte Gischt über die Bordwand. Der Himmel klarte zeitweise auf und ließ hier und da die Sonne durchblicken. Alles in allem überwiegten aber dunkle Wolken, die der Xyn nur wenige Chancen ließen. Windig blieb es bis in die späten Abendstunden hinein.

      Wie erwartet tauchte um die Tagesmitte herum am nordwestlichen Horizont ein blasser Schatten aus dem Meer auf, die ersten Anzeichen Wanakas. Die Insel lag jedoch überraschend weit nördlich. Hatte ich nicht ordentlich Kurs gehalten? Krister stand backbord und sah sich genau in dem Augenblick nach mir um, als mich dieser Verdacht beschlich. Aus unserem Zwischenstop würde nun wohl nichts werden, zu viel Zeit nähme eine Kursänderung in Anspruch.

      „Lassen wir Wanaka ausfallen“, rief ich Krister zu, der bestätigend nickte. Luke, der ganz vorne im Boot saß, wandte sich nicht einmal um. Er hockte zusammengekauert da und starrte seit Stunden aufs Meer hinaus.

      Welch merkwürdiger Junge! Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm, dachte aber auch nicht daran, mich länger damit zu beschäftigen. Nach unserer Ankunft in Hyperion würde ich ihn los sein, etwas auf das ich mich insgeheim freute. Ich konnte aber auch nicht sagen, dass er mir sonderlich auf die Nerven fiel, dafür sagte er schlicht zu wenig. Eigentlich verhielt er sich völlig unauffällig, gab mir so gut wie keinen Grund, ihn abzulehnen und dennoch hielt sich meine Aversion hartnäckig.

      Wanaka verschwand genau so schnell, wie sie aufgetaucht war. Wir passierten die Insel in weitem Abstand und gute zwei Stunden später näherten wir uns bereits der schroffen Felsenküste von Geirfuglasker, der zweitgrößten Insel der Bay of Islands. Wie eine langgezogene graue Wolke tauchte sie majestätisch aus dem Dunst auf. War Lukes Vater nicht irgendwo in den Gewässern hier ums Leben gekommen? Verstohlen beobachtete ich ihn, wenn er sich ab und zu umwandte, konnte jedoch keine besondere Gefühlsregung in seinem teilnahmslosen Gesicht ausmachen. Sollte ihn tatsächlich etwas beschäftigen, ließ er es sich nicht anmerken.

      Dann herrschte Aufregung an Bord. Krister hatte Schleppleinen ausgeworfen und einige Fische gefangen, die er als Köder für größere Kaliber benutzte. Tatsächlich biss ein aufsässiger Großer Sargan von knapp einem Meter Länge an, den zu besiegen es Kristers ganzes Anglergeschicks bedurfte. Der Kampf zog sich eine halbe Stunde hin, und am Ende hatte der Jäger souverän gewonnen und sein ermattetes Opfer an Bord gehievt.

      „Erstklassige Arbeit“, ließ Luke aus seiner Ecke verlauten. Es waren seine ersten Worte seit der Abreise von Auckland gewesen. „Das Abendessen ist gesichert.“

      „Vergiss das Abendessen! Damit hole ich uns einen Karsar!“

      Ich sah keinen Grund, Kristers Optimismus zu dämpfen, auch wenn mir nicht klar war, was genau er mit einem Karsar anstellen wollte. Es musste das reine Jagdfieber sein, welches ihn trieb, denn von Nutzen konnte uns dieser bis zu drei Metern heranwachsende Fisch nicht sein, zumal wir nur einen kleinen Teil des Fleisches würden verwerten können. Und dann musste er einen dieser Riesen natürlich erst einmal kriegen.

      „Einen Karsar? Hast du dafür die nötige Ausrüstung mit?“

      Krister warf mir einen verächtlichen Blick zu und zauberte auch schon einen gefährlich aussehenden eisernen Haken hervor. Triumphierend hielt er ihn mir unter die Nase. Dann zerteilte er den noch zuckenden Sargan, spießte blutige Stücke auf den messerscharfen Haken und warf den Köder aus. Aufgrund des starken Windes bewegte sich das Boot mit kräftigem Tempo voran, ideale Bedingungen für die Jagd auf große Raubfische.

