Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660774
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sich so mir nichts, dir nichts abmurksen zu lassen, und nun haben wir den Ärger mit der Leiche."

      Ein Schauder, der ihm den Rücken hinunterlief, sagte ihm, daß das sehr pietätlose Gedanken waren, die man sich nicht erlauben sollte. Vielleicht war an dem Gerede von Gottes Strafe doch was dran. Um sich abzulenken, überlegte er sich, wie er sich aus der Abhängigkeit von Onkel Leo lösen konnte. Testamentsanfechtung? Oder ihn über die liberale Exilpartei seines Freundes Emilio ausbooten? In politischen Intrigen hatte er keine Übung, aber das sollte anders werden, wenn sie erst in Paris wären. Dort hatte er er eine Menge Freunde.

      Kaum war das Flugzeug nach der Landung in Quebec zum Stillstand gekommen, erklomm ein eleganter Herr mit schwarzem Menjoubärtchen, das wie ein Strich seiner schmalen Adlernase ein Ende setzte, die Gangway und wandte sich sogleich an Onkel Leo. Diesmal aber ließ sich Porfirio nicht beiseiteschieben, er schritt entschlossen auf die in einer Ecke konferierende Gruppe zu, worauf der Herr, es war der Botschafter Santo Ignacios in Kanada, ihn mit einem Seitenblick musterte, plötzlich den Onkel stehen ließ und Porfirio wortreich zu seinem Verlust kondolierte. Danach murmelte er ihm und Leo die Hiobsbotschaft zu: Die kanadische Regierung bedauere außerordentlich, aber mit Rücksicht auf die engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und die Proteste der Emigrantenorganisationen sowie wegen der zu erwartenden Ausschreitungen bei der Bestattung des Dahingeschiedenen könne man die Einreise nicht gestatten. Er habe mehrere vergebliche Versuche gemacht, den Außenminister zu sprechen. Man könnte es doch in England versuchen, wo man sich vielleicht noch an den Staatsbesuch vor acht Jahren erinnere, aber man müsse berücksichtigen, daß der General in der englischen Presse immer schon schlecht weggekommen sei.... Der Mann mit dem Menjoubärtchen schwieg verlegen und sah in Richtung des Laderaums, wendete dann den Blick mit einem Ruck ab und wollte, ohne den Satz vollendet zu haben, den Rückzug antreten, als es aus dem Onkel brach:

      "Was fällt Ihnen ein! Sie haben klare Anweisungen gehabt und nun speisen Sie uns mit Eventualitäten ab."

      Senor Cisneros wurde daraufhin eiskalt und förmlich. Er habe den unangenehmen Auftrag nur als alter Freund des Verstorbenen übernommen, aber er stehe jetzt im Dienst der neuen Regierung und könne nicht gegen seine Direktiven handeln.

      Welche das wären, donnerte Onkel Leo, der sich immer noch als Innenminister vorkam.

      "Darüber darf ich nichts sagen," verlautete der Diplomat und verabschiedete sich kühl.

      Porfirio hätte gern wieder einmal festen Boden unter den Füßen gespürt statt des bebenden, schwankenden Flugzeugdecks, aber die vier Polizisten, die am Fuß der Gangway herumstanden, sahen so aus, als hätten sie nicht die Absicht, jemand auch nur auf die Flughafentoilette zu lassen.

      "Kein Respekt vor den Toten", grollte Onkel Leo, der entdeckte, daß es so etwas wie geheiligte Konventionen gab, "also gut, dann bleibt uns nur Paris."

      "Nein, "seufzte Porfirio, "nicht noch einmal abgewiesen werden. Warum fliegen wir nicht lieber nach Spanien?"

      Der Onkel lächelte verächtlich ob so viel Unkenntnis der doppelzüngigen Außenpolitik des Generalissimo, ließ ihn stehen und informierte seine Getreuen und die Flugzeugbesatzung. Und nach endloser, schikanöser Warterei auf die Starterlaubnis entfernte man sich vom westlichen Kontinent und flog in die Dämmerung hinaus.

      Porfirio, der trotz seines Playboylebens Sinn für die Schönheit der Natur besaß, ertappte sich, als er träumerisch am Fenster vor sich hinsann, bei einer verzückten Stimmung, in die ihn das gewaltige Schauspiel der untergehenden Sonne versetzt hatte. Vereinzelte Kumuluswolken erstrahlten in rosigem Licht, das Meer glänzte als violette Scheibe. Nun erschienen ihm die verflossenen Tage wie ein einziger grausiger Wirrwarr. Er versprach sich, diese Nacht durch nichts verstören zu lassen und fiel tatsächlich in einen wunderbaren, traumlosen Schlummer, aus dem er erfrischt in Le Bourget erwachte. Shannon hatte er verschlafen. Na bitte, sagte er sich, es geht doch wieder. Man darf sich nur nicht aus der Fassung bringen lassen. Dann sah er, wie sich vom Hauptgebäude her ein Leichenwagen dem Flugzeug näherte. Das klappt ja famos. Onkel Leo hat doch recht gehabt! Während er sich ankleidete, beobachtete er gut gelaunt, wie sich die Träger mit dem schweren Sarg abschleppten, ihn in das Auto luden und wie der Wagen sich in Richtung des Terminals entfernten.

