Im Schatten der Erinnerung. Rose Hardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rose Hardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752934823
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nur ein Zufallsprodukt auf dieser Welt ist, muss er sich ablenken.“ Während der aufdringliche Fremde, mit einer unterschwelligen Arroganz, das Gemälde vor ihnen in Augenschein nahm, dachte Luisa: einfach ignorieren, nur nicht antworten, dann wird er schon gehen.

      Jedoch unbeirrt von ihrer Zurückhaltung redete er weiter: „dabei ist für viele Akteure der Kunstwelt, die Kunst so etwas wie ein existenzieller Weg geworden, um endlich ihrem verpfuschten Leben wieder einen Sinn zu geben.“ Unvermittelt machte er dann einen Schritt zurück, um sich nun das Bild auf Distanz anzusehen, „viel zu grelle Farben“, kritisierte er mit nachdenklich gespitzten Lippen, „es heißt, dass wir Farben mit Geschmack assoziieren … oder was meinen Sie?“ – wobei sie nun seinen Blick unangenehm im Rücken verspüren konnte.

      Luisa sah an ihrer farbenfrohe Kleidung herunter und bereute, dass sie nicht ihr blaues Bänker-Outfit anbehalten hatte – da wäre ihr diese Anmache erspart geblieben!

      „Sehen sie den Apfel auf dem Bild“, fuhr er zeitversetzt und mit einem unangenehmen Unterton in der Stimme fort, „er steht in der christlichen Welt für die Versuchung … die Verführung … und die Vertreibung aus dem Paradies …“

      Luisa spürte bereits seinen heißen Atem in ihrem Genick, bitte nicht, bibberte sie innerlich, doch zu spät, sein übergroßes Riechorgan hatte bereits leichte Beute in ihr gewittert, „und die Farbe Rot steht für die Liebe“, fuhr er nun leise und schweratmend fort.

      Seine Aufdringlichkeit katapultierte Luisa sogleich in die Hilflosigkeit.

      Sich seiner Beute schon sicher, stand er plötzlich ganz dicht hinter ihr, langsam wanderte sein Blick über ihre Schultern in ihr Dekolleté, „komm, lass uns gehen“, flüsterte er und schnalzte dabei mit seiner Zunge.

      „Hey, zisch ab, fremdes Terrain!“, hörte sie plötzlich Carins Stimme, die ihn wie einen räudigen Straßenköder davon scheuchte.

      „Ach, Carin“, kam es erleichtert über Luisas Lippen, „du hast mich gerettet!“

      „Keine Sorge, das ist nur ein harmloser Spinner!“, tröstete sie ihre Freundin, man nennt ihn auch Johannes der Täufer, er ist auf fast jeder Vernissage anzutreffen und immer baggert er Frauen mit der gleichen Masche an. „Nicht darüber nachdenken, einfach ignorieren“, sagte sie, „er ist nicht ganz dicht da oben“, wobei sie mit dem Finger an ihre Schläfe tippte.

      Carin legte ihren Arm um Luisas Schulter und seufzte: „so, ich glaube ich habe genug“, wobei sie einen kleinen Rülpser nicht mehr unterdrücken konnte, „ups“, lachte sie, „sorry, zu viel Champus – wir können!“

      „Gott sei Dank“, seufzte Luisa, „ich dachte schon der Abend geht nie zu Ende.“

      „Ja hat es dir denn nicht gefallen?“, fragte Carin mit enttäuschter Miene.

      Hinter vorgehaltener Hand flüsterte Luisa: „also eines weiß ich mit Sicherheit: Kubismus ist nichts für mich.

      „Barockmalerei ist da wohl eher dein Ding“, lachte Carin.

      „Pssst“, machte Luisa, „nicht so laut. Na, wenigstens kann man da etwas erkennen!“

      „Ja, aber so was von“, schmunzelte Carin, „da muss ich immer an unser Rubensgirl: Paulinchen, denken“, wobei sie mit den Händen einen wohlportionierten Frauenkörper nachformte und sich dabei sehr witzig vorkam.

      Kopfschüttelnd sagte Luisa: „Du bist unmöglich! Weißt du das? Außerdem bist du betrunken. Komm, lass uns ein Taxi ordern.“

      „Moment, ich muss mich noch verabschieden …“

      „Nix da, wir machen heute mal den Abgang auf polnisch“, flüsterte Luisa und schupste Carin Richtung Ausgang.

      „Okay, okay, okay aber nur, wenn‘s bei dir noch einen Absacker gibt.“

      Aus dem Absacker wurden zwei Stunden, sie leerten eine Flasche Rotwein und redeten dabei über Gott, die Welt, den Sex und die Männer. Carin schwelgte irgendwann in Erinnerung an ihre Schulzeit und schwärmte von einem Florian aus ihrer siebten Klasse. „Mein Gott, der Florian“, seufzte sie, dann ließ sie sich mit einem milden Lächeln und einem verträumten Blick rücklings auf die Couch fallen.

