Leoryn bedeckte rasch den halb entblößten Körper der Hilflosen. »Wenn
kein Wunder geschieht, wird die Hohe Dame …«
Garwin schnitt ihr das Wort ab. »Ich verstehe. Nun, ich bin mir sicher, sie
ist bei Euch Elfen in den besten und kundigsten Händen.« Wenn die beiden
Ältesten der elfischen Häuser über diese unhöfliche Behandlung verstimmt
waren, so zeigten sie es nicht. Zudem war Garwins Verhalten nur
verständlich, da er in Sorge um seine Mutter sein musste. Er wandte sich zu
Nedeam und Llaranya. »Meine Glückwünsche zu Eurer Vermählung, Hoher
Herr und Hohe Frau.« Sein Blick heftete sich auf den Ersten Schwertmann.
»Wie ich vernahm, hält sich diese Bestie in der Burg auf. Das geschieht ohne
meine Einwilligung. Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass man sie rasch
entfernt.«
Der Erste Schwertmann spürte erneut seinen Widerwillen gegen den
jungen Pferdefürsten. Als dieser sich dem Stuhl am Schreibtisch näherte, war
Nedeam für einen kurzen Augenblick versucht, die drohende Gefahr zu
verschweigen. »Ihr solltet nicht dort Platz nehmen, Hoher Lord.« Die
Ehrenbezeichnung kam ihm noch immer schwer über die Lippen. Stets
verband er die Worte mit dem gütigen Gesicht Garodems. »Dieser Stuhl dort
ist präpariert, er wurde Eurer Mutter zum Verhängnis.«
Garwin erstarrte, und Elodarion erklärte mit wenigen Worten, was es damit
auf sich hatte. Das Gesicht des Pferdefürsten wurde für einen Augenblick
blass. Er betrachtete den in der Lehne verborgenen Stachelpfeil.
»Unzweifelhaft ein heimtückischer Mordversuch. Ein Wunder, dass sie
überhaupt noch lebt. Und Ihr seid Euch sicher, Hoher Lord Elodarion, dass es
sich um das Gift eines Sandmenschen handelt?«
»Es stammt vom Sandstecher, aber es wird von dem Wüstenvolk genutzt,
ja«, bestätigte Elodarion.
»Was für eine ruchlose Tat«, murmelte Garwin. »Dann besteht keine
Hoffnung mehr?«
»Wir werden für die Hohe Dame tun, was in unserer Macht steht«,
versicherte Leoryn. »Doch wir sollten sie nun in ihre Kammer bringen, wo sie
Ruhe hat und gepflegt werden kann.«
»Ja, tut das«, murmelte Garwin. Er sah nachdenklich auf die Landkarte an
der Wand des Amtsraumes. Es war eine elfische Karte, welche die Marken
des Pferdevolkes und die angrenzenden Länder zeigte. Weitaus genauer und
detaillierter als bei menschlichen Karten üblich. »Nun werde ich mich wohl
ganz allein um das Wohl der Hochmark kümmern müssen.« Er seufzte.
»Hoher Herr Nedeam, ich werde Euch im Lauf des Tages meine
diesbezüglichen Weisungen geben. Doch nun muss ich Euch alle bitten, mich
allein zu lassen. Ich bin vom Ritt erschöpft, und die Sorge um meine verehrte
Mutter macht mir die Gedanken schwer.«
Garwin wirkte weder erschöpft noch sonderlich besorgt. Aber Nedeam war
da sicherlich voreingenommen, wie er sich eingestand. Die beiden
Heilerinnen trugen Larwyn mit der Hilfe zweier Schwertmänner behutsam
aus dem Raum. Man würde sie in ihre Gemächer bringen, und Nedeam war
sich sicher, dass der besorgte Tasmund eine zuverlässige Wache vor ihren
Räumen postieren würde. Bedienstete stellten die Möbel wieder an ihren
Platz, mit Ausnahme des todbringenden Stuhls. Auf Meowyns Weisung
wurde er vorsichtig in ihre Heilerstube gebracht, wo sie den gefährlichen
Stachelpfeil entfernen und untersuchen wollte.
Elodarion hielt Nedeam zurück, als dieser ebenfalls der Aufforderung
Garwins folgen wollte. Der Erste Schwertmann war noch zu betroffen, um
klar zu denken, wie ihm Elodarions nun folgender Einwand bewies. »Mit
Verlaub, Hoher Lord Garwin, doch es gibt Dringlicheres zu regeln als die
Geschäfte der Mark.« Der Elf deutete auf die Stelle, an welcher der Stuhl
noch vor Kurzem gestanden hatte. »Dies war ein heimtückischer
Mordanschlag, und der Täter ist noch nicht gefasst.«
Nedeam zuckte zusammen. Es wäre seine Pflicht gewesen, daran zu
erinnern.
Garwin erwiderte den Blick des Ältesten mit ausdruckslosem Gesicht.
Schließlich nickte er zögernd. »Ihr habt recht, Hoher Lord Elodarion. Das gilt
es zu bedenken. Doch der Meuchelmörder wird längst entflohen sein.« Er sah
zu Nedeam. »Wahrscheinlich hat er sich unter die Gäste Eurer Feier gemischt
und sich nach der Tat unerkannt aus dem Staub gemacht.«
»Das ist nicht gesagt, Pferdefürst Garwin«, erwiderte Elodarion. In seiner
Stimme schwang eine Spur von Verachtung mit. Ob diese dem Täter oder
dem Pferdefürsten galt, war nicht auszumachen. Aber die Elfen fühlten sich
Garwin nicht verbunden. Er hatte sich geweigert, ihnen beizustehen, als sie
seine Hilfe benötigten. Nedeam, Dorkemunt und der tote Garodem hingegen
hatten mit ihrer Unterstützung keinen Augenblick gezögert. »Wer auch immer
den Stachelpfeil im Stuhlpolster verbarg, er muss es während der
Vorbereitungen für die Feier getan haben. Davor war die Hohe Dame Larwyn
noch in diesem Raum.«
»Auch während der Feier kann es nicht geschehen sein«, überlegte
Nedeam. »Die Ehrenwache stand vor der Tür. Jeder Unbefugte wäre von ihr
aufgehalten worden.«
Garwin sah seinen Ersten Schwertmann abschätzend an. »Was wollt Ihr
damit andeuten, Hoher Herr Nedeam? Dass es ein Bediensteter der Burg
war?«
Diese Aussicht gefiel Nedeam ebenso wenig wie dem Pferdefürsten. Doch
sein Verdacht war noch ungeheuerlicher. »Kein einfacher Bediensteter, Hoher
Lord.«
Garwins Augen wurden schmal. »Was Ihr da sagt, gefällt mir nicht, Erster
Schwertmann!«
Elodarions Gesicht war unbewegt, als er an Nedeams Stelle antwortete.