Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660774
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sie!" fiel Gustav ein, "ich bin doch kein Narr. Die Sache ist anders. Komplizierter." Er beugte sich vor und sah Erich mit hypnotischer Intensität an.

      "Ich muß es dir von Anfang an erzählen, sonst begreifst du nichts. Nach dem Einjährigen bist du doch weggezogen und hast nicht mitgekriegt, wie mir mein Alter mitgespielt hat. Er ließ mich kein Abitur machen, also aus der Traum vom Philosophiestudium! Nur keinen brotlosen Akademiker durchfüttern. Er steckte mich in eine Bank. Kannst du dir das vorstellen, zwei Jahre Stumpfsinn auf einer Bank, Zahlen, Ziffern, Soll und Haben, Zinsen, Zinseszins, Tageskurse, Aktien, den ganzen Tag und Wochen und Monate nichts als Geld und immer nur Geld?"

      "Erlaube mal!" warf Erich empfindlich ein, er meinte, er müsse wie einst einen Staudamm vor den Gefühlsergüssen seines Freundes aufrichten. Er war Geschäftsmann geworden, das Geld hatte ihm nur Gutes getan, er fand fast eine abergläubische Scheu, es nur beim Namen zu nennen. Betroffen, aber voll Genugtuung nahm er das Bild in sich auf: der phantastische Gustav hinter dem Banktresen!

      "Du hast doch in der Schule immer gesagt, sich um Geld zu kümmern, sei unnötig, es komme einem zugeflogen, wenn man nur mit dem Finger schnippe. Arbeiten täten nur die Dummen." Erich fühlte wieder die prickelnde Luft ihrer einstigen gereizten Freundschaft um sich. Seine Augen glitzerten kampflustig. "Im übrigen..."

      Gustav wehrte mit einer müden Bewegung seiner feingliedrigen Hand ab, die im merkwürdigen Kontrast zu seiner Leibesfülle stand: "Ist schon gut!"

      Erich verstummte .

      "Siehst du den Mann im grauen Anzug, der eben reingekommen ist, am rechten Fenster?"

      Erich sah einen fülligen älteren Mann, der den Arm auf die Blumenetagere an seiner Seite stützte und offensichtlich an seiner Zeitung vorbei auf das schöne Mädchen am letzten Tisch starrte.

      "Das ist mein Auftraggeber."

      Erich sah ihn fragend an. Gustav erläuterte: "Als ich die Bank satt hatte, machte ich eine Agentur für Zwischenhandel auf. Ich vermittelte zwischen Großhändlern und Wiederverkäufern, meist für ausgefallene Waren, und ging bald pleite. Dann nahm ich meine Kartei unter den Arm und wurde Teilhaber an einer Auskunftei. Schließlich wollte ich mich selbständig machen und eröffnete ein Detektivbüro."

      Erich hob den Blick. Aha, das war's! Das hätte er seinem Freund nicht zugetraut. Privatdetektiv, das kannte er aus amerikanischen Fernsehfilmen. Ein Geruch von Freiheit und Gefahr umgab Gustav. Und schließlich gab es auch fette Detektive wie Cannon zum Beispiel. Seine Achtung für ihn stieg wieder. Gustav war doch immer für etwas Unerwartetes gut. Er erinnerte sich gern daran, wie er sie bei ihren Indianerspielen in immer neue Abenteuer gelockt hatte, während ihm nie irgendetwas Aufregendes eingefallen war. Deswegen hatte er ihn auch trotz allen Gegensatzes zwischen sich gemocht, langweilig war es mit ihm nie gewesen.

      "Mann," seufzte Gustav, er stützte die Hand an seine Wange und blickte Erich, der neugierig und verständnisinnig zu ihm hinschaute, halb von der Seite an, "ich weiß nicht, warum ich mit jedem neuen Beruf ein neues Laster kennenlernen mußte. Erst war es die Geldgier, dann das Mißtrauen und jetzt die Eifersucht. Sieh dir den Alten dahinten an! Diese gierigen kleinen Schweinsaugen, dieser aggressive Zug um's Kinn."

      Erich kam der Beleibte an dem Caféhaustischchen ganz normal vor, aber von Physiognomik hatte er zugegebenermaßen keine Ahnung. In Gustavs Metier mußte man Charaktere einschätzen können, sonst konnte man ganz schön auf die Nase fallen.

      "Seine Weibergeschichten werden ihn noch in's Grab bringen. Das Mädchen da drüben - sieh dich nicht um! - war seine Sekretärin und wurde natürlich eines Tages seine Mätresse. Da kam seine Frau in mein Büro. Nicht aus Eifersucht, bewahre, sie hatte reichlich Zeit gehabt, sie sich abzugewöhnen. Sie wollte den Wohlstand einer Bankiersgemahlin möglichst bis ans Grab genießen, aber da der Zahn der Zeit an ihr wie an uns allen langsam, aber sicher nagte, fürchtete sie, daß sich ihr Mann frischerem Gemüse zuwenden und von ihr scheiden lassen würde. Kein angenehmer Gedanke für ein Luxusgeschöpf, das täglich sein Bad in Eselsmilch braucht. Ich sollte das Verhältnis zwischen den beiden beobachten und ihr Bericht erstatten, damit sie Material in der Hand hätte, wenn es zum äußersten käme."

