Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660774
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schnell auf die Zeit reagieren konnte, der Mann der raschen Entschlüsse und der unerwarteten Wendungen, den nichts überraschen konnte, weil er alles schon vorher bedacht hatte.

      Ein Dutzend Komplotte gegen ihn waren geplant, aber beizeiten aufgedeckt worden. Seine Geheimpolizei gehörte nun mal zu den besten, seit er unter seinem von ihm gestürzten Vorgänger das Ministerium des Inneren geleitet hatte. Nun aber war er doch überrascht worden, aber es ging ihn nichts mehr an. Inzwischen nahm ein neuer Generalissimus auf dem frei gewordenen Präsidentensessel Platz und schwor mal wieder die "neue Ordnung" zu verwirklichen, indem er zunächst alle lukrativen Staatsämter an seine Verwandten und Gefolgsleute verteilte.

      Der tote Diktator hatte nun schon mehr in sich als den Geschmack von Ingwermarmelade und Gewalttat. Wie eine große Blase wuchs Erstaunen in ihm. Erstaunen darüber, daß er nichts mehr konnte. Da er nichts mehr tun konnte, konnte er auch nichts mehr wollen. Er, der alles dirigiert und manipuliert hatte, mußte nun alles mit sich geschehen lassen. Es war wie eine Geburt nach innen, eine irre Sanftmut überkam ihn. Die hatte er auch nötig, um ertragen zu können, was seine Nachfolger alles anrichteten, daß seine Republik sich veränderte, wie sie sogar einmal von der Landkarte verschwand, um dann doch wieder aufzutauchen, bis sich dort, wo sie war, im folgenden Erdzeitalter ein Meerbusen breit machte, der wiederum von Gebirgsbildungen verdrängt wurde und so fort, bis endlich die Sonne verlosch und alles Leben endete.

      Über diesen Betrachtungen wäre die nächste Zukunft fast vergessen worden. Beinahe wäre unbemerkt geblieben, daß der General sich erhob und gleich wieder streckte, er lag auf einem reich geschmückten Katafalk, von vielen flackernden Kerzen umgeben, die die Hitze in der stickigen Atmosphäre der Barockkathedrale noch verstärkten.

      Düsteren Blicks standen einige Anhänger mit gefalteten Händen vor diesem ehrwürdigen Beispiel von Größe, Pflichtbewußtsein und Tragik. Aber das Publikum für diese Demonstration von Vaterlandsliebe fehlte. Außer ein paar unwichtigen Personen, die hier Trauer vorführten, waren die Mitglieder der alten Junta heimlich verhaftet worden und warteten auf die Ausweisung durch eine milde gestimmte neue Regierung. Mit umflorten Augen sahen die Trauergäste durch die Domportale über den staubigen in der Sonne gleißenden Platz auf den Präsidentenpalast gegenüber, wo die schwankende Menge des Volkes den neuen Machthabern huldigte.

      In den Zeitungen las man, der Verblichene sei einem Herzanfall zum Opfer gefallen. Dem General war die Lüge egal, als man ihn in seiner papageienbunten Paradeuniform in einen seidengefütterten Sarg von den Ausmaßen eines größeren Kahns legte, ihm war es egal, als man den Deckel über ihm schloß, ihm war es gleich, als der innere Kreis der übriggebliebenen Günstlinge der Rede eines dürren, in seiner Uniform schlotternden Zeremoniemeisters lauschten, der der Überzeugung war, der Verstorbene werde sich einst aus seinem Grab erheben, wie Kaiser Barbarossa in der bekannten deutschen Sage.

      Ein Geheimagent der neuen Regierung, der hinter einer Säule verborgen diese Szene beobachtete, lächelte verächtlich in seinen Spitzbart hinein, der auf und abwippte, als er dem neuen Staatsoberhaupt berichtete, daß die Familie des Generals beschlossen habe, den Leichnam im Ausland zu beerdigen. Dem neuen Regierungschef war es recht, nur weit weg damit. Er ahnte nicht, daß Leonidas, der Bruder des Dahingegangenen, mit dem Leichnam im Gepäck noch einiges vorhatte.

      Die Reliquie sollte dem Sohn des Generals als Ausweis dienen, wenn er in das Land zurückkehrte, um die Staatsgewalt wieder in die Hände ihrer rechtmäßigen Besitzer zu legen. Porfirio, der sich sein Leben lang nicht um Politik gekümmert hatte, war etwas flau zumute, wenn er daran dachte, wie er den Ambitionen von Leo und seinen Anhängern genügen sollte. Aber wie konnte er sich ihren Forderungen entziehen, wenn Papas Nummernkonto in der Schweiz von einem Onkel verwaltet wurde, der sich unbeugsam der Reaktion verpflichtet fühlte?

      Der General war vor seiner Einsargung einbalsamiert worden. Er sollte auch nach Jahren noch passabel aussehen. Aber er war nur eine Hohlform, die man ausgoß, wie man es wollte. Für ihn, wenn man in seinem Zustand noch irgendeine Selbstbezogenheit besitzen kann, gab es wirklich nur noch Leere, in seinen Augen war alles unterschiedslos geworden. Er war haltlos wie die gräßlichen Hippies, denen er vor Jahren auf öffentlichen Plätzen von Militärfriseuren die Haare auf Stiftlänge hatte kürzen lassen. Er war schrankenlos, wie er es nie vorher gewesen war.

