deter Furcht, von den »studierten Herren« des Aberglaubens
willen verspottet oder verlacht zu werden.
So sagen- und märchenreich die Spinnstube ist: in
dem Augenblicke, wo ein Studierter eintritt, verstummt
sie. Zum Andern scheint der Gewinn aus Mittheilung
noch unbekannter lebender Sagen zu hoch
angeschlagen worden zu sein. Ein großer Theil der
Sagen findet sich in Zeit- und Reisebüchern, Landesund
Ortsbeschreibungen, belletristischen, Unterhaltungs-
und andern Blättern bereits aufgezeichnet, so
daß es nicht sowohl einer Reise durch das Land, als
durch die Literatur des Landes bedarf, um eine sehr
große Anzahl jener Sagen kennen zu lernen. So fand
ich viele Sagen, welche mir als neue und unbekannte
warm aus dem Volksmunde mitgetheilt wurden, bereits
in Schriftquellen aufgezeichnet; daher ich vermute,
daß die Herausgabe einer bayerischen Sagensammlung
auch darum hinausgeschoben wurde, weil man
zuviel von Originalmittheilungen erwartete und
immer vergebens wartete. Es soll damit nicht im Geringsten
verkannt werden, welcher Schatz von Sagen
noch aus dem Volke zu erheben sei; man will nur andeuten,
auf welchem Wege wenigstens ein Anfang gemacht
werden konnte. Denn es war eine schöne und
verdienstliche Arbeit, wenn man einstweilen die g e -
s c h i c h t l i c h e n Sagen des Landes gesammelt
hätte. Die Gebrüder Grimm hatten ein Beispiel gege-
ben. Unter 951 von ihnen gesammelten Sagen find
schwerlich dreißig nicht aus Schriftquellen geschöpfte.
Deßgleichen – um etliche Beispiele zu bringen –
sind die märkischen Sagen von A. K u h n , die preußischen
von T e t t a u und T e m m e , die deutschen
von J . W . W o l f beinahe ausschließlich aus
Schriftquellen gesammelt.
Den Vorwurf, welcher überhaupt wegen der Aufnahme
von Sagen aus Chroniken gemacht werden
könnte, hat bereits T e m m e (die Volkssagen von
Pommern und Rügen. Berlin, 1840 S. VIII.) zurückgewiesen.
Nicht der Chronikschreiber hat die Sage erfunden
und gemacht; sie existirte vielmehr im Volke,
der Chronikschreiber fand sie schon vor und theilte
sie nur weiter mit. »Es ist hiernach also die Aufnahme
der Sage in die Chroniken gerade ein Beweis für ihre
Echtheit als Sage; denn das Volk hatte sie sich so
ganz und gar zu eigen gemacht, daß selbst der gelehrte
Chronikant sie gläubig, als Wahrheit mittheilte.
Rührte aber auch die Sage wirklich von dem Chronikanten
als dessen Erfindung her, so würde sie auch
hierdurch nichts von ihrem Charakter verlieren. Denn
auch die echteste Volkssage ist, sofern sie nicht einen
geschichtlichen Boden hat, zuerst von Einem, gläubig
oder ungläubig, aufgenommen und weiter erzählt, und
so zur Sage geworden. Ob dieses ursprüngliche Erzählen
von Einem aus dem Volke oder von einem
Chronisten ausgegangen ist, bleibt gleichgültig, denn
die Sage ist nur dadurch geworden, daß das Volk sie
in sich aufnahm, sie als einen denkwürdigen Theil
seines Lebens betrachtete, als solchen sie zu seinem
Eigenthum machte und sie weiter erzählte. Auch das
läßt dieser Gattung der Volkssagen sich nicht zum
Vorwurfe machen, daß sie nicht mehr im Volke leben,
sondern nur noch in den todten Büchern stehen. Es
genügt, daß sie einmal als Sage des Volks wirklich
gelebt haben.«
Haben wir nun seit den Aufrufen von R a d l o f
und D o c e n auf eine das Königreich Bayern umfassende
Sagensammlung vergebens gewartet, so ist dagegen
für einzelne Gebiete und Oertlichkeiten mitunter
Erhebliches geschehen. Einer der ersten Versuche
dieser Art waren die S a g e n u n d L e g e n d e n
d e r B a y e r n in einer Reihenfolge von Romanzen
und Balladen. Von A d a l b e r t M ü l l e r und
F r a n z X . M ü l l e r . Regensburg 1833. Die wenigen
(27) hier mitgetheilten Sagen sind poetisch behandelt
und gehören nur der Oberpfalz, Ober- und
Niederbayern an. Auf Quellen wird nicht verwiesen.
Uebrigens sind die Herausgeber treue Erzähler und
begabte Dichter, leider – was Süddeutschen oft widerfährt
–4 nicht der verdienten Beachtung gewürdigt. –
Ein neuer Versuch wurde in den G e s c h i c h t e n ,
S a g e n und L e g e n d e n d e s B a y e r l a n d e s
von B. M e r t e l und G. W i n t e r gemacht. Die
Herausgeber dieser seit 1845 zu Nürnberg ohne Verlagsangabe
in vier Bändchen erschienenen Sammlung
haben die Sagen keineswegs in ihrer Einfachheit und
Treue belassen, sondern auf unverantwortliche Weise
umgestaltet, erweitert, in Erzählungen und Novellen
verwandelt. Das Gleiche geschah in einem früheren
Buche: B a y e r i s c h e V o l k s s a g e n von H.
W i l l i n g . Nürnberg 1826. 2 Bdchen., worin von
»Volkssagen« in der That keine Spur zu finden. Dieser
Art sind manche der schönsten und gehaltvollsten
Sagen von unverständigen Schreibern für Unterhaltungsblätter
bearbeitet, zugestutzt, entstellt und vernichtet
worden. –
Nach solchen Verirrungen mußte F . P a n z e r ' s
B e i t r a g z u r d e u t s c h e n M y t h o l o g i e .
München 1848. allen Freunden vaterländischer Sagenkunde
willkommen sein. Der Verfasser hat sich indessen
nur das Feld der mythischen Sage und auch da
wieder die Sage von den drei Schwestern zur besonderen
Aufgabe gesetzt, so daß seine Schrift nicht als
Sagensammlung von Bayern, sondern als eine Monographie
zur deutschen Sage, geschöpft aus bayerischen
Quellen, zu gelten hat. – Außerdem ist mir kein