auch haben G r i m m in den Kinder- und Hausmärchen,
V o n b u n in den Vorarlberger, B e c h s t e i n
in den Fränkischen, H e r r l e i n in den Spessartsagen
u.A. bereits Proben mundartlicher Erzählung geliefert.
Mehr als diese bedarf die Aufnahme von S a g e n
a u s d e m M u n d e d e r D i c h t e r der Rechtfertigung.
Ich weiß, was die streng wissenschaftlichen
Herrn davon halten. Sie betrachten die Dichter der
Sagen wie Tempelräuber und ihre Poesie wie Versündigung
an der Wahrheit. Daher wissen sie nichts Besseres
zu thun, als poetisch eingekleidete Sagen, wo
sie sich vorfinden, in die nackende Prosa aufzulösen.
Auch hier ist gefehlt worden außer und inner der
Mauern. Es ist wahr, daß die Dichter der Gegenwart
nicht selten die Sage verfälscht, ihrer wesentlichen
Grundzüge beraubt und willkürlich auf einen fremden
Boden übertragen haben; allein es ist Unrecht, auf
diese Anschuldigung ein Vorurtheil zu Ungunsten der
Dichter überhaupt zu gründen. Viele von ihnen haben
die der Sage schuldige Treue so gut gewahrt, als die
prosaischen Erzähler. Wem ist es unbekannt, wie unsere
besten und edelsten Dichter, die A r n i m ,
B r e n t a n o , C h a m i s s o , E b e r t , G e i b e l ,
G ö t h e , K e r n e r , P l a t e n , R ü c k e r t ,
S c h l e g e l , S c h i l l e r , S c h w a b und hundert
Andere, Sagen der Vorzeit in herrlichen Liedern erneuet
und dem Volke gleichsam wieder gegeben
haben? Und daß diese Klänge aus dem Munde der
Dichter von dem Volke mit Lust vernommen werden,
beweisen wiederholte Sammlungen derselben von
A u g u s t N o d n a g e l , J . G ü n t h e r , K a r l
S i m r o c k u.A., obwohl ich die Einseitigkeit solcher
Bücher nicht verkenne, weil weder alle Sagen sich
von Dichtern leidlich bearbeitet finden, noch alle zur
poetischen Behandlung tauglich erscheinen. – Unter
den von mir aufgenommenen Gedichten befinden sich
auch historische Volkslieder älterer Zeit. Die bekannten
Sammlungen von B ü s c h i n g , G ö r r e s ,
A r n i m und B r e n t a n o , H o r m a y r , S o l -
t a u , E r l a c h , W o l f f , K ö r n e r , U h l a n d
u.A. enthalten noch mehrere, als die hier mitgetheilten;
allein die Trockenheit und Ausgesponnenheit vieler
Stücke dieser Art machten eine Beschränkung der
Auswahl wünschenswerth10. –
Was den poetischen Werth der aufgenommenen
Stücke angeht, so werden die Kenner dieser Literatur
finden, daß ich viele mittelmäßige Sagengedichte oder
wiederholte Bearbeitungen eines und desselben Stoffes
ausgeschlossen habe. Wenige minder gelungene
Gedichte sind um ihres strofflichen Werthes willen
eingereiht worden. Die vaterländische Schule wird
vieles für ihre Zwecke, namentlich deutschen Unterricht,
Dienliches in dieser Sammlung finden; wenigstens
ist es Zeit, Stoffe für Muttersprachübungen
mehr im Bereiche der Heimat als in Hindostan und
China, in Lappland und Sibirien zu suchen. Dabei
will ich mich aber ausdrücklich gegen die Zumutung
verwahren, als ob dieses Buch u n m i t t e l b a r für
die Jugend bestimmt sei.
5. Abgrenzung und Anordnung.
Das Feld der Sage berührt in weiter, unsteter Begrenzung
die Geschichte, Legende, Poesie, selbst die Naturwissenschaft.
Ihr Begriff ist ein unbestimmter,
mehr durch stillschweigendes Übereinkommen, als
scharfe Definition festgestellter, daher man in verschiedenen
Büchern den Umfang des Sagengebietes
verschieden bezeichnet findet. Ich bemerke hier ausdrücklich,
was ich Mehr oder Weniger als Andere
aufgenommen habe. Einmal wurden (nach dem Vorgange
der G r i m m , deutsche Sagen II. S. XII.) diejenigen
größeren H e l d e n s a g e n ausgeschlossen,
welche im eigenen und lebendigen Umfang ihrer
Dichtung auf unsere Zeit gekommen sind. Alsdann
waren der L e g e n d e (Heiligen- und Wundersage)
gegenüber enge Schranken zu ziehen, weil ihr Begriff
ein so schwanker ist, daß sich Verbürgtes und Unverbürgtes,
Geschichtliches und Sagenhaftes darin berührt.
Uebrigens haben die meisten Sagensammler gerade
dieses Gebiet auffallend vernachläßigt. Was
A v e n t i n (ann. l. III. p. 363 Ingolst. 1554) über
die Menge und häufige Wiederholung legendenartiger
Sagen bemerkt, gibt dem Forscher einen Wink zur
Behutsamkeit11. Ich stellte an die Mehrzahl d i e s e r
Sagen zur Aufnahme in diese Sammlung die Forde-
rung, daß Etwas wirklich vom Volke gesagt, nicht
bloß in einer Schrift behauptet worden. Noch bemerke
ich gegen unverständige Folgerungen aus der Aufnahme
von Legenden, daß ein S a g e n buch kein
L ü g e n buch ist.
Schwierig, in vielen Fällen unmöglich war es, eine
scharfe Grenzlinie zwischen Geschichte und Sage zu
ziehen. Die Sage ist oft nichts Anderes, als die neben
der urkundlichen Geschichte bestehende mündliche
Ueberlieferung. Ich habe mich beflissen, beide Gebiete
auseinander zu halten, nur einige Ausnahmen sind
mit historischen Gedichten gemacht. Es gibt nämlich
gewisse romantische und ritterliche Ereignisse vaterländischer
Vorzeit, welche gleich Sagen im Munde
des Volkes leben, auch von den Dichtern besungen
worden. Ich weiß keinen schicklicheren Ort für Mittheilung
derselben, als ein Sagenbuch. N o d n a g e l ,
G ü n t h e r , S i m r o c k haben vor mir das Gleiche
gethan. Mit ihnen will ich Recht oder Unrecht haben.
Auch die G e b r ä u c h e und S i t t e n stehen in
naher Beziehung zur Sagenwelt. Ich höre,