„Würden Sie mir nun freundlicherweise Ihren Namen verraten?“, sagte sie sanft. Sie hatte eine melodische Stimme, die gut zu ihren anmutigen Bewegungen passte.
Rayan antwortete nichts. Er sah sie auch nicht an, sondern blickte weiterhin auf Weber.
Miriam seufzte, genau das hatte sie vermutet. Trotzdem versuchte sie es erneut: „Hören Sie – ich möchte Ihnen helfen. Wenn Sie uns Ihren Namen sagen und beschreiben, was hier passiert ist, können Sie schneller wieder gehen. Ansonsten müssen wir Sie mit aufs Revier nehmen.“
Doch Rayan blickte stumm weiterhin geradeaus. Er hasste eigentlich die arrogante Art mancher seiner Landsmänner den Frauen gegenüber. Seine Mutter hatte ihn anders erzogen. Aber in diesem Fall fiel ihm nichts ein, wie er sonst noch Zeit hätte schinden können. Und das Wohl seines Sohnes und der anderen drei war ihm wichtiger als die verletzten Gefühle einer Fremden.
Miriam wandte sich an Weber: „Tut mir leid, es scheint, dass er nicht mit mir reden will. Manche … hmm … Männer bei uns sind so.“ Und sie wurde wieder etwas rot, was Rayan ausgesprochen attraktiv fand. Innerlich musste er lächeln über das „hmm“ und stellte sich vor, welches Wort sie da wohl ausgelassen hatte.
„Der Typ verarscht uns doch! Mir platzt hier langsam der Kragen!“, schrie Weber nun seinen Unmut von sich. Er holte lautstark Luft, was ihm zu helfen schien, sich wieder zu beruhigen, dann zog er den Zettel mit Rayans Namen heran.
„Können Sie zumindest lesen, was da steht?“
Die Beamtin nahm den Zettel und versuchte Rayans Handschrift zu entziffern. Sie schrieb den Namen für Weber lesbar auf. Interessiert stellte Rayan fest, dass sie außer seinem Vornamen, die anderen Namen nicht korrekt hatte entziffern können. Prima!
Weber griff zu seinem Telefon und rief irgendwen an, den er dann fragte, ob man unter diesem Namen Einträge finden konnte. Wieder behielt er Rayan dabei scharf im Auge. Offenbar war das Ergebnis negativ, denn frustriert klappte er sein Mobiltelefon wieder zu. „Kein Wunder“, freute sich Rayan. Er wusste genau, dass es aufgrund seines Status keine Informationen über ihn im System geben würde. Er hatte trotzdem unleserlich geschrieben, um kein Risiko einzugehen. Sein Name war gerade hier in München nicht unbekannt und immer wieder einmal in der Presse zu lesen.
Seine sture Haltung ärgerte den Kommissar sichtlich. Zwar war es keine Seltenheit, dass ein Verdächtiger schwieg, davon ließ er sich als alter Hase normalerweise nicht mehr aus der Ruhe bringen. Aber ein untrüglicher Instinkt sage ihm, dass Rayan ihnen etwas vormachte. Und das mit einer Arroganz, als wäre er etwas Besseres.
Auf einmal machte der Kommissar eine Bewegung, als wolle er über den Tisch auf Rayan losspringen, doch Miriam hielt ihn am Arm zurück: „Was tun Sie denn?“, rief sie erschrocken. „Sie werden sich doch wohl nicht provozieren lassen?“
Das brachte den wütenden Mann wieder zur Besinnung: „Schon gut, dann fahren wir jetzt zum Revier. Auch wenn er nicht mit Ihnen spricht, wird er wohl hören, was Sie sagen. Sagen Sie ihm bitte, dass er vorläufig festgenommen ist und wir ihn zur Vernehmung mitnehmen.“
Miriam wiederholte die Worte des Kommissars auf Arabisch. Dann machte der Kommissar Rayan mit ihrer Hilfe klar, dass er aussteigen und in einem Streifenwagen mitfahren solle.
Rayan atmet auf. Bis zur Polizeiwache würden sie gut eine halbe Stunde brauchen, je nach Verkehr vielleicht sogar länger.
02.02.2015 - München - Eilige Abreise
Überraschenderweise schaffte Carina es, sich an die vereinbarten fünfzehn Minuten zu halten und kam mit einer kleinen Reisetasche schnell wieder zum Vorschein, die Tahsin für sie trug, der sie nach oben in die Wohnung begleitet hatte.
