Im Schatten der Erinnerung. Rose Hardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rose Hardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752934823
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und mit großen Augen sah er seine Frau an, und für einen winzigen Moment, für den Bruchteil einer Sekunde, signalisierte sein Blick: es ist aus, unsere Liebe ist erloschen.

       Er brauchte keine Worte, denn auch so hatte sie ihn verstanden, und gerade das war das Besondere an ihrer Liebe.

      „Ist das dein Ernst“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

      Er senkte seine Augenlider und nickte stumm. Dann stand er auf und ging.

      Das war’s also, dachte Luisa, wobei ein kalter Schauer ihren Körper zum Beben brachte und ihr Herz mit einer Eiseskälte traf. Mit einem kurzen Kopfnicken hatte er ihrer Ehe den Todesstoß versetzt. Unfähig auch nur noch einen Mucks von sich zu geben, saß sie völlig bewegungsunfähig da, und erst als die Haustür geschlossen wurde, sah sie entsetzt auf. „Nein … Carl … das kannst du mir nicht antun“, rief sie und rannte ihm nach. „Carl, du kannst mich doch nicht einfach hier so hier sitzen lassen! Du bist mir eine Erklärung schuldig! Hörst du?“

      Carl stoppte, machte eine Kehrtwende und kam zu ihr zurück. Seine Mimik verriet nichts Gutes.

      Luisa wollte nicht hören, dass er sagt: Es ist aus! Und aus ihrer Verzweiflung heraus fing sie an alte Pläne aus ihrer Erinnerungsschatulle hervorzuziehen: „Weißt du noch, was wir uns alles versprochen hatten? Wir wollten gemeinsam alt werden. Wir wollten die ganze Welt erkunden. Wir wollten zum Taj Mahal dem Palast der Liebe nach Indien. Wir wollten nach Argentinien … und … und nach Patagonien, auch wollten wir nach Afrika. Ja, das waren unsere Pläne!“, ihre Stimme bebte vor Angst und Verzweiflung.

      „Luisa, bitte“, unterbrach er sie, „ich bin noch nicht soweit, um mit dir darüber zu reden!“

      Entsetzt sah sie ihn an, „was heißt du bist noch nicht soweit?“

      „Ach, Mist“, fluchte er und strich dabei mit beiden Händen fest über seinen Kopf, „du bist mir mit deiner Fragerei zuvor gekommen.“

      „Hast du eine andere Frau kennengelernt?“, fragte sie ihn direkt, „hey, Carl, „das war keine Frage sondern eine Geständnisaufforderung!“

      „Nein … ja … ich meine natürlich nicht! Bitte Luisa gib mir ein wenig Bedenkzeit“, flehte er, wobei er plötzlich ziemlich hilflos wirkte.

      „Was gibt es da zu bedenken, entweder du hast eine andere Frau oder nicht! Und wenn es so ist, so habe ich, als deine Ehefrau, ein Recht auf die Wahrheit“, entgegnete sie.

      „Ja“, antwortete er nun völlig ruhig, „du hast ein Recht auf die Wahrheit, doch die kann ich dir erst dann geben, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, wenn ich selbst weiß was die Wahrheit ist.“

      „Feigling! Feigling! Feigling!“, zischte sie ihm entgegen, doch es war sinnlos ihn provozieren zu wollen, er hatte auf stur geschaltet und war unangreifbar geworden.

      Wortlos setzte er sich in seinen Wagen und fuhr los.

      Fassungslos sah sie ihm nach, dabei strahlte ihr höhnisch die Werbeaufschrift seines Firmenwagens: Wir schaffen Lebensräume für eine sichere Zukunft, entgegen. „Ja, fahr nur“, knurrte sie, „lauf nur vor der Antwort davon, es ist ja bloß unsere Zukunft die du zerstörst.“ Luisa stand noch eine ganze Weile da, sie sah dem davonfahrenden Fahrzeug nach und wusste nicht wie ihr geschah. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so hilflos, so einsam und verlassen gefühlt wie in diesem Augenblick. Was könnte sie tun? Wie könnte sie ihn zurückgewinnen? Wie festhalten? Nein, sagte ein inneres Gefühl, Carl hat sich längst von dir gelöst, nur du, du weigerst dich noch die Wahrheit zu akzeptieren. Der Gedanke daran war so niederschmetternd und so verletzend, dass sie am liebsten laut geschrien hätte. Vor Verzweiflung schlug sie die Hände vors Gesicht, du musst dich irgendwie und mit irgendetwas ablenken, schoss es ihr durch den Kopf. Ohne groß zu überlegen schlüpfte sie in Schuhe und Jacke, schnappte ihre Einkaufstasche und machte sich auf Einkaufstour in die Innenstadt.

