Nur muß man auch freilich nichts für Ekel erregend halten, was nur einen Nebenbegriff des Ekels, durch weite Zurückerinnerung haben möchte: nichts für Ekel erregend, was, ohne dem Geschmacke und Geruche zuzugehören, blos widrig genannt werden könnte: nicht alles endlich in einer künstlichen Nachahmung für ekelhaft, was kaum in der Natur selbst, die keiner unangenehmen Empfindung solch eine enge Sphäre gegeben, als dem wahren Ekel – –
Doch ich vergesse aus meinem Kritischen Wäldchen beinahe gänzlich den Rückweg. Wie habe ich in demselben umhergeirret! Wie verschiedne Aussichten boten sich mir dar! Wie manchen richtigen und irrigen Gedanken mag ich auf meinem träumerischen Pfade gedacht haben! Es sey! Leßings Laokoon hat mir Materie zum Nachdenken verschaffet: Homer, und die Menschliche Seele waren die Quellen, aus denen ich dachte. »Wenn mein Raisonnement nicht so bündig ist, als das Leßingsche, so werden vielleicht meine kritischen Erörterungen mehr nach der Quelle schmecken.«1
Uebrigens sey jedes Wort, und jede Wendung verbannet, die wider Hrn. L. geschrieben schiene. Ich habe über seine Materien gedacht, und wo ich insonderheit nach Leitung der Alten davon abgehen mußte, sprach ich offenherzig, und wollte in Form eines Sendschreibens sprechen, wenn es die Abwechselung und der Inhalt der Materien zugelassen hätte. Wenn meine Zweifel und Wiedersprüche die Leser des Laokoons dahin vermögen, ihn nochmals, ihn so sorgfältig, als ich, zu lesen, und ihn aus meinen Zweifeln, oder meine Zweifel aus ihm, zu verbessern: so habe ich der Sache des Laokoons weit mehr gevortheilet, als durch ein kaltes Lob, hinter welchem jeder Leser, so, wie sein Urheber und Besitzer, gähnet. Meine Schrift selbst: wie würdig mir Laokoon geschienen, um darüber zu denken! sey ein Opfer meiner Achtung an den Verfasser desselben: Lobworte darzubringen habe ich nicht.
1 Leß. Vorr. zu Laok.
XXIV.
Der Rest1 beschäftigt sich mit einigen Fehlern der Winkelmannischen Schriften: ich wollte, daß die Aufmerksamkeit Hrn. L. lieber auf das Wesentliche derselben, und auf das ganze Gebäude seiner Geschichte gefallen wäre, das noch so mancher Schwierigkeit unterworfen ist. – –
Da ich Jahre her täglich zu den Alten, als zu der Erstgeburt des menschlichen Geistes, wallfahrte, und Winkelmann als einen würdigen Griechen betrachte, der aus der Asche seines Volkes aufgelebt ist, um unser Jahrhundert zu erleuchten, so kann ich Winkelmannen nicht anders lesen, als ich einen Homer, Plato und Bako lese, und er seinen Apollo siehet.
Indessen haben sich bei einem siebenmaligen Lesen freilich auch Zweifel bei mir zu Papier gefunden, die, was insonderheit sein Geschichtgebäude aus den Materialien der Griechischen Litteratur anbetrift, die Alten selbst zu Zeugen, zu Gewährsleuten haben dörften. Da ich also das Glück hatte, von Winkelmann einen ermunternden Blick des Beifalls zu erhalten: so war ich beschäftigt, mit mir selbst nochmals über seine Werke zu sprechen, und alsdenn in dem würdigen Tone vor ihn zu treten, in dem sich sein Geist offenbaret. Wie erhebend wäre der Gedanke gewesen, von ihm, dem Griechen unsrer Zeit, gebilligt zu werden, zur Vollkommenheit seiner unsterblichen Werke etwas beizutragen! –
Und ach! Winkelmann ist nicht mehr! durch die Hand eines Mörders, auf die entsetzlichste Weise der Welt, Rom, und seinem Deutschlande entrissen! O, wenn du Göttlicher, noch wie ein seliger Dämon, umherwandelst: so sieh die Bestürzung, mit der mich die Nachricht von deinem Verluste traf, die ungläubige Unruhe, die dich noch immer lebend sah, und endlich die Thränen der Wehmuth, die ich deinem Tode schenkte! Wie mancher Litterator und Alterthumskenner hätte statt seiner nicht blos sterben können, sondern auch vielleicht sterben sollen, damit die Welt nicht einst nichts, als verführende Spuren, von ihm aufzuzeigen habe!
1 Laok. p. 261–298.
Beschluß.
Ich bin Hrn. L. auf seinem Pfade gefolget, und, wenn sein Laokoon »mehr unordentliche Collektaneen zu einem Buche, als ein Buch selbst«1 ist: was sind denn meine Kritischen Wälder? Sie sind zufälliger Weise entstanden, und mehr durch die Folge meiner Lectüre, als durch die Methodische Entwicklung allgemeiner Grundsätze angewachsen. Sie zeigen indessen, daß sich auch unsystematisch irren lasse, daß nicht blos, wenn man aus ein paar angenommenen Worterklärungen, in der schönsten Ordnung, sondern auch, wenn man aus einigen ausgerißnen Stellen in der schönsten Unordnung alles, was man will, folgert, man dem Fehltritte gleich ausgesetzt bleibe. Ich bin übrigens zu sehr ein Deutscher, daß ich nicht, wenn sich ein Machtwunsch thun ließe, gleich lieber in meine Kritischen Wälder, Ordnung und System hinein wünschen wollte; und noch mehr wünsche ich ihnen »das Vorrecht der Alten, keiner Sache weder zu viel, noch zu wenig, gethan zu haben.«2 Ich habe jetzt in der Materie, die Laokoon abhandelt, den Grund gesichert; die Folge wird zeigen, was sich darüber aufführen lasse?
Vor der Hand verbitte ich mir nur Eins, den Titel meines Buchs nicht zu einem Gegenstande artiger Wortspiele zu machen, an denen manche Witzige unsrer Kunstrichter nicht arm zu seyn pflegen. In mehr als einer Sprache hat das Wort Wälder den Begriff von gesammelten Materien ohne Plan und Ordnung; ich wünschte nur, daß meine Leser die etwas trocknen und verschlossenen Pfade dieses ersten Theils überstehen möchten, um hinter denselben zu freiern Aussichten zu gelangen.
1 Vorrede zum Laok.
2 Eben das
Zweites Wäldchen
Inhalt
I. Ueber einige Klotzische Schriften.