Er wendet sich gegen die Mutter, ob er gleich wüßte, daß auch sie verständig wäre – der Ehrliche, in dessen Munde diese Worte so glaubwürdig werden, als sie es seyn sollen: in dessen Munde also auch die kindliche Anmahnung kein sich brüstender überhobner Rath seyn wird.
Er erinnert sie an die Macht des Donnergottes, der, wenn er wollte, alles vom Himmel werfen könne – der gute Vulkan redete aus Erfahrung, und wie sein hinkender Fuß ihn nicht anders reden läßt. Sein Rath ist also, Zevs abzubitten, und dem ganzen Himmel Heiterkeit wieder zu geben. – Wo ist bisher der Possenreißer, der hinkende Gaukler?
Aber abzubitten? dem Himmel Heiterkeit wieder zu geben? Und Juno selbst soll leiden, soll Unrecht behalten? – O daß sie nur nicht am Dornstrauche des letzten Worts hangen bleibe, und von neuem zürne! Siehe da, Vulkan! den Becher voll himmlischer Freude, die Schaale voll Nektar! Tritt zur Juno, daß sie diesen letzten Zug nicht fühle: tröste sie über ihre Traurigkeit und ihre Unterdrückung: führe deine eigne unglückliche Geschichte an! – Vulkan thuts, und siehe! da lächelt die Königin der Götter: lächelnd nimmt sie den Becher der Freude von der Hand ihres Sohnes.
Ihr hohes Lächeln hat den Olymp aufgeklärt: die Wolken sind vorüber. Die Ruhe, die himmlische Freude besucht die Wohnung der seligen Götter wieder: der süße Nektar fließt für alle: bei allen findet sich das unzerstörbare Vergnügen, die unauslöschlich ewige Seligkeit wieder ein, und fängt an, da sie Vulkan so geschäftig zu ihrem Vergnügen sehen:
Ασβεστος δἀρ ενωρτο γελως μακαρεσσι Θεοισιν
Ως ιδον Ηφαιστον δια δωματα ποιπνυοντα.
So schmausen sie den ganzen Tag hinab bis zur untergehenden Sonne: ihr Herz begehrt nichts: sie speisen Ambrosia des Himmels, sie hören die Zitter des Apollo, und den Wechselgesang der Musen: sie gehen endlich vergnügt jeder in das himmlische Gemach, das ihm der künstliche arbeitsame Vulkan erbauet: Jupiter selbst besteigt sein hohes königliches Bette, und neben ihm die auf goldnem Throne prangende Juno! – Selige Götter! selige Wohnungen des Olympus!
Wie hat nun Vulkan seine Sache ausgerichtet? Stand er auf, um einen lahmen Gaukler zu machen, und nichts mehr? Unwürdige Vorstellung: Homer erweckte ihn, um die Götter aus einander zu bringen, um dem Olymp den Frieden zu geben. Erreichte er diesen Zweck durch Possen, durch Gaukeleien? Noch unwürdigere Vorstellung: er spricht so anständig, so charakteristisch, als ein Vulkan nur sprechen kann, und hier nur sprechen sollte. Läuft drittens der Auftritt auf ein pöbelhaftes Gelächter hinaus, das sich Bauch und Seiten stemmet, und so fortwähret? Noch unwürdigere Idee, nicht werth, die seligen Freuden des Olymps auch nur von fern zu sehen. Und endlich: war gar dies Pöbelgelächter Homers Endzweck? – – Ich werde unwillig: wer die ganze Episode durch an nichts als an Vulkans hinkendem Fuße, und an den artigen Grimaßen des Mundschenken seine Augen weidet, wer nichts bei Homer als dies sieht, wer alle Götter hierinn nach sich beurtheilt, dem könnte es in diesem Himmel, wie vormals dem Vulkan selbst, gehen: der lache lieber in den Busen!
