5. Jezt ein Schriftſteller, nicht blos des Vaterlandes, ſondern auch der Menſchheit: Spalding. 48 So wie ſeine Wahrheiten ſich zwiſchen Philoſophie und gemeine Beobachtungen ſtellen; ſo graͤnzt auch ſein Vortrag mit Genauigkeit und Aufwand: ſein geſezter Stil nimmt hie und da die Miene des Tiefſinns an, und ſein bluͤhender Stil ſcheint ſich in den Luxus zu verlieren; aber man trete naͤher! Selbſt der Aufwand wird alsdenn ein Stuͤck des Nothwendigen, und die Schreibart ſchließt ſich der Denkart ſo an, wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤrper durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart immer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blumen beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mittel zwiſchen gelehrter Weisheit und unverſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤdiſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit einerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel erniedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelenſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem ebenfalls denkenden, gelehrten, und beredten Theologen vergleiche; es iſt kein andrer, als Acken. Wenn ich die Predigten dieſes Mannes, als erbauliche Abhandlungen anſehe: ſo verbinden ſie Philoſophiſche Genauigkeit, Deutſchen Nachdruck, und Griechiſche Schoͤnheiten mit einander bis zu den kleinſten Theilen: zu leſen ſind ſie vielleicht die beſten Deutſchen Predigten, die die meiſten Franzoſen an Gruͤndlichkeit, die Englaͤnder an feinen Verzierungen, und ſeine Landsleute an nachdruͤcklicher Kuͤrze in dieſer Art von Schriften hinter ſich laſſen. Daruͤber wundere ich mich alſo nicht, daß ſie wider ihr Verdienſt unbekannt geblieben; denn ſie ſind ja keine Poſtillen, und keine blendende Sermons; aber daruͤber wundere ich mich, wie dieſer Deutſche Chryſoſtom in ſeinem Pathmos ſich ſo hat verirren koͤnnen, um vom Urſprung der Opfer auf eine ſo myſtiſche Art zu ſchreiben:
Infert ſe tectus nebula. Mirabile dictu!
6. Sokrates fuͤhrte die Weltweisheit unter die Menſchen; hier iſt der Philoſophiſche Schriftſteller unſerer Nation, der ſie mit der Schoͤnheit des Stils vermaͤlt haben ſoll: der Verfaſſer der Philoſophiſchen Schriften. 49 Ja er iſts, der ſeine Weltweisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu ſtellen weiß; als haͤtte es die Muſe ſelbſt geſagt: er denkt da, wo andere ſich begnuͤgen, Schoͤnheiten zu empfinden: er hat unter den Deutſchen die Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ausgebreitet, die Baumgarten in Abſicht der Lateiniſchen Schriftſteller ſo vorzuͤglich bewies; und —
Jch fuͤhle es doch bei ſeinen Philoſophiſchen Schriften manchmal, was er ſelbſt fuͤhlte: „ich bekenne es, daß ſich zu blos ſpekulativen Unterſuchungen kein Vortrag beſſer ſchickt, als der ſtrenge Syſtematiſche. Jch „trauete mir aber das Vermoͤgen und die Fertigkeit nicht zu, meine Gedanken beſtaͤndig „an eine ſo ſtrenge Ordnung zu kehren.„ Man hat ihm hieruͤber, als uͤber ein Kompliment, Gegenkomplimente gemacht; allein wenn Moſes unter dem Syſtematiſchen Vortrage mehr als eine aͤußere Mathematiſche Lehrart verſtehet, ſo wird jeder ſeine Entſchuldigung fuͤr Wahrheit annehmen. Jugendliche Einkleidungen in Briefe, und Geſpraͤche; die Epiſoden in den Briefen, und die fremden Eingaͤnge in den Geſpraͤchen: ſcheint mir ein Putz, den die Philoſophiſche Wuͤrde nicht braucht. Denkende Leſer fuͤhrt er von der Betrachtung der Wahrheit ſelbſt ab: ſie muͤſſen ſich von den Spazziergaͤngen nachher wieder zuruͤck finden: und wer blos wegen dieſer Einkleidungen lieſet — fuͤr den hat Moſes nicht geſchrieben: eine Braut blos wegen ihres Putzes lieben, iſt laͤcherlich. Der Weiſe ſehe ſeinen Gegenſtand ſo helle als Moſes; er zeige ihn im rechten Geſichtspunkte, er leite die Jdeen natuͤrlich fort, er habe die Erlaͤuterungen, und die Sprache in ſeiner Gewalt: ſo wird eine ſimple Abhandlung draus werden, ohne Trockenheit und fremden Schmuck; ſie wird ihren ganzen Zweck erreichen, einem Leſer, der Wahrheit ſucht und liebt, ohne Zwang und Umwege, ein Geleitsmann zu ſeyn — wozu? nicht zu lernen, ſondern ſelbſt zu denken. So ſind die Abhandlungen im 2ten Theil der Philoſophiſchen Schriften; einige Litteraturbriefe, die eigene Betrachtungen liefern, vielleicht von eben dem Verfaſſer, und — die Leßingſchen Abhandlungen.
7. Leßing — 50 leider! daß ich von ihm ein einziges ausgearbeitetes Proſaiſches Werk anfuͤhren kann, da doch das Publikum laͤngſt eine neue veraͤnderte Ausgabe ſeiner Schriften erwartet hat, die, in Betracht ſeiner Talente in Wiz und Phantaſie; in Betracht ſeines Scharfſinns im Zergliedern, und ſeines gluͤcklichen Ausdrucks, die Worte zur Aufſchrift verdienen wird: „ſo viel that er: Nachwelt! „ſchließe draus, was er thun konnte!„ 51
8. Wir haben noch einige niedliche Abhandlungen in der Litteratur, die lezten Jahre her erhalten: unter denen ich die Moͤſerſchen 52 Schriftgen: Harlekin, oder vom Groteske-Komiſchen, ſein Brief an den Savoyiſchen Vikar u. ſ. w. nenne. — Es iſt uͤbrigens zu beklagen, daß man einige der beſten Deutſchen Poeten, nicht ſonderlich im Proſaiſchen Stil loben will; wie ich dies bei dreien inſonderheit bemerkt zu haben glaube, denen es nicht gleich gut gelingt, Briefe und Lieder, Fabeln und Abhandlungen zu ſchreiben.
9. Darf ich unſre Schriftſteller mit einem Autor beſchließen, der nach dem erſten Urtheil der Litteraturbriefe mit Winkelmann eine Aehnlichkeit hatte, und nach dem lezten Richterſpruche ſein Antipode geworden: der erſt ein Heiligthum unſrer Zeit (αναϑημα) war, und nachher zum Zeichen des Schreckens (αναϑεμα) wurde: es iſt der Verfaſſer der Sokratiſchen Denkwuͤrdigkeiten: 53 wer ihn nicht als Geſtirn betrachten will in unſerer Litteratur: ſehe ihn als Meteor an; ein Phoͤnomenon bleibt er doch immerfort.
Der Kern ſeiner Schriften enthaͤlt viele Samenkoͤrner von großen Wahrheiten, neuen Beobachtungen und einer merkwuͤrdigen Beleſenheit: die Schale derſelben iſt ein muͤhſam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤcken, Anſpielungen und Wortblumen. Der Philolog hat, damit ich mich ſeines eigenen Zeugniſſes bediene:
Geleſen:) und allerdings, ſehr viel, ſehr weitlaͤuftig und mit Geſchmack geleſen (multa et multum