      Gewiß, als er noch lebte, war er frei gewesen, aber nie ungebunden. So wie der Kopf auf dem Körper sitzt, so war er als Führer an den Staat gefesselt, dem er vorstand. Und wie der Körper nicht immer tut, was sein Gehirn ihm vorschreibt, so begehrte auch das dumme, gierige Volk immer wieder gegen die Herrschaft der Vernunft auf und mußte durch einen unbeugsamen Willen botmäßig gemacht werden. Wie der Mönch seinen Leib kasteit, so wollte der General sein Volk zu Gehorsam und Verzicht erziehen.

      Nun da er tot war, geriet alles in ihm durcheinander, er verwechselte Geist und Materie, Vorsatz und Begierde, in ihm herrschte schlicht das Chaos. Jedem anderen hätte das gefallen können, nur ihm nicht. Aber da er willenlos und demütig geworden war, mußte er sich mit diesem Zustand abfinden. Was blieb ihm auch anderes übrig? Wenn man tot ist, ist man reine Verfügungsmasse. Das galt auch für die Einschätzungen, denen er jetzt seitens der politischen Öffentlichkeit ausgesetzt war: einige nannten ihn einen Volksfreund, für seine Gegner war er ein Unterdrücker, andere sagten, er sei eine Marionette der Amerikaner gewesen, obwohl er Unabhängigkeit geheuchelt habe, manche sahen in ihm den geopferten Messias spanischer Tradition usw.

      Der klare südliche Himmel schien an dem Sommerabend, als der Sarg zum Flugplatz gefahren wurde, alles mit seiner wohltuenden dunkelblauen Substanz zu durchtränken. Der Äther versuchte auch den General zu erweichen, stieg aber auf etwas Undurchdringliches. Ganz tief in ihm lag der Mord, den konnte er nicht verwinden. Es grollte in ihm, Demut hin, Demut her. Dieser Mord, von dem er selbst eigentlich gar nichts wußte, so heimlich war er geschehen. Es war ein so geschwinder Mord gewesen, daß es eigentlich gar keiner war, daß er aus jeder Zurechnung hätte ausscheiden können. Denn wovon man nichts merkt, das existiert auch nicht oder wie man so sagt, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

      Den General hatten nur seine Geschicklichkeit und nicht die Panzergläser und kugelsicheren Westen vor einem früheren Dahinscheiden bewahrt. Über der Sicherheit, die ihn bei seinem Jonglierspiel mit Staaten, Weltanschauungen, Parteien, Organisationen, Anhängern und Gegnern, Speichelleckern und Trotzköpfen überkommen hatte, hatte sich ihm die uneingestandene Gewißheit eingeflößt, daß er einst wie Jeremias lebend zum Himmel fahren würde, sozusagen. Nie dachte er ans Sterben als nackte Scheußlichkeit. Er würde in den Himmel der Unantastbaren eingehen. Aber nun war es unbewußt, unvorbereitet über ihn gekommen bei Hörnchen, Kaffee, Ingwermarmelade. Man hatte ihn in einem Augenblick der Schwäche erwischt, beim Frühstück, in der Zeit der Unschuld, der kindlichen Arglosigkeit. Perfide war das gewesen, aber wirksam. Er lag da und wartete darauf, daß er sich in eine Bombe verwandelte, zumindest aber in ein Gespenst.

      Die Chartermaschine stand bereit, ihre Silhouette zeichnete sich scharf gegen einen orangeroten Streifen am westlichen Horizont ab. Von einem Seitenportal aus näherte sich ihr langsam eine kleine Eskorte mit dem schwarzlackierten Leichenwagen an der Spitze, dahinter leise murmelnde Mercedes. Ein Trupp Soldaten stand unauffällig im Schatten eines Hangars bereit, um eventuelle Zwischenfälle zu verhindern. Doch es geschah nichts, was sollte auch passieren? Die ganze Angelegenheit war von der neuen Regierung sorgfältig abgeschirmt worden, nichts war an die Öffentlichkeit gedrungen, kein Propagandaeffekt zu erwarten.

      Die Anhänger des Generals erfaßte das schmerzliche Gefühl düpiert worden zu sein. Die Reibungslosigkeit der Abfertigung hatte etwas Maskiertes an sich. Sie standen schwarzbefrackt und unbequem an der Luke des Flugzeugs und in ihrer Verlegenheit halfen sie den Trägern den Sarg in die Türöffnung zu schieben. Dabei entfalteten sie eine unfeierliche Geschäftigkeit, die ihre nagenden Gedanken verdrängen sollte.

      Im Osten war unterdes der Mond, ein zitronengelber Ball, aufgegangen, er sah riesig und unwahrscheinlich aus, ein echter Theatermond. Sein Erscheinen galt nicht den korrupten Beteiligten des politischen Spektakels, er war nur da für den General. Es war sein Mond und alles Ästhetische um ihn herum ein Mißverständnis. Der Mond, der dottergelb über die Palmen wuchs, sprach mit dem verblichenen Diktator in einer nur ihnen beiden verständlichen Sprache, deren Kernsatz lautete: Es ist