Und wozu nutzet denn Homer den Thersites? Die Frage wird wieder Homerisch, und in Homerischen Fragen antworte ich so selten mit Hrn. L. gleich. »Homer macht den Thersites häßlich, um ihn lächerlich machen zu können. Durch seine bloße Häßlichkeit wird er nicht lächerlich; aber auch ohne dieselbe nicht seyn.«1, Auf diese Assertion bauet Hr. L. einen Theil seiner Theorie des Lächerlichen, der ich lieber einen andern Ort und Grundlage wünschte, als hier.
In meinem Homer ist der Hauptcharakter Thersites nicht lächerlich, sondern häßlich; er ist kein lächerlich, sondern boshaft knurrender Kerl, er hat die schwarzeste Seele unter allen vor Troja.2 Alle sitzen ruhig; der einige Thersites lärmt noch umher:3 er fängt, wahrhaftig nicht zum Spaaße, sondern mit der bittersten Galle an, zu zanken: er schmähet die Könige, aber gewiß nicht als Hofnarr, sondern als Feind, als Todfeind. Wie derb und empfindlich4 schmälet er auf Agamemnon! auf seinen Geiz, auf seine Feigheit, auf seine Ungerechtigkeit! Und das alles, vor der Armee, verläumdend und lügenhaft, im dreustesten Tone, als ein Richter der Könige! und dazu, als wäre es im Namen aller Griechen,5 als hätten ihn alle dazu gedungen! und in eben demselben Athem schimpft er die ganze Nation6 selbst, schilt alle Griechen für Feige und Nichtswürdige, spricht in einem Tone, als hätte er mehr, als alle, gethan, müsse für alle sorgen, könne allen gebieten, könne über alle urtheilen! Und noch nicht gnug! er muß noch einen Abwesenden,7 den Tapfersten der Griechen, den Achilles schmähen, und zwar mit der gräulichsten Lüge schmähen, daß Achilles kein Herz habe – O der nichtswürdige, häßliche Kerl! Nach Griechischen Begriffen konnte kein Nichtswürdigerer vor Troja gefunden werden.
Und wenn er noch das alles aus Dummdreustigkeit sagte! aber nun kennet ihn Homer besser: er war schon von jeher gewohnt, so Pöbelhaft sich gegen die Könige zu setzen, um – den Griechen eine Freude zu erwecken, einen Gefallen zu thun8 – und nun wird der Kerl noch niederträchtiger, noch häßlicher. Nach Griechischen Begriffen der Ehre, kann es keine häßlichere Seele geben.
Daher hassen ihn auch alle Griechen:9 daher auch mitten in ihrer Betrübniß das Freudengelächter,10 da sich Ulysses seiner erbarmet, und ihn mit seinem Zepter zum Schweigen bringt: daher die allgemeine Stimme: »Ulysses hat nie eine herrlichere That gethan, als jetzt, da er diesen bösartigen Schwätzer gezüchtigt.«
So schildert ihn Homer mit jedem Zuge: so zeigt er sich selbst mit jedem Worte: so begegnet ihm Ulysses mit Auge, und Mund und Hand. Er wirft ihm den verächtlichsten Blick zu;11 spricht und handelt mit ihm en Canaille; so beträgt er sich hintennach selbst: er hängt die Nase, krümmt den Rücken, und weint – verächtlichste, häßlichste Seele vor Troja! Nach Griechischen Begriffen war der Werth eines Mannes, eines Soldaten, eines Helden auf edlen Stolz gegen sich selbst, auf Ehrerbietung gegen die, so Ruhm verdienten, auf Männliche Wahrheitliebe, auf Achtung gegen das Publikum, auf freien Gehorsam gegen die Obern, auf Ehre gebauet – in jedem Verstande war dies ein Ideal einer häßlichen Seele.
