Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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Haar trug. Es gab nur wenige Männer in Stoney Creek mit kurz geschnittenem Haar, Lukas Eastley gehörte zu dieser kleinen Gruppe.

      Wir gaben uns die Hand. Sein Griff war fest und stark wie der eines erwachsenen Mannes. Seine Augen, stechend blau wie Kristers und annähernd auf gleicher Höhe wie die meinen, hielten dem direkten Blick stand, doch zogen sich seine schmalen Augenbrauen einen Tick zu früh nach oben, was geschickt getarnte Aufregung vermuten ließ. Dann lächelte er, das entwaffnende Lächeln eines Jungen im Gesicht eines erwachsenen Mannes.

      „Hallo, Lukas“, begrüßte ich ihn. „Ich nehme an, Krister hat dich bereits darüber aufgeklärt, was wir vorhaben?“

      Luke nickte unbestimmt. Ich hatte irgendein Zeichen von ergreifender Erregung, romantischen Phantasien, berauschender Abenteuerlust erwartet – doch nichts davon. Sein Gesichtsausdruck blieb überraschend neutral.

      „Alles ist besser als hier zu bleiben“, erklärte er sich knapp.

      Ich musterte ihn nochmals genau. Vor mir stand ein kräftiger junger Mann von achtzehn Jahren, in dessen Gesicht sich die stetig verblassende Existenz der untergehenden Kindheit widerspiegelte. Eine kuriose Mischung, die mich ansprach. Doch in seinen Zügen lag noch etwas anderes, vor allem jetzt, wo sein Lächeln verschwand. Da war sie wieder, diese tiefe Traurigkeit, jene unbeschreibliche Schwermut, die um ein Vielfaches besser in das Antlitz eines alten, vom Leben gezeichneten Menschen gepasst hätte und nicht in eines, das an der Schwelle zum Erwachsenendasein stand. Womöglich hielt mich gerade dieser Widerspruch von einer Freundschaft mit Lukas Eastley ab. Wir stießen einander einfach ab, selbst mit gutem Willen bezweifelte ich, jemals gut mit ihm auskommen zu können. Dazu waren wir wohl einfach zu unterschiedlich gepolt.

      „Was ist an Stoney Creek so schlecht?“ wollte ich von ihm wissen.

      „Alles.“ Die Antwort kam ohne zu zögern, pure Melancholie spiegelte sich in plötzlich verletzt wirkendem Blick. „Jeder Tag hier ist wie der andere. Ich freue mich, für einige Zeit wegzukommen.“

      „Wenn dein Leben hier so wenig Sinn macht, warum gehst du nicht fort? Vielleicht findest du drüben in Cape Travis das, wonach du suchst.“

      Er sah mich völlig blank an, bevor seine Antwort kam. „Ich glaube nicht, etwas zu suchen. Ein Suchender würde etwas finden wollen. Wenn es hier etwas zu finden gäbe, hätte ich es sicherlich schon gefunden.“

      Schwerer Tobak. Ich nickte ihm heuchelnd Verständnis zu, begriff aber kein Wort von dem, was er sagen wollte. Luke schien mein innerliches Zögern zu spüren, er kehrte sofort zum ursprünglichen Thema zurück.

      „Krister berichtete bereits, dass du dich auf die Suche nach Rob machen willst. Das finde ich gut. Ich freue mich darauf, euch bis Hyperion zu begleiten. Dein Boot ist bei mir in guten Händen. Ich kann euch in allem unterstützen.“

      Keinerlei Skrupel, das Tabu zu brechen. Es bestätigte mich zwar auf der einen Seite, doch wollte ich es nicht so widerspruchslos hinnehmen. Immerhin hatte er ein Recht darauf, zu erfahren, was möglicherweise vor ihm lag.

      „Wir werden das Tabu brechen müssen, das uns verbietet, den Zadarkanal zu durchqueren, bist du dir dessen bewusst? Dafür wird man uns hier vielleicht ächten, uns womöglich eine Rückkehr nach Hause verwehren. Wenn es denn eine Rückkehr geben wird. Jenseits des Skelettflusses wird der Tod überall lauern, nur auf einen Fehler warten, um zuzuschlagen. Du wirst viele Tage und Nächte mutterseelenallein reisen, wenn Krister und ich in Hyperion von Bord gegangen sein werden. Traust du dir das zu? Hast du davor keine Furcht?“

      Luke lächelte unbeeindruckt das gelassene Schmunzeln eines Kindes, welches man trotz besseren Wissens noch immer mit Schauergeschichten einzuschüchtern beabsichtigte.

      „Deine Worte schrecken nicht“, entgegnete er. „Aber ich sage dir etwas. Ich freue mich auf diese Herausforderung. Wie oft habe ich hier schon die Möglichkeit, mich in Gefahr zu bringen?“

      Ich lächelte überheblich, als wüsste ich, was vor uns lag.

