Luisa kämpfte einen inneren Kampf, sie konnte doch ihre beste Freundin nicht ins offene Messer laufen lassen, es war ihre Pflicht sie vor diesem Typen zu warnen.
„Pauline, bitte sei vorsichtig, nachher wirst du wieder enttäuscht und du weißt ja, wie so etwas endet …“
„Ah, war klar, dass du mir wieder alles vermiesen wirst“, zischte Pauline ins Telefon, „du und dein ewiger Pessimismus, gönne mir doch das kleine amouröse Abenteuer“, dann spielte sie die beleidigte Leberwurst und schwieg.
„Sorry! Es tut mir leid!“, entschuldigte sich Luisa für ihre Ermahnung. „Vergnügen: Ja! Aber pass bitte auf dich auf.“
„Hab verstanden“, muffte Pauline zurück.
„Sehen wir uns am Montag, üblicher Ort, gewohnte Zeit?“, fragte Luisa.
„Ja, ich muss Schluss machen, meine Mutter wartet auf ihre Tabletten und nervt“, knurrte sie, „bis nächste Woche! Und schönes Wochenende!“
„Ja, dir ebenso!“
Am nächsten Morgen erwachte Luisa mit Kopfschmerzen, „autsch“, das letzte Glas Rotwein am gestrigen Abend war wohl doch zu viel, schlaftrunken blinzelte sie zu Carl, doch der schlief tief und fest wie ein Murmeltier. Irgendwann in der Nacht hatte sie ihn kommen hören, eigentlich wollte sie noch mit ihm reden, doch der übermäßige Alkoholkonsum ließ dies nicht mehr zu – er hatte sämtliche Funktionen ihres Körpers lahmgelegt. Luisa kämpfte sich aus dem Schlaf, setzte sich aufrecht und sah zu ihrem schlafenden Ehemann.
Als sie vor fünfundzwanzig Jahren geheiratet hatten, sagte Carl: wir sollten uns mit dem Nachwuchs noch Zeit lassen, ab dem Zeitpunkt nahm sie jeden Morgen die Pille, er bastelte an seiner Karriere und sie ging brav ihrer Arbeit nach, und in ihrer Freizeit jetteten sie gemeinsam um die halbe Welt. Irgendwann war sie Anfang Dreißig und plötzlich fehlte etwas zwischen ihnen, der Wunsch nach einem Kind wurde mit einem Male zum Zwang. Alles kein Problem meinten die Ärzte damals, schließlich sei die Wissenschaft soweit, dass sie fast alles ermöglichen konnten. Sie begann mit einer Hormontherapie und danach folgte eine nervenaufreibende und qualvolle Zeit, gespickt mit emotionalen Hochs und Tiefs; auch der Sex wurde nicht mehr der Lust überlassen, sondern nach ihrem Eisprung – der zuvor mit einer Spritze, einer hormonellen Stimulation, ausgelöst wurde. Nach einigen Jahren, fünfzehn Inseminationen und drei extrakorporalen Befruchtungen, befand man schließlich, dass es sinnlos wäre das Thema: Kinder, weiter verfolgen zu wollen – das Schicksal hatte offensichtlich andere Pläne mit ihnen. Ein halbes Jahr später hatten sie eine Reise in die Karibik gebucht, unverhofft und ohne irgendwelche Hormon-Mittelchen wurde sie schwanger – die Freude war riesig, doch die Eizelle hatte es nicht bis in die Gebärmutter geschafft, sondern setzte sich dummerweise im Eileiter fest, nach einer Not-OP folgten dann noch einige depressive Phasen.
Mit Tränen in den Augen streifte Luisa zärtlich über Carls Hand, denn ab dem Zeitpunkt war ihre Ehe eine andere. „Wo bist du?“, flüsterte sie, „ich vermisse dich, ich vermisse deine Zärtlichkeiten, unser Lachen, ich vermisse unser Leben!“, und in diesem Augenblick hätte sie nur allzu gerne ihren ganzen Seelenschmerz herausgeschrien.
Carl sah sie kurz unter halbgeöffneten Augenlidern an, ohne etwas zu sagen drehte er sich zur anderen Seite um, gerade so, als ginge ihn das überhaupt nichts mehr an.
Luisa schwankte ins Bad, nach der Einnahme einer Kopfschmerztablette und einer heißen Dusche versteckte sie ihren Kummer unter einem perfekten Make-up. Als sie aus dem Bad kam, drängte sich sogleich Carl an ihr vorbei.
„Hast du Lust auf ein gemeinsames Frühstück?“, fragte sie bevor er wieder die Tür schließen konnte, „vielleicht auf der Terrasse? Es ist herrliches Frühlingswetter und die Sonne lacht!“
„Gib mir dreißig Minuten!“, antwortet Carl, dann schloss er die Tür, ja, er verriegelt sie sogar – was er sonst nie tat.
