Sie wendet sich halb froh, halb bange,
Und horcht dem wunderbaren Klange.
Und vor dem Klang in Luft zerflogen
Sind alle Flämmlein fort im Nu;
Sie wandelt mächtig angezogen
Dem wunderbaren Klange zu;
Er führt sie weit auf Weg und Stegen,
Und endlich aus des Walds Gehegen.
Und dämmern siehet sie die Häuser
Des Weilers aus der Ferne schon;
Da klingt es leis' und immer leiser,
Und gar verklungen ist der Ton;
Schnell mit andächtiger Geberde
Senkt betend sie das Knie zur Erde.
Sie weinet frommen Dankes Thränen,
Ihr Haupt verhüllend in's Gewand,
Den Rettern, die mit leisen Tönen
Sie riefen von des Todes Rand;
Dann will sie freudig aufwärts schauen,
Und sieht den Tag im Osten grauen.
Und sieht mit rothbestrahlten Zinnen
Auf fernem Berg ihr hohes Schloß;
Sie rafft sich auf, und eilt von hinnen
In ihres bangen Vaters Schooß.
Mit Staunen aus der Tochter Munde
Hört er die wundervolle Kunde.
Dann baut er auf derselben Stelle,
Allwo sein Kind sich wiederfand,
Ein kleines Thürmlein und Kapelle,
Mit Schieferdach und Mörtelwand;
Und in des Thurmes höchstem Stocke
Hängt hellen Klanges eine Glocke.
Und bei des Abends ersten Sternen
Schlägt hoch im Thurm das Glöcklein an,
Durchhallt des Waldes weite Fernen,
Und ruft den irren Wandersmann;
Er folgt getrost mit sichern Schritten
Dem Rufe zu des Weilers Hütten.
Das Glöcklein hängt in der Kapelle
Dreihundert Jahr und drüber schon,
Und immer klingt es klar und helle,
Und immer heller wird sein Ton.
Es heißt, zu seiner Stiftung Kunde,
Irrglöcklein bis auf diese Stunde.
194. Die lichten Steine.
L. B e c h s t e i n S. 200.
Inmitten des Steinschuttes der Burgruine Lichtenstein
erheben sich hochragend zwei Felsenblöcke über dem
Boden, und es geht die Sage, daß dieselben seit undenklichen
Zeiten in dieser Stellung gestanden, nämlich
einer dicht über dem andern gelehnt und geneigt,
ohne daß einer den andern berührt, und so dem Lichte
zwischen sich freie Bahn lassend. Davon soll nun
auch der Namen der Lichtensteiner, sowie ihr Wappen
herrühren, welches zwei weiße gezackte Steine im
rothen Felde, deren Spitzen sich nicht berühren, zeigt.
Man sagt, so lange diese Steine ständen, werde das
Geschlecht nicht gänzlich erlöschen, und so lange sei
der alten Burg Wiederaufbau zu hoffen. Noch ist auch
das Geschlecht der Freiherren von Lichtenstein nicht
erloschen; doch gingen die meisten der ehemaligen
Besitzungen in fremde Hände über, und viele wurden
Eigenthum der Grafen von Ortenburg, Rotenhan u.A.
195. Das Schneidersloch.
Die vor. Schrift S. 201.
Im Bereich der Burgtrümmer von Lichtenstein befindet
sich eine in Stein gehauene Felshöhle, die wird
das Schneidersloch genannt. Wildes Gestrüpp bedeckte
die Oeffnung, und sie konnte mit einem Steinblock
verschlossen werden. Im Innern erblickt man
eine Vertiefung am Boden, wie eine Feuerstätte, und
eine Art Futteral eingemeiselt, für eine Scheere. Hier
soll sich, so geht die Sage, zur Ritterzeit ein keckes
Schneiderlein verhalten haben, das lauerte den Knappen
auf, wenn sie einzeln mit Beute beladen, in die
Burg heimzogen, und erschoß sie tückisch und
meuchlings, worauf es dann herausfiel und die Gefällten
beraubte. Dieses Wesen trieb das Schneiderlein
lange Zeit, bis endlich seine Unthaten an das Licht
kamen, da ist es mit feurigen Scheeren und glühenden
Nadeln zu Tode gemartert worden.
196. Die Fickmühle1.
Die vor. Schrift S. 202.
Auf einer Felsenspitze in der Nähe der Burgruine
Lichtenstein soll eine sogenannte Fickmühle eingegraben
sein. Dort spielte einst der Teufel mit einem
Ritter. Gewann der Ritter, so mußte ihm der Teufel
eine lange Reihe von Jahren dienstbar sein, ohne
Lohn, gewann der Teufel, so war des Ritters Seele
sein eigen, ohne daß er demselben zu dienen brauchte.
Man weiß nicht, wer das Spiel gewonnen hat. Andre
sagen, hier habe Gustav Adolph mit seinen Generalen
um Dukaten gespielt, und diese aus einem noch zu sehenden
ausgehöhlten Loch, das man das Dukatenloch
nennt, genommen.
Fußnoten
1 Anderorts Zwickmühle, das bekannte Bretspiel,
vom alten Ficca, hin- und herfahren.
197. Wüstung Erbrechtshausen.
Die vor. Schrift S. 189.
Ueberm Schloß Königsberg gegen Morgen, wo man
nach Bramberg und Ebern geht, zwischen dem
Sperbersheig und Roßberg, einem Walde, liegt einsam
in der ebenen Feldflur ein Schafhof und über ihm
öde Kapellentrümmer. In dieses Hofes Nähe stand
einst ein Dorf, dessen Namen er fortpflanzt: Erbrechtshausen,
welches nach der Umwohner Sage versunken
ist. Noch steht ohnweit des Hofes die Dorflinde
neben einem Brünnlein, und die Kapelle hieß St.
Jakobskapelle und hat zum Dorfe Erbrechtshausen
gehört. Noch nicht lange ist's her, daß man nahe der
Kapelle mehrere alte Leichensteine liegen sah, doch
mit unlesbarer Schrift. Es soll dort nicht richtig und
geheuer, und bisweilen in gewissen stillen Mondnächten
das Dorf Erbrechtshausen wieder so, wie es vordem
gestanden, auf der