– – das Ziel erschaffner Geister,
dieser bildenden Mutter nicht mehr in ihrer Art gekostet, als Homer in der seinigen? Ein solcher Lobspruch geht ins Ungeheure; und wenn Homer summa vis, & quasi mensura ingenii humani ist, so wird der, so ihn noch beurtheilen und tadeln kann, ein völliger Uebermensch! hervorragend über die Schranken des Menschlichen Geistes. Da trete ich zurück, um den kritischen Gott anzubeten.
Ich betrachte Homer blos, als den glücklichsten Poetischen Kopf seines Jahrhunderts, seiner Nation, dem keiner von allen, die ihn nachahmen wollten, gleich kommen konnte; aber die Anlagen zu seinem glücklichen Genie suche ich nicht außer seiner Natur, und dem Zeitalter, das ihn bildete. Je mehr ich dieses kennen lerne, desto mehr lerne ich mir Homer erklären, und desto mehr schwindet der Gedanke, ihn, »als einen Dichter aller Zeiten und Völker,« nach dem Bürgerrechte meiner Zeit und Nation, zu beurtheilen. Nur gar zu sehr habe ichs gelernt, wie weit wir in einem Zeitraume zweier Jahrtausende von der poetischen Natur abgekommen, eine gleichsam bürgerliche Seele erhalten, wie wenig, nach den Eindrücken unsrer Erziehung, griechische Natur in uns wirke! wie weit Juden und Christen uns umgebildet haben, um nicht aus eingepflanzten Begriffen der Mythologie auch über Homers Götter zu denken! wie weit Morgenländer, Römer, Franzosen, Britten, Italiener und Deutsche, wenn ich den rousseauschen Ausdruck wagen darf, unser Gehirn von der Griechischen Denkart weggebildet haben mögen, wenn wir über die Würde der menschlichen Natur, über Heldengröße, über die Ernsthaftigkeit der Epopee, über Zucht und Anstand denken! Wie gelehrt muß also ein Auge seyn, um Homer ganz in der Tracht seines Zeitalters sehen: wie gelehrt ein Ohr, ihn in der Sprache seiner Nation so ganz hören: und wie biegsam eine Seele, um ihn in seiner Griechischen Natur durchaus fühlen zu können. Am sichersten, mein Urtheil über ihn sey nicht voreilend, damit ich ihm das nicht für einen Fehler anrechne, was Tugend seiner Zeit war.
Nun mag Hr. Kl. die unten gesetzte19 Einleitung zu seinem homerischen Tadel rechtfertigen; ich finde den einen Theil derselben am unrechten Orte; den andern Theil sehr zweifelhaft. Am unrechten Orte steht die Betrachtung,20 daß Homer ein Mensch sey, Fehler habe, daß die Fehler der größesten Genies, eines Homer und Shakespear, ihrer Größe nichts benehmen, u.s.w. Für unsern Zweck wäre die Betrachtung gewesen: ob Homers Fehler, (als griechischer Dichter seiner Zeit, und nicht als Mensch betrachtet,) von uns, und zu allererst von uns eingesehen, und diktatorisch beurtheilt werden können? Und so zweifelhaft dies: so ungewiß wird mir das Folgende:21 »daß Homer sein Gedicht mit nicht leichten Flecken besudelt, weil er sich entweder nach den Sitten seiner Zeit gerichtet, (das mußte er thun, und wenn ers thut, ists kein Fehler,) oder weil es schwer fällt, zurück zu halten, was dem Leser Lachen erwecken könnte, oder aus einem Fehler seiner Beurtheilungskraft; kurz also, daß er sich zu dem herab läßt, wovon ich, Chr. Ad. Kl. achte, es schicke sich für die Würde, und den Ernst des Epischen Gedichts ganz und gar nicht.« Die erste Ursache ist unpassend: die zweite sehr unwahrscheinlich: die dritte zweifelhaft: und die Folge selbst, wie ich zu beweisen hoffe, falsch.
Unpassend die erste Ursache: »daß Homer mit nicht leichten Flecken sein Gedicht besudelt, weil er sich den Sitten seiner Zeit bequemt.« Homer mußte sich ihnen, und der Zeit seiner Helden bequemen; nicht aber der Zeit der Kapuciner, oder dem Jahrhunderte Ludwigs des vierzehenten, oder dem kritischen Jahrhunderte, das Hr. Kl. in Deutschland schaffen will. Es ist keine Sünde, zu behaupten, daß Homer an dies, und an die seligen Mohren in Afrika mit seinen Göttern, und mit seinem Unanständigen gar nicht gedacht habe.
Höchst unwahrscheinlich die zweite Ursache: »Homer habe sich zu dem herab gelassen, wovon ich halte, daß es sich für die Würde, und den Ernst des epischen Gedichts ganz und gar nicht schicke, weil es schwer wird, das zurück zu halten, wovon wir glauben, daß es dem Leser Lachen erwecken werde.« Denn wenn Hr. Kl. das Zeitalter Homers, und seiner Helden kennet, wird er hoffentlich zugeben, daß demselben nichts fremder sey, als eine Sucht des Lächerlichen. Die Verfasser gewisser Bibliotheken mögen mit dem Marktausruffe vortreten:
Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!
der Epische Dichter Homer weiß von solchen lächerlichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er besingt, war »die Zeit der Heldengröße, eines hohen Ernstes nach griechischer Natur:« und die Zeit, in der er lebte und sang, »der Anfang des bürgerlichen Jahrhunderts,« und also eines gesitteten Ernstes in edler Einfalt. So wie in der ersten der Held, der Tapfre, der größeste Mann war; so in der zweiten der Weise und Gute – in beiden war an den lachenden, oder Lachen erregenden Witzling nicht wohl zu gedenken; sonst wäre statt homerischer Epopeen nichts, als crebillonsche Romane, oder komische Epopeen, die Erstgeburt der griechischen Muse geworden. Bei Homer also, wenn er keinen Margites, sondern eine Helden Iliade schreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwürdigen Lachen so sicher, als ichs bei den schönen und artigen Schriftstellern unsrer Tage wohl nicht bin: und das vermöge des Homerischen Zeitalters.
Drittens endlich, dünkt mich die Ursache des beschwerlich Lächerlichen in Homer eben so ungewiß, daß er aus einem Fehltritte seiner Beurtheilungskraft so unzeitig lächerlich, so lachsüchtig geworden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn andre Fehltritte für wahrscheinlicher halten, als – doch warum so viel wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Ursachen? Hr. Kl. komme nach vier und zwanzig Seiten einmal zum Beweise.
1 Epist. Homer. Altenb. 1764.
2 p. 5–24.
3 p. 5. 6.
4 p. 6. 7. conf. Act. litter. Vol. I. p. 245–49.
5 p. 8. 9.
6 Epist. Homer. p. 10–12.
7 p. 12. 13.
8 p. 13. 14.
9 p. 15. 16.
10 p. 16. 17.
11 p. 18.
12 p. 18.
13 p. 19.
14 p. 20–23.
15 Fortunam Priami cantabo. Horat. A.P.
16 Epist. Homer. p. 24.
17 Epist. Homer. p. 24.
18 p. 19. Ich weis diesen Ausdruck, als gewöhnliche Lateinische Phrasis;