Nun aber hat eben dieser lächerliche Thersites unschuldiger Weise zu einem andern Buche von 284. Seiten Gelegenheit geben müssen, in welchem er s.v. die Hauptfigur ausmacht. Hr. Klotz hat ihn würdig geachtet, meistens über ihn ein Bändchen Epistolarum Homericarum (vielleicht ein zweiter Riccius) zu schreiben, und ihn darinn feierlich in die Acht zu erklären, in den Bann zu thun, ins Feuer zu werfen – kurz, aus Homer auszurotten. Ich habe gesagt, daß über Thersites die Homerischen Briefe geschrieben; denn außer dem, daß er ihnen den meisten Inhalt, d.i. die meiste Gelegenheit, umher zu schwärmen, verschaffet; so würde ich, wenn ich Verfasser der Briefe wäre, es meinem Leser danken, wenn er die übrigen Materien, so ohne Prüfung, vorbeischleichen lässet.
Hr. Klotz also macht nach einem Eingange von achtzehen Seiten, in denen er uns, nach seiner Gewohnheit, nichts mehr sagt, als: ich bin auf dem Lande, und lese, die sehr neue Bemerkung:19 daß ein großer Geist auch Fehler habe – daß Homer selbst zuweilen schlummere, daß man diese Stellen des Schlummers bemerken dörfe – daß Er – – und nach aller gesteigerter Erwartung kommt das große und breite Beispiel:20 »daß Homer geschlummert, glaube ich, erhelle an den Orten, wo er, – es sey nun, daß er sich damit nach den Sitten seines Zeitalters bequemet, die noch nicht gnug gefeilt waren, und bei ihrer Einfalt etwas Bäurisches und Rauhes haben; oder weil es schwer ist, zurück zu halten, wovon wir glauben, es werde den Lesern Lachen erwecken; oder durch einen Fehltritt seiner Beurtheilungskraft – kurz! wo er sich zu dem herab läßt, wovon ich halte, es schicke sich zu der Würde und Ernsthaftigkeit des Epischen Gedichtes ganz und gar nicht. Ich meine aber, daß Homer dadurch, daß er zuweilen, an einem sehr unschicklichen Orte, seine Leser lachend machen will, daß er dadurch sein Göttliches Gedicht mit nicht leichten Flecken besudele, die ihm (dem Gedichte nämlich) eine nicht geringe Verunstaltung, dem Leser aber – Verdruß erwecken. Die Sache wird aus dem zweiten Buche erhellen – –« Ob ich gleich meinen ernsthaften Autor sehr ehrerbietig, wie ein Dekret der Sorbonne übersetze, und seinen Styl, der im vollen Monde gebildet worden,
– – for scull
That's empty, when the Moon is full,
mit allen seinen Gelenken und Gliedern gern ganz liefre; so kann ich doch ein Paar Seiten21 überspringen, in denen er Homers Auftritt des Thersites vorbringt. Was Homer gesagt, ist mir was Altes, aber was darüber gesagt wird, etwas Neues. »Nun will ich nicht läugnen, daß Homer alles gesammlet, was den Anblick des Menschen häßlich und lächerlich machen kann; und auch das sehe ich leicht ein, warum Claudius Belurgerius (v. Nic. Erythraei Pinacoth. p. 205. & Vincent. Paravicini Singul. Erud. Cent. III. n. 12. p. 150.) sich an diesem Bilde des Thersites, von der Hand eines geschickten Künstlers gemalt, so sehr ergötzet. Immer aber wollen wir den Spruch Quintiliani betrachten: Nihil potest placere, quod non decet, zu Deutsch: Nichts kann gefallen, was nicht anständig ist. Wenn dieser Mensch etwa in einer Satyre, ober in einem andern Possengedichte aufträte: so würde er mich nicht wenig ergötzen, und ich würde dem Dichter gern das Lob des Witzes, und der Erfindung ertheilen.
