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II.
»Meine Meinung ist,1 daß Homer manchmal an einem sehr ungeschickten Orte den Leser zum Lachen bringen wollen, und damit seinem göttlichen Gedichte nicht leichte Flecken angesprützt, die demselben eine nicht kleine Unförmlichkeit, und dem Leser Verdruß erwecken. Hieher kann man in der Odyssee den Streit des Iris mit Ulysses, und im ersten Buche der Iliade den Ort rechnen, wo er den Gott Vulkan einen Gaukler (histrionem) spielen läßt – denn was spielt er anders, als einen Gaukler, da er den Göttern Wein einschenket, und diese den hinkenden Mundschenken mit großem Gelächter begleiten.« Noch mehr aber wird die Sache aus dem zweiten Buche erhellen – und nun kommt weit und breit die Geschichte von Thersites, die Hr. Kl. mal über mal für unanständig, unschicklich, ungereimt, unwürdig erklärt, und mit einem recht thersitischen Geräusche völlig aus Homer verwirft.
Nun wundre ich mich zuerst über die Verwunderung, »daß unter allen Feinden Homers noch niemand auf diese Geschichte gefallen, daß, so sehr man alles zu seinem Tadel gesammlet, man nicht diesen Ort angeklaget. Ich wundre mich, daß sich Hr. Kl. so viel Mühe giebt, es zu untersuchen, woher sich alle hätten betriegen lassen, diese Stelle nicht zu tadeln; daß er selbst eine Gedankencitation von Vida anführet, wo dieser wohl Thersites könne im Sinne gehabt haben, und – bei allem nicht den Franzosen, dem er, Hr. Kl. so manches Maleranekdotchen, und zehen gegen Eins, auch diesen ganzen Tadel schuldig ist, den er so unerhört, so weitläuftig, so wichtig vorzeiget.« Hr. Kl. wird doch seinen Leibautor, wenn es auf Malergeschichtchen ankommt, den berühmten d'Argenson,2, nicht verkennen?
Der Franzose sagt bei Gelegenheit seines Julius Romanus, und des lächerlichen Zwerges im Gemälde Konstantins: »es ist wahr, daß sich eine solche lächerliche Figur zu einem so ernsthaften Gegenstande gar nicht schicket; man müßte denn diesen Maler mit dem Homer entschuldigen wollen, der in der Iliade einen Vulkan, worüber die Götter spotten, und einen von aller Welt verachteten Thersites anbringt, um den Helden seines Gedichts einen Contrast zu geben.« Der Deutsche, oder vielmehr der Deutschlateiner, braucht diese Worte eben in der nämlichen Absicht, in demselben Zusammenhange, wie der Franzose, schmückt sie mit eben demselben Beispiele von Julius Romanus und andern bekannten Malern aus, die meistens d'Argenson selbst an ihrem Orte anführt, – und doch wird unter seinen Händen den alles Neu und Unerhört. Ja endlich trübet er so gar d'Argensons bessere Anführung Homers. Dieser giebt dem Thersites einen »von aller Welt verachteten Charakter,« den ihm auch Homer giebt; Hr. Kl. macht ihn zum Possenreißer, was ein d'Argenson sich nicht einmal zu behaupten getrauete, und wovon Homer nichts weiß. Der Franzose läßt ihn und Vulkan vom Homer charakterisiren, um den Helden seines Gedichts einen Contrast zu geben; der Deutsche fährt über Homer her, daß er aus Ungeschliffenheit seines Zeitalters, aus der eitlen Sucht, dem Leser ein Lachen am unrechten Orte abzujagen, oder gar aus Mangel der Beurtheilungskraft, dem Gedichte so häßliche Flecken einbrenne, dem Leser zur Last wäre, ihm an unrechtem Orte ein unanständiges Lachen abzwinge, die Würde seines Epos aufopfere – Mit wem von beiden ließe sich also vernünftiger Homer untersuchen, mit dem vernünftig tadelnden Franzosen, oder mit dem sich brüstenden Deutschen? Leider muß ich mit dem letzten!
