II. Ueber die Schaamhaftigkeit Virgils.
III. Ueber einige Horazische Rettungen und Erläuterungen.
I. Ueber einige Klotzische Schriften.
I.
Ich habe mich anheischig gemacht, auf mehrere klotzische Anmerkungen über Homer zu merken, und ich muß mein Wort erfüllen. Der Tadel sowohl, als das Lob, das auf den Ersten der Dichter fällt, trift auf den Mittelpunkt der griechischen Litteratur, und hat immer auch auf entferntere Punkte im Kreise der Gelehrsamkeit einen Einfluß. Es wird also lohnen, mit den Homerischen Briefen1 in der Hand ein Lustwäldchen der alten griechischen Musen zu besuchen.
Wie muß ich mich aber durch süße Freundschaftsbezeigungen, und lange Vorbereitungen durchwinden und durchdrängen,2 um nur erst auf eine Materie zu kommen. Hr. Klotz irret in diesen Briefen so herum, daß seine Muse wohl nichts minder, als eine Schwester der homerischen Muse, seyn kann, die statt vom trojanischen Kriege, und vom Ey der Leda anzufangen, lieber gleich mitten in die Handlung hinein greift – μηνιν αειδε ϑεα, κ. τ. λ. – Der homerische Briefsteller nimmt sich zu erst recht sehr Zeit, seinen Freund und Gönner zu umarmen,3 die sehr mittelmäßigen Verse desselben, die von ganz Deutschland für mittelmäßig erkannt sind, himmelhoch zu erheben,4 uns auf dem Landgute desselben5 (wie Boileau von gewissen Wortmalern sagt) von Terrasse zu Terrasse zu führen, das Landleben,6 und die unehelichen Kinder7 zu loben, über die Härte der Regina Pecunia,8 und über die Undankbarkeit unsers Jahrhunderts gegen Poeten9 zu klagen, einen großen Minister, der fast durch ein solches Lob erniedrigt wird, deßwegen10 zu rühmen, weil er ihm erlaubt, auf dem Lande einige Zeit zuzubringen. Er fährt fort, alle selige Vergnügungen daselbst11 uns liebkosend vorzuzeigen: die Bücher, die er mit sich genommen, und endlich12 – »Wie aber die Dichter vom Zevs, so will ich vom Homer beginnen.«
Noch sind wir nicht in der Materie. Hr. Kl. zeigt erst, daß er mit seinem homerischen Tadel nicht zu ungelehrten Verächten: Homers gehöre,13 daß niemand in der Welt die alten Schriftsteller mit mehr Bewunderung und Entzücken lese, als er, daß Homer bei allen diesen Fehlern, die Hr. Klotz ihm zeigen will, noch immer groß bleibe,14 daß – und dies alles in so erregendem Tone, mit so viel, ob gleich längst bekannten, Beispielen und Allgemeinsätzen, daß man keinen andern, als jenen cyklischen Dichter15 liest, und jedes Blatt mit der bewundernden Frage umschlägt: was will aus dem Männlein werden? Was hat dieser große Mann dem fehlerhaften Homer Unerhörtes zu zeigen, das so viel Vorbereitung und Aufmerksamkeit verdiente?
Vielleicht ist mein Leser so ungeduldig, als ich, und auf mich unwillig, daß ich den neuen Homeromastix noch nicht selbst reden lasse; allein, wenn Hr. Kl. zween Bogen lang vorbereitet, wie würde es denn dem Tone meines Werks entsprechen, nicht auch vorzubereiten? Ich muß also Schritt halten: sonst kommen wir alle drei, Hr. Klotz, der Leser und ich aus dem Takte.
Wie nun? Ists wohl so leicht, Homer zu tadeln? ich meine so leicht für uns, in unsrer Zeit, Denkart und Sprache? Es sollte scheinen. Denn sind wir nicht in Gelehrsamkeit und Wissenschaft, und Stuffe der Cultur ungleich höher, als das Zeitalter Homers? Ist die Welt nicht drei tausend Jahr älter, und also auch vielleicht drei tausendmal erfahrner und klüger geworden? Kniet also nicht der Altvater Homer vor dem Geschmacke und Urtheile unsers Zeitalters, wie vor dem Tribunal des jüngsten Gerichts? Und wie denn nicht vor einem Vorsitzer und geheimen Rathe desselben? Ich sollte fast glauben! oder beinahe nicht glauben: denn unser Jahrhundert mag in allem, was Gelehrsamkeit heißt, so hoch gekommen seyn, als es will und ist; so ists doch in allem, was zur poetischen Beurtheilung Homers gehört, nicht höher; ja ich behaupte, daß es hierinn dem Jahrhunderte geborner Griechen, die Homers Zeitgenossen, oder wenigstens Landsleute und Brüder einer Sprache mit ihm waren, weit hinten nach sey. Wir sind nicht nur nicht höher hinauf, wir sind gewisser maßen aus der Welt hinaus gerückt, in der Homer dichtete, schilderte und sang.
Homers Sprache ist nicht die unsre. Er sang; da dieselbe noch blos in dem Munde der artikulirt sprechenden Menschen, wie er sie nennet, lebte, noch keine Bücher-, noch keine Grammatische, und am wenigsten eine wissenschaftliche Sprache war. Er bequemte sich also den Artikulationen der Zunge seiner Menschen, den Beugungen, und dem Wortgebrauche der lebenden Welt, in aller Unschuld und Einfalt seines Zeitalters. Wer kann ihn nun hören, als ob er spräche? Tausend Wörter haben ihren Sinn allmälich umwandeln, oder sich in ihrem Gebrauche seitwärts biegen und verfeinern müssen. Müssen, ohne daß es jemand wollte, und bemerkte; denn der Geist der Zeit veränderte sich. Man behielt immer das Wort, man glaubte auch immer, denselben Begriff zu haben;