„Na, mit der Einstellung, liebe Pauline, wird das nie etwas mit deinem Ritter!“
„Was ist eigentlich mit dir?“, fragte Pauline mit einem leicht provokanten Unterton in der Stimme.
„Was meinst du?“, stutzte Luisa.
„Wie läuft’s denn in deiner Ehe so? Früher hast du öfter über Carl und eure Reisen berichtet!“
„Gut!“, antwortete Luisa achselzuckend – und insgeheim musste sie ihr zustimmen! Sie und Carl waren schon lange nicht mehr verreist!
„Gut!“, kommentierte Pauline, „bedeutet so viel wie: abgehakt, erledigt oder es könnte besser sein!“
„Es läuft“, entgegnete Luisa knapp – sie hatte jetzt keine Lust über ihre Ehe zu reden.
Pauline schüttelte den Kopf, „wohin läuft’s denn?“, stänkerte sie weiter.
„Pauline, es reicht. Du bist heute wirklich ungenießbar. Ich würde sagen ich fahre Nachhause“, mit Blick zum Kellner hinterm Tresen gerichtet, ergänzte sie: „gönne dir einen Snack und werde wieder normal“, dann stand sie auf und ging.
„Entschuldigung, war nicht so gemeint“, rief Pauline ihrer Freundin nach – doch zu spät, vor ihrer miesepetrigen Laune hatte auch Luisa die Flucht ergriffen.
Während der Heimfahrt dachte Luisa über Paulines Frage nach, dabei musste sie sich selbst eingestehen, dass ihr Eheleben bereits im Dämmerschlaf lag.
Sie und Carl waren seit fünfundzwanzig Jahren zusammen, am Anfang liebte sie ihn wie man einen Kometen liebt, doch die Intensität dieser Art von Liebe wurde zusehends von Alltagsproblemen, langweiligen Fernsehabenden und einem überfüllten Terminkalender – von Seiten ihres Mannes – überschattet, und wenn sie nicht aufpassen würden, würde ihre Ehe bald in einem abgestandenen Fahrwasser enden.
„Nein, das muss sich ändern“, murmelte sie, und da Carl gute Essen liebte, er ein Gourmet war, beschloss sie kurzerhand zum Feinkostenladen zu fahren – früher hatten sie dort gemeinsam und auch regelmäßig eingekauft. Während sie durch den Laden schlenderte hatte sie ihr Verführungsmenü für den Abend bereits zusammengestellt: als Appetizer sollte es ein Lachstatar mit Avocado geben, danach ein Steinbutt-Filet auf Fenchelgemüse, sowie Carls Lieblingsdessert: Mousse au Chocolat, dazu einen kühlen Sauvignon Blanc.
Zuhause angekommen bereitete sie alles vor, sie deckte den Tisch hübscher als sonst ein und gönnte sich danach ein ausgiebiges Bad. Gegen zwanzig Uhr saß Luisa, bei Kerzenschein und zu allem bereit, am Tisch. Es wurde einundzwanzig Uhr und von Carl noch immer keine Spur – keinen Anruf und keine SMS – nichts, auch ihre Versuche ihn erreichen zu wollen blieben erfolglos. „Okay“, knurrte sie, „eine Viertelstunde gebe ich dir noch“, dabei schnippte sie ihre unbequemen Pumps schon mal von den Füßen, öffnete den Reißverschluss ihres enganliegenden Etuikleides und legte die Beine über die Tischkante, enttäuscht griff sie nach der Weinflasche und füllte ihr Glas randvoll auf. Während sie nun das Glas, Schluck für Schluck, leerte, checkte sie immer wieder ihr iPhone – nichts. Carl schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. „Wo bist du?“, zischte sie, „die Viertelstunde ist längst vorbei“, verärgert über ihn und überhaupt ihren Ärger im Büro, begann sie den Tisch abzuräumen, unsanft und fluchend verstaute sie alles im Kühlschrank dabei entdeckte sie die Mousse au Chocolat: Carls Lieblingsdessert, sie griff nach einem großen Löffel und stopfte die süße Köstlichkeit hastig in sich hinein, und während sie das tat, kam ihr wieder Paulines Dementi über ihre Ehe in den Sinn: abgehakt, erledigt, oder es könnte besser sein – jetzt war ihr übel. Sie ließ das Kleid über ihre Schultern gleiten und setzte sich, mit einem Cognac zur besseren Verdauung der Mousse, sowie ihrem ganzen unnützen Gedankenwirrwarr, auf die Couch. Nach einigem Grübeln, aber auch um sich selbst zu beruhigen, sagte sie: „Ach was, ihre Ehe ist in Ordnung – Punkt!“ Carl wird bald Nachhause kommen, sich mit irgendwelchen Entschuldigungsfloskeln und einem Gute-Nacht-Küsschen neben sie ins Bett legen und einschlafen, am nächsten Morgen würde der ganz normale Alltag seinen Lauf nehmen.