Was also Vulkan betrift: wird jeder Kenner Homers wissen, daß das Ideal seiner Götter nichts weniger, als das Ideal höchstvollkommener, geistiger, allerhöchster Wesen sey. Sie haben alle ihren Charakter, der nach Körper und Seele, nach Stärke und Denkart, nach Würde und Neigungen, nach Ansehen und Verrichtungen so bestimmt ist, als die Namen, die sie führen, oder die Partei, die sie im homerischen Gedichte nehmen. Wie also bei den alten Künstlern die Bildung jedes Gottes ihr eigentliches Ideal, ihre Gestalt bis auf Bart und Haupthaar hatte: so sind auch in Homer ihre Charaktere gleichsam eine Reihe von eigenthümlichen Brustbildern, von Wesen, wo jedes aus sich, wo keins, wie ein drittes, handeln muß. Gegen Menschen gerechnet haben freilich alle homerischen Götter ihr eigenes Anständige; aber unter sich selbst ist wieder ihre Würde, ihr Anstand, ihre Art zu handeln so eigen bestimmt, so sonderbar, als eines jeden Körper und Name. Man streiche in der ganzen Iliade alle Namen der Götter und Göttinnen aus; ich will jedes von ihnen aus ihren Reden und Handlungen errathen: und es kann aus Homer eine solche Gallerie von Dichterischen Idealen seiner Götter erbauet werden, als Winkelmann seine Ideale derselben aus der Kunst aufstellet.3
Hier also an unserm so unanständig lächerlichen Orte4 – was war geschehen? Jupiter erscheint mit aller Ehrfurcht der Götter im Olymp, und die gebieterische Juno fängt über seine geheimen Rathschläge zu zanken an. Der oberste der Götter antwortet zuerst groß und unabhängig, und als Juno fortfährt und seine Rathschläge offenbaret, zornig und mächtig drohend. Verstummt vor Furcht, gebeugt in ihrem Herzen sitzt die hohe Juno da, und alle Himmlischen im Hause des Gottes versammlet, erseufzen. Eine schauderhafte Stille, eine unruhige stumme Scene, wie vor einem Ungewitter, herrscht im Olymp!
Wer soll sie brechen? Soll Homer seinen Gesang schließen, und den Leser in einer bangen Besorgniß lassen, ob nicht auf dies Schaudervolle Verstummen nachher wirklich ein Ungewitter erfolget? ob nicht etwa die gebietende Juno den Streit erneuret, und also der mächtige Zevs seine Drohungen erfüllet? Unwürdige Besorgniß! der Hoheit des Epischen Gedichts, und dem Zwecke der homerischen Handlung entgegen! Homer, der nirgend seine Handlung abbricht, sie mit jedem Worte weiter fortführt, thäte doppelt Unrecht, in seinem ersten Gesange, bei der ersten Versammlung der Alles lenkenden Götter uns nicht das Ende ihres Raths wissen zu lassen, und noch ärger uns auf sein ganzes Gedicht hin eine Idee von seinen seligen Göttern beizubringen, die uns wohl nicht den Zustand derselben sehr beneidenswerth vorstellte. –
Vollendet muß also der Auftritt werden, aber wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zweck erneuren, und vor unsern Augen unglücklich werden? Unwürdiger Anblick! Soll sie fußfällig abbitten? Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels, dazu ganz unjunonisch! Eher ließe sie sich auf die gedrohete Art strafen, lieber wollte sie einer höhern Tyrannei unterliegen, als so ihre weibliche Hoheit verläugnen. Auf solche Bedingungen wird also kein Friede im Himmel!
Und wie denn? Es trete ein Friedensstifter auf zwischen beiden! Doch wer? Einer, der durch sein Ansehen rechte, und durch die Würde seiner Person, als ein himmlischer Nestor, Jupiter und Juno zum Stillschweigen bringe? Solch einer ist nicht im ganzen Olympus! Der Streit ist zwischen den höchsten Göttern: er betrifft die Anschläge Jupiters, und die rechtmäßigen Drohungen seiner Macht: seine ganze Klugheit, sein obergöttliches Recht, seine Gewalt – alles ist mit im Spiele. Wer soll nun auftreten, ihm zu wiedersprechen, ihn ein beßres belehren zu wollen? Alle Anwesende sind Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selbst die Göttin der Rathschläge, Minerve, ist die Tochter seines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als daß er sich wiedersprechen, belehren lasse. Alle also, und ohne Ausnahme alle Götter von Würde, von Ernst handeln am besten, wie sie bei Homer handeln, stille sitzen und schweigen.
Anders also, anders wird die Zwietracht im Himmel nicht gestillt, als daß jemand Juno, die schwächere, und noch dazu die unbillige Parthei des Streites, besänftige – Wer soll dies thun? Etwa Einer, der Jupiter und Juno kenne, vielleicht beiden angehe, nicht zu erhaben sey, um beiden gute Worte zu geben, nicht zu ansehnlich sey, um seine Würde dabei in Gefahr zu setzen – Ein solcher seis, und hat er etwa in seiner Geschichte, in seinem Charakter, in seiner Gestalt Etwas, was Juno warne und besänftige, was die Macht Jupiters gleichsam redend, sichtbar zeige, Ihm also auch Recht gebe, ihn damit auch besänftige – ist ein solcher