Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660774
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      "Übrigens ist dies ein historischer Augenblick. In zwanzig Minuten werde ich mit Elisabeth nach Paris abreisen. Aber ich müßte von meinem Kunden noch die letzte Rechnung abkassieren. Vielleicht kannst du...?" Gustav zögerte.

      Erich hatte alles mit einer Mischung von Abscheu und Lüsternheit angehört. Es drängte ihn, mit im Komplott zu sein.

      "Soll ich ihn ansprechen?"

      Gustav schüttelte den Kopf. "Wir dürfen in der Öffentlichkeit niemals eine Verbindung zueinander erkennen lassen. Geschäftsprinzip! Aber vielleicht kannst du mir die Summe vorschießen und sie nachher, wenn ich weg bin, von ihm erstatten lassen? Ich schreibe dir einen Brief an ihn."

      Erich zog schnell entschlossen seine Brieftasche aus dem Jackett: "Wieviel ist es denn? Dreihundert, vierhundert?"

      "Eigentlich sind es tausend, wenn du so viel dabeihast," sagte Gustav etwas ratlos, "aber ich brauche sie."

      Er nahm die Scheine ohne hinzusehen und stopfte sie in die Rocktasche.

      Erich wurde unbehaglich zumute, als er sah, wie achtlos Gustav mit Geld umging. Ja, so war er nun mal und würde es bleiben!

      Gustav zog ein Notizbuch aus der Innentasche seiner Jacke: "Ich schreibe dir ein paar Zeilen an meinen Auftraggeber." Er ging an die Kasse, ließ sich einen Stift und einen Geschäftsumschlag geben und schrieb, die Schultern über die Theke gebeugt. Er kam zurück, leckte den Falz des Couverts und verschloß den Brief.

      "Ich muß jetzt gehen," sagte er, stand auf und sah auf Erich, der einen gefühlvolleren Abschied erwartet hatte, herab, "bleib sitzen! Lebe wohl, du hast mir sehr geholfen. Und laß dir das Leben nicht zu sauer werden."

      Er legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte fest zu. Erich sah zu ihm auf und nickte stumm. Gustav nahm seinen Koffer, der unter der Garderobe gestanden hatte, und verließ den Raum, ohne sich umzusehen. Seine imposante Gestalt mischte sich unter die Menge vor der Bahnstation. Da ging er hin, ein Mann, ein Schicksal!

      Erich hatte einen Knoten im Hals, schluckte, richtete sich halb auf, um zu beobachten, ob die Femme fatale Gustav vor dem Portal erwartete, sah aber nichts und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.

      Die Sonne hatte sich gesenkt und warf violette Schatten über die Decke. Es war still im Café. Außer Erich, der Wirtin, der Bedienung, dem Bankdirektor und seiner schönen Geliebten war niemand mehr anwesend.

      Merkwürdig, seit Gustav im Dunkel der Bahnhofshalle verschwunden war, fühlte Erich sich melancholisch, er drehte den Löffel in der leeren Tasse und betrachtete den Brief. Herrn Bankdirektor Markwart stand darauf. Über den Mosaikfußboden kroch ein Schatten an ihn heran.

      "Ich hätte die 1000 Zentner Raffinade doch kaufen sollen," dachte er und: "Warum fahre ich nicht auch einmal nach Paris?"

      Das schöne Mädchen zahlte und ging. Ihr weißes Kleid leuchtete noch in seinen Augen, als es vom Dunkel unter den Bäumen schon verschluckt worden war. Er erhob sich und ging auf den Mann am Fenster zu, der hinter seiner Zeitung versteckt dasaß, und ihm war, als entstünde um ihn eine Blase, in der er dahinschwebte.

      "Verzeihen Sie, Herr Direktor," sagte er, "Herr Mensching gab mir diesen Brief für Sie. Sie haben ja gesehen, wir saßen am gleichen Tisch. Er konnte Sie persönlich nicht ansprechen..."

      Der Mann im grauen Anzug hielt die Anschrift vor seine Augen und schüttelte den Kopf.

      "Das muß ein Irrtum sein," sagte er, "ich heiße Grienspan und bin Bestattungsunternehmer. Kann ich etwas für Sie tun?"

      Erich kam es jetzt vor, als habe er alles schon längst geahnt, wandte sich schweigend um und kehrte an seinen Tisch zurück. Mühselig griff er in die Hosentasche, holte sein Federmesser heraus und schlitzte sorgfältig den Brief auf.

      "Erich, du Unglückswurm, du naiver Trottel," entzifferte er das wilde Gekritzel auf zwei kleinen Notizblättern, "warum mußtest du einem Mann in meinem Metier in die Quere kommen, gerade als ich dringend Kohle brauchte? Ich fürchte, die tausend Mark wirst du abschreiben müssen. Aber du mußt zugeben, eine gute Geschichte ist auch ihr Geld wert!! Ciao. Dein G."

