Doch scheint's bemerkenswerth:
Wenn einst der Wage Züngelein
Sich mitten inne stellt,
Das soll ein sich'res Zeichen sein
Vom Untergang der Welt.
Drum glaubt nicht, was Propheten lang,
Schon in die Welt posaunt,
Es ist zum nahen Untergang
Die Welt noch nicht gelaunt.
Posaunen Jericho's, der Schall
Euch viel zu früh entquillt:
Ihr seht ja, daß noch überall
Bamberger Wage gilt.
210. Bamberger Wage.
Von K . F . G . W e t z e l .
Zu Bamberg in dem Dome
Ruht Kaiser Heinrich wohl,
Der Zweite dieses Namens,
Den Jeder deutschen Samens
Mit Recht hochhalten soll.
Auf seinem Grab gehauen
Steht die Gerechtigkeit,
Zu ihrer Hand die Wage;
Davon geht eine Sage
Aus grauer Väterzeit.
Das Zünglein an der Wage
Nicht ganz die Mitte hält;
Wann's aber gleich wird stehen,
Wird man anbrechen sehen
Das Ende dieser Welt.
In Walserland bei Salzburg
Ein wilder Birnbaum ist,
Ganz ausgedorrt zu schauen,
Der, einmal umgehauen,
Frisch immer wieder sprießt.
Wenn er zum vierten Male
Ausschlägt und Früchte trägt,
Wird sein in Walserfelden
Wohl eine Schlacht der Helden,
So all' die Bösen schlägt.
Dann herrschen die Gerechten
Auf Erden eine Zeit
Noch vor dem jüngsten Tage,
Bis ihnen steht die Wage
Ew'ger Gerechtigkeit.
211. Die Jungfrau an der Fürstenthüre des
Domes zu Bamberg.
Mündlich.
Der Wärter am Jakobsthore zu Bamberg hatte eine
Tochter von großer Schönheit. Da fanden sich lüsterne
Herren, das Mägdlein zu verführen; sie widerstand
aber allen Einflüsterungen und bewahrte ihre
Unschuld. Das verdroß den Satan, und er brachte es
dahin, daß die reine bei ihrem Vater sündigen Wandels
angeklagt wurde. Der Vater glaubte den falschen
Aussagen und ließ sein eignes Kind zum Tode verurteilen.
Als sie nun hinausgeführt wurde und auf dem
letzten Gange an der Fürstenthüre des Domes die auferlegte
Buße verrichten sollte, warf sie sich auf die
Kniee und rief zur heiligen Jungfrau: sie wolle gern in
den Tod gehen, nur möge die Schmach der Hinrichtung
von ihr genommen werden. Und siehe, als sie
das Wort gesprochen, fällt ein Ziegel vom Dach mit
großer Gewalt und schlägt die flehende todt. Alles
Volk erkannte die Unschuld der Tochter, und zum
Angedenken wurden zwei Bildsäulen: der heiligen
Jungfrau und des Mägdleins – dieses fünf Ziegel in
der Hand – an der Fürstenthüre des Domes aufgestellt1.
Fußnoten
1 Fünf Gesetztafeln, als Anspielung auf die 10 Gebote.
So weiß das Volk zu deuten nach seiner Art.
212. Der Meßner zu Bamberg.
Von P h i l i p p W i l l .
Der Meßner Jobst zu Bamberg ward
Gar gern geseh'n bei frohem Schmause:
Ihn lockte mehr der Zecher Art,
Als frommer Dienst im Gotteshause.
Und wenn des Nachts bei vollem Glas
Die heiße Wang' ihm thät' erglühen
Bei Wein und Minnesold, vergaß
Er leicht des Tages heil'ge Mühen.
So war er einst vom Weine spät
Nach Mitternacht zur Ruh gegangen,
Und ohn' ein frommes Nachtgebet
Hat ihn der Schlummer bald umfangen.
Und hohl, wie aus dem Grabe tönt
Ein Pochen in des Domes Raume.
So dumpfen Tones nicht gewöhnt,
Erwachte Jobst aus schwerem Traume.
Und eilt voll Angst der Kirche zu,
Späht' rings im Tempel gar verdrossen,
Was ihn gestört aus süßer Ruh'
Ob wohl ein Beter eingeschlossen.
Er schaute nichts, doch plötzlich stieß
Sein Fuß an eines Grabmals Kante,
Das prunklos diese Inschrift wies,
Die nicht des Frommen Namen nannte:
»Es leuchte hier ein ew'ges Licht
Zu meines Namens Angedenken,
Und täglich sei's des Meßners Pflicht,
Die Lampe frisch mit Oel zu tränken.«
»Schlaf' still in deinem dunklen Haus,
Dir leuchten Gottes Sterne alle.«
So rief der Meßner frevelnd aus,
Eilt brummend aus des Tempels Halle.
Still war's. Der freche Spötter schlief.
Doch horch'! Welch' schaurig Grabespochen
Jobst wieder aus dem Schlafe rief,
Daß ihm begann das Blut zu kochen.
»So schweige doch, du todter Mann!
Was willst du mir die Ruhe stehlen?
Nicht zünd' ich dir die Lampe an,
Bis du mich suchst in meinen Pfählen.«
Es klirrt – erzittre Bösewicht! –
Es öffnet sich des Zimmers Thüre.
Da steht der Geist. »Riefst du mir nicht?
Nun folge mir, wie ich dich führe.«
Zum Dome rauscht es hin im Flug,
Das Thor geht auf, der Geist bleibt stehen
Am Grab. »Nun Jobst die Hand zum Krug,
Und thue jetzt, was nicht geschehen!«
Der Meßner that nach dem Geheiß;
Der Geist versank in Grabesstille,
Jobst aber fror das Blut zu Eis,
Geschehen war des Frevlers Wille.
Siehst du im Dom den Beter knie'n?
Jobst ist's,