      Anfangs passierte rein gar nichts. Ich war sicher, dass der Köder bereits von irgendwelchen kleineren Räubern bis auf die Gräten abgenagt worden war, sagte aber keinen Ton.

      Kap Longreach befand sich bereits in Sichtweite, als endlich der ersehnte Ruck durch die Leine ging, die sich augenblicklich spannte. Krister zögerte keinen Moment, packte die Fangleine und wickelte sie sich mehrfach um den Körper, bevor er mit der eigentlichen Arbeit begann.

      Das Einholen der zum Zerreißen gespannten Leine erwies sich als Schwerstarbeit. Krister mühte sich fluchend ab, kam aber trotz seiner Bärenkräfte nicht voran. Es sah eher so aus, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das überaus kräftige Wesen am anderen Ende der Leine seinen Jäger ins Meer gezerrt hätte. Luke wollte seinem Stiefbruder zu Hilfe eilen, doch lehnte Krister schroff ab. Was auch immer angebissen hatte, er wollte es ganz alleine besiegen. Oder den Kampf ganz alleine verlieren.

      „Es ist hoffentlich kein Ichthyon“, rief ich Krister zu, der meine Bemerkung nicht einmal registrierte. Ich kannte seine Verbissenheit, wenn es darum ging, sich etwas zu beweisen. Dieser Gegner stellte eine echte Herausforderung dar, und das konnte gefährlich werden. Ein verletzter Krister Bergmark passte gegenwärtig gar nicht in mein Konzept. Schon sah ich das Blut in seinen Händen, als die scharfe Leine tiefer und tiefer in seine Handflächen schnitt. Ich musste etwas tun.

      „Lass gut sein!“ rief ich. „Das ist es nicht wert. Deine Hände werden noch gebraucht.“

      „So ein Drecksvieh!“ Noch mehr Blut. Krister sah sich gezwungen, Leine nachzulassen, was die Situation entschärfte.

      Luke stieß einen Schrei aus und deutete wild gestikulierend nach achtern. Ich folgte seinem ausgestreckten Arm und sah einen mächtigen Fisch springen. Ja, es war ein Karsar. Ein ausgewachsener Karsar. Mindestens drei Meter lang, vom Schwanz bis zur Spitze seiner beiden mächtigen Falchions, die beim wütenden Auf- und Zuschnappen der kräftigen Kiefer hohl aufeinander klapperten. Das riesige Tier schüttelte sich dabei wie ein nasser Hund, seinen riesigen Kopf zornig hin und her schleudernd, als versuchte es, den unsichtbaren Gegner aufzuspießen und damit außer Gefecht zu setzen.

      Fasziniert starrte ich auf den großartigen Fisch, der noch drei weitere Male sprang und sich dabei in seiner ganzen eindrucksvollen Größe präsentierte. Wollte er dem kleinen Boot signalisieren, eine Nummer zu groß zu sein? Noch einmal zeigte er sich, seinen Körper halb aus den Wellen schraubend, wobei nicht klar war, ob es der zum Zerreißen gespannten Leine zuzuschreiben war, die ihn zu dieser Akrobatik zwang. Krister schielte bereits trunken vor Erregung nach der Lanze, die zu seinen Füßen lag. Plante er, das Tier aus dieser Entfernung zu stechen?

      „Luke, du willst helfen? Dann halte die Lanze bereit!“

      Der Junge tat wie ihm geheißen und baute sich neben seinem Stiefbruder auf, die Waffe mit der rechten Faust umklammernd.

      „Okay, dann hole ich das Vieh jetzt heran!“

      Mit neuer Energie startete Krister eine zweite Offensive. Den Schmerz in seinen rohen Handflächen ignorierend zerrte er mit aller Kraft, die seine starken Arme hergaben, an der Leine. Tatsächlich ließ sie sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten erstaunlich leicht einholen. Nach den imposanten Luftsprüngen musste der Fisch allem Anschein nach erschöpft sein. Er ließ sich wie ein Spielzeug heranziehen. Meter um Meter holte Krister die Leine ein. Ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Mundwinkel.