      Erstaunt dachte Erich: Warum hat er mir das alles nur vorgeschindelt? Ich hätte ihm ohnehin Geld gegeben, wenn er mich darum gebeten hätte.

      Doch eine innere Stimme murrte: Aber auf keinen Fall so viel!

      Das Gespenst der Karibik

      Der General wurde ruck zuck ermordet. Ehe er merkte, was los war, war er schon tot. Dabei hätte es wirklich ein eindrucksvolles Erlebnis für ihn sein können, wäre es ihm bewußt geworden, aber dazu fehlten die Voraussetzungen. Seine Mörder, vom CIA geheuerte Gangster, waren Profis, die tüchtig und risikolos arbeiteten. Geschäft ist Geschäft. Ein Obsthändler kann auf faulenden Birnen sitzen bleiben und ein Killer auf einem Opfer, das sich wehrt.

      Aber der General wehrte sich nicht. Ahnungslos und allein saß er am Frühstückstisch und führte gerade einen Löffel Ingwermarmelade zum Munde, als ihn die Schüsse in den Rücken trafen. So nahm er diesen Geschmack hinüber in die Ewigkeit. Dort war es still, alles schmeckte nach Konfitüre und Mystik, das paßte irgendwie nicht zusammen. Dazu kam Irres, schmerzhaft Gewaltsames. " Ich bin doch wirklich der größte....", dachte der General gerade und hatte die Tischdecke mit ihren Stickmustern vor sich, er wunderte sich darüber, wollte sich erheben und den Kriegsgeräuschen nachgehen, aber sein Kopf blieb auf dem Frühstücksteller liegen, und das war's dann.

      Die Killer schoben ihre mit Schalldämpfern versehenen Waffen unter die Lederjacken und sahen sich um, aber außer Kommoden mit Silbergefäßen, Porzellanvasen mit Orchideen, Nippesfiguren, außer einer großen Photographie des Generals auf dem Balkon des Regierungspalastes in der Mitte seiner zahlreichen Familie - links von ihm sein Bruder und treuer Weggefährte Leonidas, Innenminister der Junta, rechts sein Sohn Porfirio, Militärattaché in Paris, - und einem überlebensgroßen Prachtgemälde des Diktators in seiner Paradeuniform gab es nichts Bemerkenswertes. Der fanatischste unter den Exekutoren gab noch eine Salve auf das Ölbild ab, dann machten sie sich aus dem Staub, ehe die Leibwache aus den Kellerräumen auftauchte.

      Das Ebenbild des Präsidenten hielt es nicht lange an der Wand. Es rutschte aus dem zerschossenen Goldrahmen und faltete sich vor den Pantoffeln der Leiche zusammen. So war das Ensemble für die Ewigkeit aufbewahrt, in der er nun schwebte zwischen Blut und Marmelade, Autorität und Hörnchen, Gewalt und Kaffee. "Ich bin doch wirklich der größte...", das war sein letzter im Vollzug abgeschnittener Gedanke gewesen. Wie sollte es weitergehen: Feldherr, Politiker, Scharlatan, Schuft, Idiot? Jedenfalls war der Gedanke sinnlos, unvollendet breitete er sich im Nirwana aus. Das ganze übrige Seelenleben erstarrte wie ein stehengebliebener Film. Anwandlungen, Assoziationen, Gefühle, Vorstellungen standen stramm und wußten nicht mehr, ob sie weiter machen sollten oder nicht. Verwirrung und Anspannung hielten sich die Waage. Man kann sich das leicht vorstellen, denn etwas, das bei einer zielgerichteten Bewegung auf ein Hindernis stößt, legt seine Energie in eine andere Form von Kraft um, kinetische Energie wird Irradeszenz. Die erloschenen Lebensmomente des Generals glichen einer schlafenden Stadt, deren Lichter gespenstisch in der Nacht phosphoreszieren.

      Der General hatte nie im Leben an Gespenster gedacht, sie in Betracht gezogen, ihnen etwas abgewinnen können. Das war ein verzeihlicher Fehler für einen Realpolitiker, aber er kostete ihn sein Leben. Er hätte die plötzliche lautlose Annäherung von Geistern gefürchtet, wenn er an sie geglaubt hätte. Die übliche Vorsicht und eine Leibwache, die im Keller frühstückt, reichen nicht aus. Wie dem auch sei, jetzt lag er da, im blutigen Morgenrock vornüber auf den Teller gebeugt. In seinen glasigen Augen spiegelte sich das Wedgewood-Geschirr, das er sich als Leutnant einmal gekauft und das ihn immer begleitet hatte: auf dem Feldzug gegen die aufständischen Indios, im Exil und im Präsidentenpalast.

      Da lag er nun, der Stolz seiner Familie, der Diktator zum Wohl des Landes, das gefeierte Oberhaupt der Armee, der strenge Erzieher seines Volkes, dessen Porträt in allen Amts- und Schulstuben hing, und es war aus. Es war so gründlich zuende, als sei ein ganzes Erdzeitalter vorübergegangen. Denn