      Später fand sich Luisa auf dem Wochenmarkt wieder. Zwischen einer Vielzahl von einkaufslustigen Menschen, Gemüseständen und fliegenden Händlern versuchte sie sich im Getümmel abzulenken. Einige Marktleute priesen lautstark ihre Produkte an, andere wiederum reichten kleine schmackhafte Delikatessen zum Probieren, und dazwischen sorgten immer wieder Straßenmusikanten mit bekannten Ohrwürmern für gute Laune. Obwohl Luisa keine typische Marktgängerin war, sie auch nur sporadisch hierher kam, so fühlte sie sich am heutigen Morgen, und gerade nach der Auseinandersetzung mit Carl, von der Atmosphäre wohlig aufgenommen. Kurz vor der Einkaufsmeile entdeckte sie ein kleines Café, der Betreiber hatte aufgrund der frühlingshaften Temperaturen bereits Tische und Stühle einladend in der Sonne platziert. Der ideale Platz, um bei einem Latte Macchiato der Musik zu lauschen und das verletzte Seelchen zu trösten. Passend zum traumhaften Wetter und der guten Markt-Stimmung, ertönte irgendwann Sunshine Raggea. Luisa wurde sogleich um fünfundzwanzig Jahre zurückversetzt, sie dachte an ihren ersten gemeinsamen Urlaub auf Jamaika und bekam dabei eine Gänsehaut. Carl sah damals so unverschämt gut aus, er war groß, schlank und braun-gebrannt, seine blauen Augen strahlten mit dem Blau des Meeres um die Wette und seine blonden Locken kringelten sich um seinen Kopf, und wenn er lachte, tauchten auf seinen Wangen süße Grübchen auf, in Erinnerung huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, … und was haben wir gelacht, ging es ihr durch den Kopf. Ja, er wirkte damals wie ein großer Lausejunge der neugierig auf das Leben und die Liebe war – man musste ihn einfach lieb haben. Mit einem kaum hörbaren Herzensseufzer lehnte sich Luisa zurück, sie schlug die Beine übereinander, wippte mit den Füßen nach den Klängen des Raggeas und ließ jene Zeit Revue passieren. Eigentlich war Carl viel zu gutaussehend für sie, doch er hatte sich für sie entschieden, und sie war stolz so einen Traummann an ihrer Seite zu wissen. Die Freiheiten, die sie sich damals im orange-schimmernden Abendlicht zwischen den Bettlaken eines Hotelzimmers auf Jamaika gelobt hatten, wollten sie sich für immer bewahren: keine Vorhaltungen, keine Mutmaßungen, keine Eifersucht und keine Vorschriften! Dies alles hatten sie sich damals, und auch später vor dem Traualtar, hoch und heilig versprochen – und noch heute war sie festentschlossen an ihrem Ehegelübde festzuhalten – sie musste sich nur in Geduld üben, sicherlich war es nur eine vorübergehende Phase von Carl „ja“, seufzte sie voller Zuversicht!

      Aus den Augenwinkeln entdeckte sie dann ein langsam vorbeifahrendes Fahrzeug, der Schriftzug: Wir schaffen Lebensräume für eine sichere Zukunft, ließ sie aufblicken. Das war doch Carl! Was macht er hier? Das Fahrzeug parkte genau auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Luisas Herz pochte vor Aufregung. Leicht geblendet von der Sonne hielt sie schützend die Hand über ihre Augen. Ein Sonnenstrahl traf nun genau auf Carls Lockenschopf – der mittlerweile nicht mehr blond, sondern leicht ergraut war. Er stieg aus dem Wagen und eilte zur Beifahrerseite, um jemandem aus dem Wagen zu helfen. Bitte lass es keine Frau sein, flehte Luisa innerlich. Ups … Entwarnung! Es war keine Frau. Eine erste Erleichterung breitete sich aus. Sie schob den Stuhl etwas zurück, um ihn nun aus sicherer Entfernung, ohne selbst gesehen zu werden, zu beobachten. Er half einem jungen Mann mit einer Halskrause aus dem Wagen, ganz offensichtlich hatte er Mühe alleine auszusteigen, als er es endlich und mit Carls Hilfe geschafft hatte, entdeckte sie, dass sein rechtes Bein in einem Verband steckte. Carl stützte ihn so gut er konnte, gemeinsam humpelten sie dann Richtung einer Arztpraxis für Orthopädie. Luisa dachte sofort an Carls Autounfall und an seine Worte: wir hatten einen Unfall, und als sie nachhakte und wissen wollte, wer denn noch bei ihm im Wagen saß, hatte er seine Aussage revidiert und gesagt, dass er alleine war. Warum hatte er sie belogen? Noch eine ganze Weile stierte sie zur Eingangstür, wobei ihre Beine schon vor Unruhe zuckten und sie geneigt war ihnen in die Praxis zu folgen. Aber wie sollte sie ihr Erscheinen erklären? Nein, jetzt nur keine falschen Schlüsse ziehen und auch keine Mutmaßungen anstellen! Fünfundzwanzig Jahren hatten sie einander blind vertraut und das Vertrauen wollte sie auf gar keinen Fall in Frage stellen. Alles wird sich aufklären, „ja alles“, sagte sie laut, um sich selbst wieder zuversichtlich zu stimmen.

      „Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte die Kellnerin.

      „Was? Ah … nein!“, entgegnete sie irritiert,