      Gustav schwieg einen Moment und schien in sich hineinzusehen.

      "Du magst mir glauben oder nicht, sie gefiel mir in ihrer Jämmerlichkeit. Wie sie vor meinem Schreibtisch im Empfangsessel hockte, hilflos und doch Dame genug, um darüber wütend zu sein, daß sie sich meiner bedienen mußte, das rührte mich. Ich hatte endlich das Gefühl, einmal etwas Gutes zu tun."

      Gustav lag nun fast mit dem ganzen Oberkörper auf dem Tisch. Er schlang seine schönen Hände ineinander und warf von Zeit zu Zeit einen großen, leeren Blick in den Spiegel. Erich hatte das breite Gesicht nahe vor sich, sah die regelmäßigen weißen Zähne (Trägt wohl auch ein Gebiß!), roch den warmen Kaffeeatem mit einer Spur Cognac. Er biß sich in die Lippen. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Leben spielte sich zwischen Kontoren und Lagerhallen ab und hatte mit Gefühlen nichts zu tun.

      "Nun, sie ist nicht mehr jung, aber gepflegt und immer noch attraktiv. Schließlich bin ich ja auch kein Jüngling mehr. Wir sahen uns häufiger, als es im Interesse der Affäre lag. Da ist es eben passiert, ich verliebte mich in sie. C'est la vie. Manches kommt eben unverhofft. Ich bin schon zwei Mal geschieden, mit Frauen hatte ich nun mal kein Glück. Und unser Geheimnis band uns gewissermaßen von vornherein aneinander. Um meine Position zu verbessern, erfand ich, muß ich gestehen, ab und zu irgendeine Scheußlichkeit, die ihr Mann wieder angerichtet haben sollte. Und so kamen wir uns immer näher, bis sie mir eines Tages schluchzend in die Arme fiel. Aber scheiden lassen wollte sie sich nicht. Wie sie mir erklärte, würde sie bei einer Trennung schlecht wegkommen, und ohne Villa, ohne Chauffeur, ohne Zweitwohnung in Monaco fand sie das Leben nicht lebenswert. Das konnte ich auch gut verstehen."

      Erich nickte neiderfüllt. Manche haben's eben dicke! Zu einem Eigenheim hatte er es zwar gebracht, aber mehr war nicht drin bei den jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen.

      Gustav sah zu Erich auf: "Es mußte etwas Entscheidendes geschehen. Wenn Verhältnisse so verfahren sind, muß man einen Stein hinein werfen, damit alles wieder in's Rollen kommt. Ich schrieb ihrem Mann einen anonymen Brief. Mein Herr, schrieb ich, mir ist zu Ohren gekommen, daß Ihre Frau einen Privatdetektiv beschäftigt, um eine kostspielige Scheidung zu erzwingen. Und tatsächlich, ein paar Tage später sitzt er vor mir. Junger Freund, sagt er, - alles was weniger Geld als er hat, ist für ihn ein Crétin - ich könnte Sie mitsamt Ihrer Agentur hochgehen lassen, aber ich tu's nicht. Wenn Sie gescheit sind, können Sie mir nützlich sein, und dabei noch gut verdienen. Und dann schlug er mir vor, seine Geliebte zu beschatten, die in letzter Zeit zu selbständig geworden sei, außerdem sollte ich seiner Frau Beruhigendes über seinen Lebenswandel mitteilen. Mir wurde klar, daß auch für ihn eine Scheidung unangenehm war. Vielleicht stand er finanziell doch nicht so gut da. Auf jeden Fall nahm ich sein Angebot an, steckte seine Bestechungsgelder ein und legte mir ein steuerfreies Konto in der Schweiz an. Und als ich fand, es sei genug, deckte ich seiner Frau den ganzen Schwindel auf. Da packte sie der Ekel vor diesem ganzen Sumpf von Intrigen - man kann ja niemand in dieser Welt trauen! - und als ich sie bat, mit mir zusammen fortzugehen und ein neues Leben zu beginnen, schlug sie ein. Du kannst dir denken, mit welchem Vergnügen ich hier noch den Aufpasser spiele!"

      Er nickte mit dem Kopf zu dem schönen Mädchen am Fenster hinüber und Erich verstand. Gustav beschattete die Geliebte des Direktors und der Direktor, hinter der Zeitung verborgen, beschattete ihn, wollte wohl wissen, ob er seinen Aufgaben auch nachkam. Was für eine Welt!

      Gustav schwieg. Erich lehnte sich in seinen Sessel zurück und starrte auf den Platz hinaus, über den der Schatten der Bahnhofshalle fiel. Herrgott, das war das Leben! Wüst, aber da geschah doch wenigstens etwas! Hätte er je versucht, seine Maria zu betrügen, das hätte was gegeben! Sie hatte Luchsaugen. Wenn sie ihn zum Beispiel auf Diät setzte und er trotzdem heimlich Schokolade aß, sie kam ihm drauf. Wie sie es machte, wußte er nicht. Aber vielleicht waren ihm seine Schuldgefühle in's Gesicht geschrieben. Gustav jedenfalls war von solchen Skrupeln frei, mußte es auch sein in seinem Metier. Er hatte sich schon, als sie noch Kinder waren, darüber mokiert, wenn Erich den Moralischen bekam.

      Gustav