Und nach Griechischen Begriffen muß auch eine so häßliche Seele keinen andern, als den häßlichsten Körper, bewohnen: so schildert ihn Homer: »Am Gemüthe der Bösartigste, am Körper der Häßlichste aller Griechen vor Troja.«12
Wo ist nun, daß Homer den Thersites häßlich macht, um ihn lächerlich zu machen? Ihn als Possenreißer vorführen, will er wahrlich nicht: blos ein Misverstand des Griechischen Ausdrucks13 hat Hrn. L. und andre dazu verleitet. »Er war so niederträchtig, sagt Homer, daß er seine Pflicht vergaß, mit den Königen zankte, sich Prügel verschaffte, blos, um den Griechen mit seinen Reden eine Freude zu machen;« – nichtswürdige Seele! die alle für so misvergnügt, so häßlich knurrend hält, als sich selbst, die allen durch ihre Bosheit einen Gefallen zu thun glaubt. So erkläre ich Homer, und finde diesen Zug dem ganzen Gemälde seiner Reden, seiner Handlungen gleich, niederträchtig, häßlich. So nimmt ihn Ulysses: er schilt seine Bosheit, verachtet seine Feigheit, straft seinen Trotz; so nehmen ihn die Griechen: sie hassen ihn, hören ihn mit Unwillen, und freuen sich, da sein Rücken blutet: so tritt er vor, so wird er abgefertigt.
Ich sehe also nicht, daß das γελοιον sein Hauptcharakter ist, noch minder, daß dieser Charakter ohne Häßlichkeit nicht seyn könnte, wie Hr. L. philosophirt.14 Ein häßlicher Körper, und eine häßliche Seele, was giebt dann das für einen Kontrast des Lächerlichen! Nach Griechischen Begriffen gehört nichts besser zusammen, und auch Homer giebt ihm den häßlichen Körper, eben um den Unwillen gegen ihn zu bestärken, um seine häßliche Seele uns sichtbar vor Augen zu stellen, um uns den Kerl durchaus verächtlich zu machen. Das Lächerliche ist so wenig die Hauptfarbe im Thersites, daß selbst die Züge, die man dahin zu ziehen pflegt, sein unendliches Geschwätz,15 sein vieles Geräusch,16 sein Pöbelausdruck,17 sein Zweck,18 um den Griechen einen Gefallen zu thun – nicht den Lustigmacher, sondern nach Griechischen Begriffen, den in allem nichtswürdigen Menschen schildern. Selbst, daß die Griechen über ihn lachen, ist Schadenfreude, ist ein Gelächter des Hasses; nicht die unschuldige Freude über eine lustige Prise, die unschuldig lächerlich wird. Wäre Thersit ein solcher; er sey auch dumm, er sey auch häßlich am Körper; wenn er nicht boshaft handelte – o so vergebe ich es Ulysses nicht, daß er so mit ihm umgehet. Laß den Häßlichen, der sich schön, den Dummen, der sich klug, den Feigen, der sich tapfer dünkt, nur immer ohne blutige Schwiele auf dem Rücken laufen! Laß o Ulysses, nur immer deinen Zepter ruhen, und wenn du nach deiner Klugheit dich selbst kennest, so sprich zu dem, der dir blos lächerlich auf der Nase spielt, was Onkel Tobias Shandy zu jener Fliege: »Geh, armer Teufel! warum sollte ich dir was thun? die Welt ist gewiß weit gnug, mich und dich zu fassen.« Thust du das nicht? willst du einen häßlichlächerlichen dafür abprügeln, daß er häßlich und lächerlich ist? Ulysses so – –
Doch so ist der Homerische Thersites nicht; er verdient, was er bekam: wir sagen mit den Griechen im Homer: »nie hat Ulysses edler gehandelt, als jetzt!« wir gönnen ihm gern seine Tracht Schläge. Wo bleibt also das Unschädliche, das ου φϑαρτικον, das Aristoteles zum Lächerlichen fodert? dem Ulysses und Agamemnon schadet freilich sein bösartiges Verläumden nicht; aber für seinen eignen Rücken geht es nicht so gut ab; denn wem wird ein blutiger Schwielenvoller Rücken, als ein ου φϑαρτικον τι, oder, als ein gutes Unterkleid dünken. Auch den Griechen konnten Schläge, als Schläge, kein Schauspiel des Lächerlichen scheinen; wenn ihr schadenfroher Haß gegen Thersites ihnen nicht in dieser Strafe das: Nicht zu viel! das Viel mehr verdient! hätte fühlen lassen. Der erste Strich vom Lächerlichen, das Unschädliche, ist also ziemlich zweifelhaft: und der andre, der Contrast zwischen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, erliegt bei Thersites unter dem Eindrucke des Unvollkommenen, des an sich selbst Häßlichen. Auch wer ein Grieche werden kann, wird Thersites in diesem Lichte sehen.
Nur weil