Verwundert über sein eigenartiges Verhalten stierte sie zur geschlossenen Tür, „wir müssen reden“, hörte sie sich selbst sagen.
Rasch, bevor er wieder auf die Idee kommt mit irgendwelchen Ausreden zu flüchten, bereitete sie ein Frühstück zu: Tee, Spiegeleier, gebratener Speck und Toast, so wie Carl es liebte. Während sie am Terrassentisch saß und wartete, hörte sie die beiden Nachbarskinder im Garten toben. Die Nachbarn waren erst in den Wintermonaten eingezogen. Die Frau kannte sie nicht, sie sah nur immer den Vater, der allmorgendlich die beiden Mädchen wegbrachte, sie schätzte die beiden Kinder auf fünf und sieben Jahre. Luisa lehnte sich in ihrem Gartenstuhl zurück, um die spielenden Kinder zu beobachten. Eifrig stellten die Mädchen einige Blumentöpfe in einem Kreis auf, mit freudigem Geplapper verschlossen sie dann die Lücken mit Tannenzapfen, Moos und eben alles was sie an Grünzeug finden konnten. Als sie fertig waren schleppte die Große ein Zwergkaninchen an und setzte es mitten hinein, die Kleine kam mit einer Karotte hinterher, anschließend hüpften sie fröhlich und singend um ihren selbstgebauten Stall. Ihr Juchzen und ihre Freude darüber zauberten Luisa ein Lächeln aufs Gesicht. Irgendwann hörte sie den Vater die Kinder ermahnen nicht zu laut zu werden, woraufhin die beiden Mädchen Luisa einen verstohlenen Blick zuwarfen. Luisa fand die Verwarnung des Vaters etwas übertrieben und winkte den beiden Mädchen mit einem Lächeln zu, die Kleinste winkte verschämt zurück und versteckte sich sogleich hinter ihrer großen Schwester, die war jedoch mutiger, pflückte ein Gänseblümchen und kam damit an die Grundstücksgrenze – die lediglich aus einer mickrigen und lückenhafte Hecke bestand – gehüpft.
Luisa eilte ihr entgegen.
„Hier, für dich!“, sagte die Kleine und hielt ihr mit einem unbekümmerten Lächeln das Blümchen entgegen.
„Für mich!“, fragte Luisa erstaunt und war über ihre Geste zu Tränen gerührt – und genau das waren die Momente, in denen sie ihre Kinderlosigkeit zu tiefst bedauerte.
„Ja, weil wir so laut waren“, entgegnete die Kleine mit einem schüchternen Lächeln.
Eine erste Träne kullerte über Luisas Wange.
„Macht dich mein Blümchen traurig?“, fragte das kleine Mädchen enttäuscht.
„Nein, nein“, lachte Luisa und wischte sich sogleich die Tränen fort, „im Gegenteil, ich freue mich riesig darüber.“
Luisa hielt das Blümchen in ihrer Hand und fragte: „und wer schenkt mir das?“
„Ich und meine Schwester!“, antwortete die Kleine.
Luisa musste nun selbst über ihre ungeschickte Frage schmunzeln, „nein, ich meine wie heißt du denn?“
„Bella, das ist die Abkürzung von Annabella“, fügte sie prompt hinzu, und um ein Nachfragen auszuschließen, drehte sie sich blitzschnell um und lief zurück zu ihrer kleinen Schwester.
„Tschüss Bella … und Danke für das Blümchen“, rief sie ihr nach.
Wenn damals ihre dusselige Eizelle diese verfluchten paar Millimeter weiter in die Gebärmutter gewandert wäre, könnte sie jetzt auch Mutter sein – und noch immer, nach all den Jahren, empfand sie Schmerz und Trauer bei diesem Gedanken.
Mit einem Seufzer wandte sie dem Kinderglück den Rücken zu. „Oh Gott, Carl“, schrak sie sogleich zusammen, „stehst du schon lange hier?“
„Gerade erst gekommen“, antwortete Carl und als er den Tränenglanz in ihren Augen bemerkte, legte er tröstend seine Hand auf ihre Wange und sagte: „Lass endlich los. Was nicht mehr zu ändern ist, wird sich auch nicht mehr ändern. Lass uns in die Zukunft sehen“, anschließend drehte er sich um und ging in großen Schritten zur Terrasse zurück.
Wortlos fingen sie an zu frühstücken, zwischendurch trafen sich immer wieder ihre Blicke und ihre Gedanken, doch es war alles gesagt, es schien keinen Anknüpfungspunkt mehr zwischen ihnen zu geben, es war, als ob Carl eine unsichtbare und unüberwindbare Mauer zwischen ihnen errichtet hätte die keine