Wenn wird unſer Publikum aufhoͤren, dieſes dreykoͤpfichte Apokalyptiſche Thier, ſchlecht Griechiſch, Franzoͤſiſch und Brittiſch auf einmal zu ſeyn? Wenn wird man den Plaz einnehmen, den unſere Nation verdient, Proſe des guten geſunden Verſtandes, und Philoſophiſche Poeſie zu ſchreiben? Oder vorher frage man, wenn wird man aufhoͤren, die beſten Engliſchen Schriftſteller durch Ueberſezzungen zu verunſtalten, und Prior, Milton, Young, in elende oder mittelmaͤßige Hexameter zu uͤberſezzen: ein Sylbenmaas, an das ſie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in waͤſſerichter Proſe, und Shakeſpear im ungleichſten, faſt nie getroffenen Ton uͤberſezzen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitſamen Deutſchen! Ein Deutſcher Johnſon fehlt uns noch, der das fuͤr die Deutſche Sprache wage, was jener fuͤr die ſeinige! Die Philoſophie, das Nachdenken, das Sammlen iſt ja euer Theil, und wir ſtehen den Britten auch in unſerm Eigenthume nach? Wird es bald ſeyn, daß ihr eure Sprache durch Unterſuchungen „ihr Weltweiſen! durch Sammlung und Critik, ihr Philologen! durch Meiſterſtuͤcke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, „alten „Sachen Neuheit; neuen das Anſehen des Alterthums; verroſteten Glanz; dunkeln Licht; „widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤrdigkeit; allen aber Natur„ verſchaffen kann. Werden die Deutſchen bald aufhoͤren, durch ihre langweilige Proſe, gegen die Franzoſen ſolche gute Alte vorzuſtellen, als Terenzens Chremes gegen ſeinen Darus? Werden auch bei ihren Brittiſchen Schriftſtellern bald die Fehler wegfallen, da die Fuͤlle der Gedanken und der Vorrath von Bildern, aus Mangel der Oekonomie, in dem Perioden in Verwirrung geraͤth; ſo wie Verſchwendung nicht den wirklichen, ſondern ſcheinbaren Reichthum begleitet? Werden die beſten Deutſchen Schriftſteller zu ihrer Titelvignette, bald die drei Gratien, als Sinnbild haben koͤnnen: die Thalia mit ihrem Fuͤllhorn voll Fruͤchte, die leichte, gefaͤllige Euphroſyne, und die bezaubernde Aglaja. Laſſet uns einige neuere Originalſchriftſteller anfuͤhren, die dieſen Gratien geopfert haben, und die Ehre unſrer Deutſchen Litteratur ſind:
18.
1. Winkelmann, 43 der Ruhm der Deutſchen ſelbſt unter dem Roͤmiſchen Himmel, den die Muſe des Alterthums und der Geſchichte, die unſterbliche Clio, hat laſſen geboren werden, um, wie jener, der auf dem Cithaͤron gefunden wurde, die Kunſt der Alten zu erklaͤren. Jch fuͤhre es nicht an, wie er die beſten Bluͤthen jeder Antiken Schoͤnheit in ſeine Seele geſammlet: wie er hier unter Schriften, dort unter Denkmaͤlern ſein Auge und ſeinen Geiſt gebildet: wie er ſeine Werke, ſo wie Raphael ſeine Gemaͤlde, mit Feuer entwarf, und mit einem gluͤcklichen Phlegma vollendete: wie er eine Syſtematiſche Geſchichte unter Ruinen und Ueberbleibſeln liefern konnte: ſondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einſchraͤnken. So wie die Attiſchen Juͤnglinge an dem Altar der Pallas Aglavros ihrem Vaterlande den Eid der Liebe ſchwuren: ſo hat die Muſe auch auf ſeine Schriften geſchrieben: dem Vaterlande geweihet. Wenn ich mir zum Gebaͤude des Koͤrpers die weiſe Einfalt des Sokrates, des Lehrers der Gratie denke, wenn ich dieſem Koͤrper das Gewand der Natur von dem einen Schuͤler des Sokrates, dem Xenophon, und ihm von dem andern, die Fluͤgel hoher Jdeen gebe: ſo ſtehet ein Bild vor mir, als wenn es die Muſe der Winkelmanniſchen Schriften waͤre. Einfaͤltig im Vortrage: natuͤrlich in der Ausfuͤhrung, und erhaben in den Schilderungen, ſind ſie Werke der Unſterblichkeit wuͤrdig, und der Name unſers Jahrhunderts.