Kurzentschlossen rief sie Carin an, um nachzuhören wie es ihr geht.
Sie war auch gleich an der Strippe. „Was gibt’s?“, fragte sie mit leicht gereizter Stimme.
„Ich wollte nur mal nachhören, wie es dir geht?“, hakte Luisa vorsichtig nach.
„Das Beleidigt-Sein überlasse ich Pauline“, antwortete Carin knapp.
„Es tut mir leid, aber du kennst sie ja, sie hat das nicht so gemeint.“
„Hör auf sie immer wieder in Schutz zu nehmen. Pauline ist ein Trampel und das wird sich auch nicht ändern, solange sie ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommt.“
„Du solltest nicht so hart mit ihr ins Gericht gehen, sie hat zurzeit erhebliche Probleme mit ihrer kranken Mutter …“
„Ja, und vor lauter Frust futtert sie sich kugelrund und kehrt dann die Schlechtgelaunte hervor.“
„Komm, gib deinem Herzen einen Ruck und sei wieder gut!“, versuchte Luisa einzulenken.
„Auch wenn sie deine Freundin ist, so muss ich noch lange nicht ihre Freundin sein.“
„Ach bitte Carin“, flehte Luisa, „ich mag euch beide und ich kann es nun mal nicht ertragen, wenn ihr euch zofft.“
Carin grummelte etwas Unverständliches in ihren Bart, „okay, okay, okay“, sagte sie schließlich, „aber nur weil du es bist.“
„Du bist ein Schatz!“
„Schon gut. Aber wieso bist du noch nicht im Bett?“, fragte Carin erstaunt.
„Weil Carl ganz offensichtlich mal wieder mit seinen Arbeitskollegen versackt ist und ich alleine bin.“
„Ist in eurer Ehe alles in Ordnung?“
„Was habt ihr eigentlich alle mit meiner Ehe!“ wunderte sich Luisa, „es ist alles bestens.“
„Dann ist’s ja gut!“, gab Carin knapp zurück. „Bist du Morgen im Büro?“
„Ja!“
„Dann lass uns bei einem gemeinsamen Mittagessen reden“, schlug Carin vor, „ich bin müde und muss in die Horizontale.“
„Gut, dann treffen wir uns, wie gewohnt, um die Mittagszeit im Philosophen-Café. Gute Nacht.“
„Jaaa …‘nacht … ‘nacht und schlaf gut!“
Luisa stierte noch eine ganze Weile das iPhone in ihren Händen an. Keine Frage, Carin war immer noch sauer. Pauline hatte nun mal die unangenehme Eigenschaft und nützte jede Gelegenheit um ihre Finger in Carins Wunde zu legen.
Warum Carin ihre beiden Söhne bei ihm Vater zurücklassen musste, hatte schließlich triftige Gründe. Beide Kinder sind in London geboren und hatten die englische Staatsbürgerschaft, und da ihr damaliger Ehemann einer der besten Rechtsanwälte in London war, man ihm sogar nachsagte, dass er hin und wieder auch Mitglieder des Königshauses bei Rechtsfragen beriet, waren ihre Chancen auf ein Sorgerecht gleich Null. Von Carin wusste sie nur, dass er gerne einmal und unter Alkoholeinfluss, zuschlug. Den Kontakt zu ihren Kindern hatte sie aber nie abgebrochen – heute sind beide erwachsen und führen ihr eigenes Leben.
Am nächsten Morgen, als Luisa schlaftrunken über Carls Kopfkissen tastete, stellte sie fest, dass sein Bett noch immer unberührt war. Der erste Gedanke der sich ihr aufdrängte war: es wird doch nichts passiert sein! Carl würde sie doch nie im Unklaren lassen, jedenfalls nicht, wenn er über Nacht wegblieb. Während sie wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Haus rannte, kamen ihr bereits die schlimmsten Gedanken: Gleich, ja, gleich würde die Polizei vor der Tür stehen und ihr mit ernster Miene die Mitteilung überbringen, dass ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kam. Nur mit dem Nachthemd bekleidet und in Pantoffeln lief sie zur Garage – leer, erneut