Sed nunc non erat his locus etc. etc.«
Mit Erlaubniß des Hrn. Chr. Ad. Klotzius, und Claudius Belurgerius will ich hier eine lange Stelle aus Horaz, und Beispiele aus Virgil, Tasso, und wer weiß woher?22 übergehen, die von der Belesenheit des Hrn. Briefstellers zeigen, und den Satz hier durch sich selbst, am besten bestätigen: daß manches zu sehr unrechter Zeit kommen könne. Ich will bei Thersites bleiben. »So wie es unschicklich ist, in einer Scherzsache Trauerspiele zu erwecken, so auch in einer ernsthaften Sache zu lachen, wer würde das für anständig halten? hier wollen wir nicht lachen, wir sind voll Erwartung, die uns der Poet selbst eingeflösset, was die Sache für einen Ausgang nehmen wird. Wir sehen das ganze Kriegsheer erregt, zusammen laufend: wir wollen wissen, ob die Griechen wieder die Waffen ergreifen, oder nach Hause gehen werden: und siehe! da stößt uns jenes Fratzengesicht (zu Griechisch μορμολυκειον!) auf, und hält uns Eilende bei der Schleppe zurück. Wir widerstreben, wir sind auf den un willig, der uns das Ungeheuer zuschickte, und da, wo wir ernsthaft, nicht blos seyn wollten, sondern auch mußten, lachen wir leider.« Alle Hochachtung für des Hrn. Klotzius Ernsthaftigkeit und seine Schleppe! wollte ich hier nur ein Paar Kleinigkeiten fragen: ob nämlich Homer uns mit einer Bürgermeister- oder Scholiasten-Perucke vorsinge? ob sein Thersites denn als eine Possenfigur, als ein Ding zum Lachen auftrete? Ist dies nicht, tritt er jetzt in diesem kritischen Zeitpunkte, als ein Redner im Namen der ganzen Griechischen Canaille auf, alles abzusagen, was solche Thersites in der Griechischen Armee auf ihren Herzen hatten: gewiß! so kann Homer keinen gelegenern Zeitpunkt finden, als diesen, und das Colorit, in dem Thersites erscheint, ist so dem Epischen Tone gemäß, daß ich mir ihn in keinem andern denken kann. Nicht häßlicher; sonst verdient er den Augenblick todtgeschlagen zu werden; nicht frömmer; sonst würde er schweigen, und so würde kein Herold seyn, der auch die Stimme des Pöbels einmal hören ließe. Ich bin also vor meiner Schleppe und vor einem unanständigen Lachen sicher! Der ernsthafte Homer aber, der seinen Thersites ganz anders, nämlich als ein unnützes Fratzengesicht, als ein Ungeheuer, das sich zum Lachen vordrängt, kennet, und davor sehr bange ist, fährt fort:
»Wenn wir hingegen den Menschen weg werfen, wenn wir alle die Verse wegschneiden, laßt sehen, ob wir nicht eine ernste Mine behalten werden Ich sage es noch einmal, Homers Thersites gefällt mir nicht, und wird mir nie gefallen, wenn ihn auch Medea wieder verjüngte. Wegjagen wollen wir den Menschen, oder wenn er sich widersetzte, und sich erkühnte, Uns auch, so wie die Griechischen Feldherren, zu schmähen, so soll er mit umgedrehetem Genicke heraus. Zwar zweifeln wir nicht, daß auch Er seine Vertheidiger finden, daß sich Einige finden werden, die an den artigen Jungen nicht wollen Hand angelegt haben. Denn es giebt Leute, die mit den Musen und mit der Philosophia in keinem Umgange, in keiner Bekanntschaft stehen, die die Wissenschaften blos als Handwerk gelernt, die da schreien u.s.w. – «Wehe mir! dieser scheltende sehr ernsthafte Ton geht eilf Seiten durch, und wie sollte ichs nun wagen, einen Thersites Homers zu retten, der ohne Grund und Ursache verurtheilt ist. Wehe mir! so gehöre auch Ich alsdenn unter die Leute, die mit den alten Jungfern, den Musen, und mit der ehrbaren Dame Philosophia in keinem Umgange stehen, denn ich hätte geglaubt, Thersit wäre zu viel geschehen. Ich lege also voll ernsthafter Ehrerbietung die Hand auf den Mund, und reiche blos mit geziemender Achtung dem h.t. größten Kenner Homers in Deutschland diesen alten Dichter zum nochmaligen Durchlesen dar: denn aus diesen und andern Urtheilen, die er über Homer hie und dort gefället, haben viele Leser mit Recht gemuthmaßet, er kenne denselben vielleicht nur noch aus dem ersten flüchtigen Durchlaufe, den er, wie er uns selbst mit der liebenswürdigsten Offenherzigkeit erzählt,25 einmal mit seinem Stubenburschen in 24 Tagen durch den ganzen Homer hin angestellet, um nur ohngefähr etwas von der Form des ganzen Werks zu wissen, und sich eine Copiam vocabulorum