2. Hagedorn 44 hat der Goͤttin der Gemaͤlde einen Altar von weißem Marmor errichtet, und mit vieler Annehmlichkeit um ihn Blumen zu ſtreuen gewußt: das ganze Werk zeiget vielen Geſchmack des Kuͤnſtlers, noch mehr Kaͤnntniß des Werkmeiſters, und die feinſte Critik des Coſtume: das Bildniß der Goͤttin ſelbſt aber iſt dem Fleiß, der Muͤhſamkeit und Dauer nach, eine aͤchte Moſaiſche Arbeit — — Doch ich rede frei und ohne Schleier. Der Verfaſſer verraͤth viele Bekanntſchaft in den Kunſtſaͤlen von hohem Geſchmack, und in den Malerakademien nach dem Ueblichen; aber vielleicht etwas mindere in dem heiligen Haine der ſchoͤnen Natur; daher ſeine Philoſophiſche Betrachtungen uͤber das Schoͤne ꝛc. in der Kunſt nie das Weſen erreichen. Fuͤr Lehrlinge iſt ſein Lehrbuch eine zu dunkle und in den Schoͤnheiten zu verſchloſſene Encyklopaͤdie der Malerei; deſto angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr Werkmann ſeyn will, als er leichte und galante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug beſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte: ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet; aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pallas uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zierrathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht beharniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn, bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen Anſtande auf die Seele ſchließt; allein vielleicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſtſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤnheit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der Unterricht nicht oft nach Grundſaͤzzen eine Luͤſternheit uͤbrig ließe. Jch urtheile, wie ein Deutſcher! ihr Deutſche! haltet ein Werk werth, an dem der Franzoſe blos etwas vom Geſchmack; der Britte vom Fleiß, und der Waͤlſche vom Unterricht abborgen kann: das uͤbrige iſt euer!
Von den Denkmaͤlern der Kunſt komme ich zu denen, die den Buͤrger bilden! Und da ſteht ein Deutſcher Browne!
3. Moſer 45 kennet das Schroot und Korn der Deutſchen Sprache: der alten Lutheriſchen Religion, der alten Freiheit, Ehrlichkeit, und geſunden Vernunft unſerer Vaͤter: und er kann mit mehrerem Rechte unſer Deutſcher Browne ſeyn; als Jſelin mit ſeinen Platoniſchen Traͤumen, und Wegelin mit ſeiner Hypochondriſchen Fuͤlle von Tugend, in der Schweiz. Wie Parrhaſius dort den Geiſt der Athenienſer malte, „der veraͤnderlich, rachſuͤchtig, ungerecht, unerbittlich „und gnaͤdig, ruhmraͤthig, erhaben und niedrig, wild und feige, und alles zugleich war ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen malen, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Erfindung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herrſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zuſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Moſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders bedauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Weltweiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchreiben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Verfaſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchicklichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſunde Adern unter einer ſeinen Haut ſich verbergen: ein zweiter Moſer, der auch bisweilen ſein Antipode ſeyn koͤnnte, um viele ſchwermuͤthige Klagen mit leichtem und geſundem Blut zu leſen, und ihn endlich davon abbraͤchte: ein Prediger in der Wuͤſte zu ſeyn, wie jener, der nur ein Vorbote von dem war, der kommen ſollte, und ganz anders als ſein Vorlaͤufer ſeyn muſte. — Sollte es nicht mit zur Deutſchen Nationalfreiheit gehoͤren, daß ein Genie, welches ſelbſt nicht Mutter