A. Nodnagel.
1. Vorwort.
S e i n e M a j e s t ä t M a x i m i l i a n I I . ,
K ö n i g v o n B a y e r n , gewährten mir allerhuldvollst
Gelegenheit, dieses Buch, das bei der beschränkten
Muße des Lehramtes nur äußerst langsam
gedeihen mochte, in verhältnißmäßig kurzer Frist zu
Stande zu bringen. Dafür sei dem erhabenen Förderer
vaterländischer Forschung innigster Dank gesagt.
Sodann erfordert nicht nur Dankespflicht, sondern
einfache Ehrlichkeit, die Namen jener Männer bekannt
zu geben, welche mich durch schätzbare Mittheilungen
gefördert haben. Da jedoch die Zahl
derselben noch zur Stunde, da ich dieses schreibe, im
Zunehmen begriffen ist, so will ich erst am Schlusse
des Werkes einer mir angenehmen Pflicht genügen1.
Es ist hier nicht der Ort, mit einer Abhandlung
über Sagenforschung und Sagenpoesie hervorzutreten,
einmal weil ich mir bei diesem Buche nicht Zwecke
der Forschung, sondern vorerst der Sammlung und
Erweiterung des Materials gesetzt habe; zum andern,
weil die Bedeutung der Sagen für mythische und geschichtliche
Forschung, Sitten- und Literaturgeschichte,
Kunst und Poesie schon längst durch eine hinreichende
Zahl von Beispielen dargethan ist. Ich beschränke
mich daher auf etliche Andeutungen und Bemerkungen,
welche zur Rechtfertigung, zum Verständnisse,
und zum Gebrauche dieses Buches nothwendig
scheinen.
2. Literatur und Quellen bayerischer
Sagenkunde.
Die Bedeutung der Volkssagen neuerdings zum Bewußtsein
geführt zu haben, muß als gemeinsames
Verdienst der Romantiker und der Germanisten bezeichnet
werden. Man hatte vordem alle diese Dinge,
welche das gutmütige Volk als Sagen, Märchen und
Legenden im Munde führte, von Seite der kritischen
Meister als eitel Lug und Trug, Aberglauben und Fabelwerk
gebrandmarkt. Wenn Geschichtsforscher des
vorigen Jahrhunderts, wie der ehrliche J . H . v .
F a l k e n s t e i n , dergleichen Lappalien ja noch der
Aufzeichnung werth hielten, so geschah es nur mehr,
um den Lesern hie und da einen Spaß zu machen,
nicht ohne männigliche Verwahrung von wegen anzumutender
Leichtgläubigkeit. Ein späteres Geschlecht
– jener Periode, da man mit dem Aberglauben
zugleich den Glauben austrieb–hielt solcherlei
Dinge nicht mehr der Rede werth. Das hat ein Halberstädtischer
Bauer gar treffend gesagt: »Der alte Fritz
hat die Zwerge verjagt, aber Napoleon hat allen Spuk
aus dem Lande vertrieben«2. Gerade um diese Zeit
des Napoleon erfuhr die deutsche Literatur einen raschen
und seltsamen Umschwung durch die Romantiker.
An die Stelle der französischen Verstandeseinsei-
tigkeit trat eine bis an Fieberhitze grenzende Gefühlsinnigkeit.
Nun ward das Mittelalter und mit ihm das
alte romantische Land der Märchen und Sagen betreten.
Dichter, Sprach- und Geschichtforscher wanderten
gemeinsam dahin und brachten Vieles, was vordem
der Verachtung Preis war, in der Wissenschaft
wie beim Volke zu Ehren. Von diesem Zeitpunkte
schreibt sich ein eifriges Streben, jene einfältigen, von
Poesie durchhauchten, Klänge der Sage aus dem
Munde des Volkes zu erlauschen und für Zwecke der
Forschung wie der Unterhaltung zusammen zu bringen.
Die Dichter fanden nämlich, daß in diesen verachteten
Kleinigkeiten ein reichhaltiger Fond urfrischer
Begeisterung verschlossen liege. Den Mythenforschern
ging eine neue Welt auf: man denke nur an
G r i m m ' s Mythologie. Die Geschichtschreiber bemerkten,
wie die Sage oft wunderbaren Beleg für anderweitig
Erkanntes oder Fingerzeige und Wege zu
erfolgreicher Weiterforschung, oder Einblicke in den
Geist der Zeiten gewähre. Als nun die beiden
G r i m m nach unbedeutenden Vorgängern den ersten
Versuch machten, die deutschen Sagen mit Ausnahme
der größeren Heldensagen in einer dem Volke mundgerechten
Sammlung an's Licht zu stellen, war der
Anstoß zu einer ganzen Literatur gegeben; denn nun
setzten sich allerorts in Deutschland die literarischen
Bergleute in Bewegung, stiegen nieder in Gruben und
Schachte, in Grüfte und Klüfte, zu den Zwergen und
Wichtlein, den Kobolden und Elfen, und förderten das
edle Metall der Sage klumpenweise zu Tage. Es
wurde gesammelt in allen Gegenden Deutschlands,
mit mehr oder weniger Treue, mit mehr oder weniger
Vollständigkeit. Heutzutage ist diese Literatur dergestalt
angewachsen, daß eine bibliographisch-kritische
Ueberschau zu wünschen wäre. Vielleicht liefert sie
A. N o d n a g e l in Darmstadt, der sich seit Jahren
mit einer deutschen Sagenkunde beschäftigt. Mir, der
ich zunächst Bayern vor Augen habe, kann es nur gestattet
sein, die das bayrische Sagengebiet berührenden
neueren Schriften namhaft zu machen.
Der Erste, welcher um jene Zeit der wiedererwachenden
Studien des germanischen Mittelalters zu
einer Sammlung der Sagen von Bayern aufforderte, ist
R a d l o f gewesen. Sein Aufruf scheint indessen,
gleichwie ein solcher von D o c e n , überhört worden
zu sein3. Eine dritte Mahnung erging aus dem Munde
eines Ungenannten in den Bayrischen Annalen 1833.
Auch diese Aufforderung scheint wie die früheren
keine sichtbaren Früchte getragen zu haben. Warum?
Ich deute das so. Einmal bietet das Volk selbst, in
welchem die Sage lebt, die größten Hindernisse der
Erforschung, denn es verhält sich dem Gebildeten und
Fremden gegenüber scheu und schweigsam