      „Vielleicht werden wir im Reich der Opreju unser Ende finden. Es wird keine Spazierfahrt werden, ich hoffe, das ist dir klar.“

      Mit so etwas konnte man Luke wohl kaum beeindrucken.

      „Der Tod macht mir keine Angst, ich betrachte ihn als einen immerwährenden Begleiter, vor dem Furcht zu haben sinnlos ist. Mich schreckt viel eher das Leben.“

      Diese harschen Worte kamen aus seinem Mund, als stellten sie etwas Alltägliches dar, als beschäftigte er sich ständig in Gedanken damit. Wieder etwas, das mich abstieß. Er sah mich abwägend an, womöglich um herauszufinden, wie seine Worte wirkten. Doch ich verzog keine Miene, als wartete ich auf mehr. Und er sollte mich nicht enttäuschen.

      „Soweit ich verstanden habe, besteht meine Aufgabe im Wesentlichen nur darin, das Boot wieder zurückzubringen. Das gedenke ich zu tun. Warum sollte man mich dafür ächten oder ausstoßen? Selbst wenn“, und er machte sich keine Mühe, den Spott in der Stimme zu verbergen, „es ängstigt mich nicht im Geringsten.“ Doch mit dem Spott kehrte auch unüberhörbar die Schwermut zurück. Konnte man guten Gewissens alles auf das Trauma des frühen Verlustes der leiblichen Eltern zurückführen? Etwas anderes erschien mir unwahrscheinlich. Stellte Todessehnsucht seine Triebfeder dar? Hieß er die Möglichkeit willkommen, auf der Tethys oder irgendwo in Laurussia sein junges Leben zu verlieren? Das war wohl absurd. Wenn er sich wirklich nach dem Tod sehnte, gäbe es unzählige Möglichkeiten, sich hier in Stoney Creek das Leben zu nehmen, warum also dazu in die Ferne ziehen?

      „Ich werde darüber nachdenken“, schloss ich unser Gespräch.

      Luke sah mir noch einmal unverblümt in die Augen, ein beinahe starrer Blick, als duldete er keine Widerrede. Dann setzte er ein lässiges Lächeln auf und meinte: „Ich bin bereit. Wenn du es auch bist.“

      „Davon kannst du ausgehen.“ Ich reichte ihm die Hand zum Abschied. Er ergriff sie ohne zu zögern. Dann wandte er sich zu Krister um, der ihm auf die Schulter klopfte, nickte ihm zu und machte sich in Richtung Küste auf den Weg. Krister und ich sahen ihm eine ganze Weile nach. Luke warf keinen Blick mehr zurück.

      „Er ist und bleibt ein ungewöhnlicher Bursche“, resümierte ich endlich.

      Krister nickte zustimmend.

      „Daran hat sich nichts geändert. Ich habe gelernt, ihn anzunehmen, wie er ist. Aber du kann dich felsenfest auf ihn verlassen. Das ist seine beste Eigenschaft. Du hast aber auch ganz schön dick aufgetragen, Jack.“

      „Ja, vielleicht. Kannst du mir sagen, warum Lukas sein Haar immer so kurz geschnitten trägt? Es sieht so albern aus.“ Ich hatte es eigentlich nicht erwähnen wollen, tat es aber dennoch.

      „Er heißt Luke“, verbesserte Krister geduldig.

      Ich quittierte diesen Einwurf mit leicht angesäuertem Blick.

      „Wer schneidet ihm denn ständig das Haar? Er sieht immer aus wie ein geschorenes Schaf.“

      Krister neigte den Kopf leicht zur Seite. Ein kurioser Ausdruck spielte um seine Lippen.

      „Ich weiß nicht, warum dich das interessiert, aber gut. Luke ist sein eigener Bader.“

      „Sehr ungewöhnlich“, fand ich.

      „Ja, nicht allgemein üblich. Nichts Außergewöhnliches mehr für mich. Ganz im Vertrauen, Jack, du hättest auch mal wieder einen Haarschnitt nötig.“

      Ich lachte.

      „Nein danke. Reine Zeitverschwendung. Sollte mich mein Haarwuchs irgendwann unterwegs stören, kann ich ja Lukas bitten, mich davon zu befreien.“

      Krister kniff das rechte Auge zu.

      „Auch wenn du es geschickt verbirgst, Jack, ich erkenne die Ironie in deiner Stimme sehr wohl.“

      Mit dem Anflug eines Grinsens erwiderte ich: „Fühlst du dich wirklich noch immer für ihn verantwortlich? Er wirkt so selbstsicher und… ja, irgendwie so, als benötigte er eigentlich keinen Aufpasser mehr.“ Blitzschnell wechselte