dem Signalturm von Maratran war die Festung Maratran geworden.
Die Hänge des umliegenden Gebirges waren steil und schroff, und wo die
natürlichen Gegebenheiten ein Ersteigen nicht verhinderten, da hatten die
Konstrukteure und Arbeiter Alnoas nachgeholfen. Während vieler Winter
hatte man heißes Wasser in Spalten und Löcher gegossen und gewartet, bis es
gefror. Der Druck des sich ausdehnenden Eises hatte das Gestein gesprengt,
und die Steigungen wurden unbezwingbar.
Mühsam hatte man vor dem Bau der Festung einen breiten Pfad in den
Hang geschlagen. Dann waren Stein und Geröll bewegt und Erde
herbeigeschafft worden, bis neben dem Signalturm ein beachtliches Plateau
entstanden war. Der zu kleine Brunnen war sorgsam ausgeschachtet und
verkleidet worden. Dann hatte man mit dem Bau der eigentlichen Anlage
begonnen. Alles Material, vom Felsquader bis zum Getreidekorn, musste
hinauftransportiert werden. Es dauerte viele, sehr viele Jahre und forderte das
Leben manchen Arbeiters. Doch dann erhob sich Maratran in neuer Größe
und neuem Glanz über dem Großen Wall.
Bewusst hatte man für den Bau der Festungsmauern den weißen Stein
gewählt, aus dem auch die Bollwerke der Hauptstadt Alneris bestanden.
Einem Leuchtfeuer gleich, mahnte er jeden Feind, dass hier die Garde des
Königreiches stand.
Die Mauern waren extrem dick, obwohl sie kaum von einem Katapult
erreicht werden konnten. Man hatte Ställe und Unterkünfte darin integriert,
und auch die Vorratslager und Waffenkammern befanden sich dort. Inmitten
der Anlage erhob sich der Signalturm. Er war weit größer als sein Vorgänger
und hatte kaum noch Ähnlichkeit mit ihm. An der Basis erinnerte er an eine
plumpe Tonne, über der er sich wie eine sich nach oben stark verjüngende
Nadel erhob. An der Spitze befanden sich das Signalfeuer und eine
Beobachtungsplattform, die eine weite Aussicht über das umliegende Land
bot. Obwohl man den Turm über die innen liegende Treppe ersteigen konnte,
hatte es der frühere Kommandant Maratrans, ein verdienstvoller, doch am
Ende seiner Laufbahn gebrechlicher Adliger, erreicht, dass einer jener
Aufzüge installiert wurde, für die der Königsturm in Alneris berühmt war.
Über eine Vorrichtung aus Winden, Rollen und Seilen konnte man eine
hölzerne Plattform durch das Innere des Turms nach oben bewegen und
wieder herabsenken.
Der neue Kommandant von Maratran hielt nur wenig von solchen
Errungenschaften, doch an diesem Tag gebot es die Höflichkeit, den Aufzug
zu benutzen. Die Hochgeborene Livianya, die neben der stehenden Besatzung
der Festung auch das hier stationierte Regiment der siebenten Gardekavallerie
befehligte, hatte Besuch aus der Königsstadt Alneris erhalten.
Der Hochgeborene Welbur ta Andarat hatte die Statur eines Kriegers, doch
er kämpfte lieber mit Worten als mit der Klinge. Er war Mitglied des
Kronrates und sicherlich kein Freund der Hochgeborenen Livianya. Nach
seiner Meinung gehörte eine Frau nicht in die Reihen der Kämpfer, schon gar
nicht in einer verantwortlichen Position. Frauen hatten die Aufgabe, einem
Mann Freude zu bereiten und die Bettstatt mit ihm zu teilen. Vorzugsweise
die des Adligen ta Andarat.
Livianya kannte die Geschichten, die sich um den Weiberhelden rankten,
und auch die Reden, die er gegen sie, die Kriegerin, führte. Sie hätte ihn am
liebsten von der Plattform des Turms geworfen, wobei sie sich der
Unterstützung durch die meisten ihrer Gardisten hätte sicher sein können.
Aber sie musste den Mann mit Höflichkeit behandeln. Er war es, der im
Kronrat darüber entschied, welche Mittel und Truppen welcher Festung
zugedacht wurden. Es hieß, er habe diese Position durch harte Arbeit
zwischen den Schenkeln der Frau des Kronkanzlers erreicht. Livianya war
bereit, diesem Gerücht zu glauben, als sie die abschätzenden Blicke des
Adligen bemerkte. Sie hätte lieber ihre Rüstung getragen, anstelle des
formellen Gewandes. Sie nahm sich vor, versehentlich auszurutschen und ihn
dort zu treten, wo es richtig schmerzte, wenn er sie noch länger auf solche
begehrliche Weise begutachtete.
Unten an der Winde drehten zwei Gardisten an der Kurbel und ließen die
Plattform dadurch langsam aufsteigen. Sie bemühten sich um gleichmäßige
Bewegungen, aber es ließ sich beim besten Willen nicht vermeiden, dass die
hölzerne Konstruktion gelegentlich wackelte.
Welbur ta Andarat räusperte sich nervös, als dies erneut geschah. »Diese
Plattform ist doch stabil, Hochgeborene?«
»Das ist sie, Hochgeborener.« Livianya erlaubte sich ein schmelzendes
Lächeln. »Für den Fall, dass doch einmal etwas entzweigehen sollte, hat man
unter der Plattform einige mit Luft gefüllte Hornviehmägen befestigt. Sie
sollten die Wirkung eines Sturzes dämpfen.«
Ta Andarat wurde eine Spur blasser und lachte dann nervös. »Nun, wir
sind ja gleich oben. Ich hoffe doch, die Mühsal lohnt sich.«
»Das wird sie, Hochgeborener ta Andarat«, versicherte sie. Hatte er
Mühsal gesagt? Die einzigen Schweißtropfen wurden von den beiden
Männern an der Kurbel vergossen. Und jetzt zückte ta Andarat auch noch ein
feines Tuch und betupfte sich geziert den Mund und die Stirn. Livianya
senkte angewidert den Blick, um sich nicht zu verraten. Sie war froh, fern der
Königsstadt und ihren verweichlichten Adligen zu sein. Männern, die kaum
eine Ahnung vom Kampf hatten, aber über die Belange der Kämpfer
entschieden. Glücklicherweise gab es noch Ausnahmen, wie den König selbst
und den Hochgeborenen Daik ta Enderos, den Oberkommandierenden der
Gardereiter.
Tageslicht erschien über ihnen, und der Aufzug erreichte die Plattform des
Turms. Die zwei wachhabenden Gardisten