      „Wir hatten einen Tom“, bemerkte Luisa naserümpfend, wobei einige Szenen aus jener Zeit vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen.

      Und wenn sie heute darüber nachdachte, so fand sie ihn nur deshalb so toll, weil die anderen Mädels ihn unwiderstehlich fanden – eigentlich fand sie ihn blöd.

      „Damals ging es den Jungs doch nur um Sex“, bemerkte Luisa sich erinnernd.

      „… und den Mädels ums Verliebt-Sein“, fügte Carin hinzu. „Erst viel, viel später merkt man worauf es im Leben wirklich ankommt: es kommt auf die Liebe an“, hauchte Carin, „die uneigennützige und wahre Liebe“, dann nahm sie ein kleines Kissen, drückte es auf ihr Herz und schwelgte weiter in Erinnerungen.

      Luisa sah nun erwartungsvoll zu ihr hin.

      „Damals, als ich meine Lehre in einer Londoner Rechtsanwaltskanzlei begonnen hatte, ist mir Steven – er war der Sohn des Chefs – über den Weg gelaufen, es hat Klick gemacht und ich war sofort verliebt in ihn. Ja, ja die Liebe“, seufzte sie, dabei drückte sie das Kissen noch ein wenig fester an ihr Herz.

      „Du hast nie viel über dein Eheleben berichtet. Warum eigentlich nicht?“, hakte Luisa nach.

      „Aus Scham! Wer gibt schon gerne Niederlagen zu.“ Nach einem kurzen nachdenklichen Schweigen fing sie zu erzählen an: „Wir waren frisch verheiratet und sooo verliebt“, schwärmte sie, „doch das Glück war nur von kurzer Dauer. Einige Wochen später erlag Stevens Vater einem Herzinfarkt und Steven musste die Kanzlei übernehmen. Tja, und damit fing das ganze Drama an: er stürzte sich in die Arme der Justitia und wurde zum Workaholic. Irgendwann stieg er dann in das Leben der High-Society ein, es folgten Geschäftsessen mit Großkapitalisten, wilde Partys, Segelturns und Golf-Reisen, und dann kam was kommen musste: Frauen, Frauen und nochmals Frauen, dazu reichlich Alkohol! Auch, wenn ich damals gewollt hätte, ich hätte ihn nicht einfach verlassen können, denn er liebte seine Kinder abgöttisch und sie liebten ihn, also harrte ich einige Jahre aus. Tsss … und trotz seines exzessiven Lebensstils wuchs die Kanzlei. Ja, und eines Tages, als er von einem angeblichen Geschäftsessen – in einer Parfümwolke – nach Hause kam, habe ich ihm eine Szene gemacht und ihm angedroht ihn mit den Kindern zu verlassen“, nachsinnierend an jene Zeit hielt sie kurz inne, „daraufhin hat er mich geohrfeigt, mich gewürgt und mir gedroht, er sagte: wenn du mir die Kinder nimmst bist du tot!“ In Erinnerung löste sich eine erste Träne aus ihren Augen, „am nächsten Morgen fand ich dann auf dem Frühstückstisch einen Zettel worauf stand: „Wenn du gehen möchtest, nur zu, ich werde dich nicht aufhalten! Mein Ältester, er stand kurz vor der Volljährigkeit, stand hinter mir und sagte: „Du musst deinem Leben endlich einen Sinn geben, Mum, kümmere dich nicht um uns, wir kommen durch. Dann umarmten wir uns und weinten.“

      Luisa legte tröstend die Hand auf ihre Schulter.

      Carin lachte und weinte zugleich, „tja, Traummänner fallen eben nicht vom Himmel, alles hat zwei Seiten im Leben!“

      „Wem sagst du das“, sagte Luisa und dachte dabei an Carl.

      Carin trocknete ihre Tränen und fragte: „Was ist eigentlich mit deiner Ehe?“

      „Wieso? Was soll denn mit meiner Ehe sein?“, stutzte Luisa.

      „Na, weil du früher mehr über Carl und über eure Gemeinsamkeiten geplaudert hast. Nun, und in letzter Zeit ist Funkstille.“

      „Carl hat … er ist … ach, ich weiß es doch auch nicht, er sagt, dass er Zeit brauche“, kam es zögerlich über Luisas Lippen, wobei ihre eigenen Worte sie melancholisch stimmten.

      Carin setzte sich aufrecht, legte ihre Arme um sie und sagte: „Ach Schätzilein, komm, lass dich einmal ganz feste drücken.“