Homerus loco admodum inepto, dum risum lectorum captare voluit, non levibus carmen divinum maculis adspersit, quae illi non exiguam deformitatem, lectorique molestiam concilient. Huc referre potes locum, ubi deum Vulcanum histrionem agere iubet. Quid enim aliud agit, quando diis vinum infundit, qui claudum hunc pincernam magno risu prosequuntur? etc. Hr. Kl. gestehe bei dieser Stelle,5 entweder, daß er d'Argenson, oder der lateinischen Uebersetzung Homers gefolget, oder wenigstens Homer nicht in seinem ganzen Sinne nehme. Die gemeine lateinische Uebersetzung freilich, die weiß von einem immenso risu excitato, und einem Bitaubé ists auch zu vergeben, wenn er den ganzen Himmelssaal von Gelächter der Götter über das Laufen und Rennen Vulkans erschallen läßt: (tous les Dieux, qui le voyant s'agiter et courir de tous côtés, font retentir d'un rire éclatant la voûte céleste). In der Sprache Homers aber, und insonderheit in der einfältigen Sprache seines Zeitalters ist »der ασβεστος γελως der seligen Götter« kein unwürdiger, unanständiger Ausdruck: er bezeichnet die ewige Heiterkeit, die unzerstörbare Freude, die ihre Stirn wieder einnahm, das selige Lächeln, das bei dem Anblicke des Nektarschenkenden Gottes auf ihrem Antlitze schwebte. Allerdings zugleich ein kleiner Zug von Lustigkeit über seine Gestalt, und daß er seine Sache so wohl gemacht, mischet sich ein; durchaus aber kein unendliches Pöbelgelächter über einen hinkenden, wackelnden Gaukler; durchaus tritt Vulkan nicht auf, einen solchen Narren vorzustellen, an dem man sich satt lachen solle. Wer ist der Homerist, im Geiste Homers, der ihn und seinen Vulkan, und seine Götter zu solchem Pöbel erniedrigen kann!6
Ich wenigstens nicht. Bei mir erreicht das Geschäfte Vulkans, die Juno, und den Jupiter, und den Himmel zu besänftigen, seine Wirkung mit jedem neuen Verse. Mit jedem fühle ich gleichsam einen gelindern Grad von der Bewegung des Sturmes, mit jedem einen neuen sanften Abfall zur Ruhe des Olympus: bis durch alle Stuffen des geminderten Schwunges die selige Freude, das himmlische Lachen der Götter hervorbricht, und nun das frohe Ambrosische Fest anfängt. Vulkan war Friedensstifter, Vulkan der Geber des Festes, und Homer erneuret noch das gute Andenken, das er sich diesen Tag gestiftet, dadurch, daß bei dem Schlusse desselben jeder der Gäste in das Gemach geht, »das ihnen Vulkan erbauet.« – Niemand kann sich eine Seele geben, die Er nicht hat: aber mich dünkt, daß von jedem besänftigenden Verse Homers, (nach Lucians Ausdrucke7 bei seinem Ebenbilde der Schönheit,) eine honigsüße Spur in mir zurück bleibe, daß mit jedem Worte sich der Aufruhr der himmlischen Unruhe mehr bändige, und endlich bei dem Ausbruche der seligen unzerstörbaren Freude bleibet ein Echo zurück, das mich die Citter des Apollo und den Gesang der Musen hören läßt, und so schließe ich Homers ersten Gesang.
1 p. 24. 25. etc.
2 Leben der Mahler Th. I. p. 81. Eben der Tadel, nur verändert, ist Voltären und andern Franzosen eigen, und Hr. Leßing hat zu verschiednen malen die Sache von der Seite des Drama in Beleuchtung genommen; s. Dramaturg. 1. und 2. Band hin und wieder.
3 Geschichte der Kunst und Anmerk. dazu, p. 42. etc
4 Iliad. ά v. 595.
5 p. 25.
6 Ich hoffe doch nicht, daß man mir Plato's Urtheil (de Republ. L. 3.) dagegen anführen werde: denn Plato will hier, wie er, oder Sokrates in andern Stellen, keinen Ausleger Homers, sondern den Moralisten, den Staatslehrer seiner Zeit aus Homer machen. Und schlimm gnug, wenn der Pöbel der Griechen diese Stelle so nahm, wenn er die Götter sich hieraus als φιλογέλωτας dachte, und ihnen wenigstens im Gelächter nachstreben wollte!
7 Τι λείψανον ἐνδιατρίβειν, καὶ περιβομβειν τὰ ὦτα καϑάπερ ηχώ