      Ah, jetzt befand er sich auf vertrautem Terrain. Kaum hatten sie Zoll und Paßkontrolle hinter sich, verschwand er in einer Telefonzelle und rief Claudine an, die sich wegen der frühen Stunde zunächst mürrisch zeigte - sie hatte bis Mitternacht auf der Bühne gestanden -, aber einem Lunch im Bois nicht abgeneigt war. Danach tätigte er noch vier weitere Gespräche und begab sich zufrieden ins Ritz, wo der Onkel vorsorglich eine Suite hatte reservieren lassen.

      Die Nacht wollte er in den Armen Claudines verbringen. Aber es kostete ihn ziemliche Mühe, sie ins Bett zu manövrieren. Als er es schließlich geschafft hatte, erklärte sie, sie habe sich gewehrt, weil er "den Geruch des Todes" an sich habe. Kaum war das aus ihr heraus, verlor sie sich in eine sinnliche Raserei, die ihn fast um den Verstand brachte. Morgens, als sie noch schlief, war ein wenig beschämt, als er daran dachte, daß er noch warm von den Küssen einer Frau an die kalte Gruft seines Vaters treten sollte.

      Aber daraus wurde nichts. Im Hotel empfing ihn wütend sein Onkel. Der Sarg stehe immer noch im Frachtraum von Le Bourget. Elende Schlamperei! Erst habe man ihm versichert, die Papiere kämen noch im Lauf des Nachmittags, dann vertröstete man ihn auf den nächsten Morgen. Und jetzt seien sie unauffindbar, angeblich von irgendeiner untergeordneten Behörde verlegt. Also erneutes Warten. Porfirio nutzte es aus, Claudine zu lieben, Beziehungen zu festigen, Rechtsanwälte zu konsultieren und Freunde zu besuchen.

      "Wo steckst du nur die ganze Zeit? Du kümmerst dich wirklich um nichts," schimpfte Onkel Leo, wenn Porfirio nachts an ihm vorbeieilte und seinem Zimmer zustrebte. Dem Onkel wurde der Knabe zu selbständig, immerhin konnte er frei über eine halbe Million Dollar verfügen, so stand es im Testament. Aber das würde bei seinem Lebensstil binnen kurzem verbraucht sein, dann war er ganz auf Leo angewiesen und mußte sich erkenntlich zeigen. Zunächst jedoch war es vordringlich, den verdammten Ballast von Sarg loszuwerden.

      Tatsächlich kam es so, wie er es dunkel geahnt hatte. Am Morgen des siebten Tages stellte sich die ganze Geschichte mit den verlegten Papieren als bloße Hinhaltetaktik heraus. Es war schon ziemlich beleidigend, in welche faule Entschuldigungen und Taktlosigkeiten ein Zollbeamter die Verweigerung der "Einfuhrgenehmigung" hüllte. Als wäre eine Leiche eine Art Stückgut!

      Und wieder saß man im Flugzeug. Porfirio hatte sich erst weigern wollen, weiter an der Irrfahrt teilzunehmen, aber das war schlecht möglich, obwohl Claudine ihn weinend angefleht hatte, dazubleiben. Er würde nie mehr wiederkommen, und alle seine Beteuerungen, sich gleich nach der Beerdigung in die Maschine nach Paris zu setzen, nutzten nichts. Sie war schon ein etwas überspanntes Mädchen wie alle Schauspielerinnen, aber als er es sich in seinem Sessel bequem machte, durchlief ihn noch eine Wonneschauer, so geliebt zu sein. Leicht erschöpft von der letzten Liebesnacht und in angenehme sinnliche Träumereien versunken, genoß er es, wie das Dröhnen der Propeller anschwoll, das Flugzeug erst langsam, dann immer schneller über die Piste rollte und sich dann in die Luft erhob.

      Aus dem Onkel, der in den letzten Tagen immer finsterer geworden war und der ihn praktisch nur noch über die Schulter hinweg ansprach, war nicht herauszukriegen, wohin es ging.

      "Du wirst schon sehen!", war die kryptische Antwort. Profirio ließ es sich gefallen. Es kam ihm vor, als ob die ganze Angelegenheit ihn nichts mehr anginge. Er versenkte sich in freundliche Erinnerungen, ließ sich vom Stewart eine Flasche Dom Perignan bringen und leerte sie auf das Wohl der frivolen Jacqueline, der entzückenden Bella, der kapriziösen Manon und der schwärmerischen Claudine. Hatte er sie nicht zuerst in einer Ophelia-Rolle auf der Bühne gesehen? Widerwillig hatte er sich ins Odéon mitschleppen lassen. Klassisches Drama lag ihm nicht. Man hatte sie in der Public School schon genug damit gepiesackt, sein Feld war das Olympia oder das Kino. Vom ganzen Ensemble interessierte ihn nur die Ophelia. Welch ein Weib! Wie konnte er jetzt Hamlets Worte nachempfinden: The fair Ophelia - Nymph in thy orisons be all my sins remember'd. Welcher Rausch, sich in den goldenen Wasserfall ihrer Haare einzuhüllen und dem unaufhörlichen süßen Gemurmel von geflüsterten Kosenamen zu horchen. Könnte das nur ewig so dauern!