Sie hatte es sogar noch geschafft, ihren Ersatzschlüssel zusammen mit einem kleinen Brief bei ihrer Nachbarin einzuwerfen, in dem sie diese bat, sich um ihre Post und ihren Kühlschrank zu kümmern. Dann setzte sie sich zufrieden neben Tahsin hinten ins Auto. Auf ihre Freundin im Apartment nebenan konnte sie sich verlassen.
Jassim und Hanif hatte in der Zwischenzeit wie auf Kohlen gesessen und die Umgebung genau im Auge behalten. Die Erleichterung bei der Rückkehr der beiden war ihnen deutlich anzusehen.
„Was habt ihr denn? War doch gar nicht so schlimm?“, fragte Carina harmlos, was Tahsin zu einem Lachanfall verleitete. Hanif musste daraufhin ebenfalls kurz lächeln. Lediglich Jassim konnte nichts Lustiges an ihrer Situation finden. Trotz Rayans Versicherung, dass er schon klarkomme, machte er sich Sorgen um seinen Herrn. Und mit jeder Minute, die sie später abflogen, verzögerte sich auch die Nachricht an den Mann, der Rayan auf freien Fuß setzen sollte.
Während sie auf Carina warteten, hatten sie dem Piloten die Abflugzeit bestätigt, sowie vier Passagiere angekündigt. Er würde sie an der Sicherheitskontrolle erwarten.
Den Koffer mit dem Gewehr aus dem Flugzeug zu bekommen, war einfach gewesen, denn beim Aussteigen und Verlassen des Sicherheitsbereiches gab es keine Kontrollen des Handgepäcks.
Der Pilot hatte Hanif auf dessen Bitte hin, den Koffer an sein Ankunftsgate gebracht, bevor sie sich vor der Türe ein Taxi gesucht hatten.
Jassim hatte beinahe noch einen Streit mit einem anderen Reisenden gehabt, weil sie sich an der Warteschlange für Taxis schlichtweg vorgedrängelt hatten. Sie wussten, dass Minuten entscheidend sein konnten. Doch Jassims eindrucksvolle Erscheinung hatte den Ausschlag gegeben, dass der Mann nicht auf seinem Vorrecht für das nächste Taxi bestanden hatte. Es gab ja schließlich noch weitere wartende Fahrzeuge.
Jetzt allerdings den Koffer wieder ins Flugzeug zu bekommen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. Aber eine Lösung war schnell gefunden: sie packten kurzerhand die Proben alle in Carinas Reisetasche, die zwar angewidert ihr Gesicht verzog, jedoch nicht weiter protestierte, weil sie selbst ja auch die Notwendigkeit einsah.
Dann gaben sie den Gewehrkoffer samt Inhalt zusammen mit Rayans Wertgegenständen im Hotel ab. Er hatte einen Diplomatenausweis, sein Gepäck war für Kontrollen tabu.
Sie unterschrieben gestresst die Bestätigung der Mietwagenfirma, dass das Fahrzeug NICHT wieder vollgetankt worden war – als hätten sie keine anderen Probleme! Und erneut musste Hanif den aufgebrachten Jassim zurückhalten, einen Streit mit dem Mitarbeiter anzufangen, der offenbar der Meinung war, den Lack des VW besonders gründlich auf eventuelle Kratzer in Augenschein zu nehmen. Dann waren sie endlich an der Sicherheitskontrolle, wo der Pilot sie schon ungeduldig erwartete.
Innerhalb von zwanzig Minuten hatten sie das Terminal hinter sich gelassen und befanden sich sicher an Bord. Alle vier sanken erleichtert in die Ledersitze und schnallten sich an.
Als sich daraufhin das Flugzeug in Bewegung setzte, hob Hanif den Hörer des im Flugzeug eingebauten Telefons ab. Dann wählte er, wie durch Rayan angeordnet, die Handynummer, die er auf dem Zettel aufgeschrieben hatte. Der Reiterführer sprach im Gegensatz zu Jassim Englisch, weshalb ihm die Aufgabe des Anrufs zugefallen war.
Einen Moment lang hatte Hanif Angst, es würde niemand antworten, doch bereits nach dem dritten Klingeln wurde sein Anruf entgegengenommen.
Nachdem er sein Anliegen erklärt und von Rayans Verhaftung erzählt hatte, war es einen Moment still an der anderen Leitung. Dann fragte der Mann: „Das ist ein Witz, oder?“
Als Hanif dies höflich, aber mit Nachdruck von sich wies und gemäß Rayans Vorgaben darauf hinwies, dass diese Telefonnummer schließlich in keinem Telefonbuch zu finden sei, bekam er als Antwort