Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus- und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte aufopfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen, wiefern gewiſſe Materien in gewiſſen Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln laſſen.

      Materien der Weltweisheit theilen ſich am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnliche erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤberall gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam nach ihren Worten bequemet, und den Begrif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤzlich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Einwurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Orthodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache abhaͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihrem Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Philoſophie, zu der doch auch unſre Sprache vorzuͤglich ſich gebildet hat.

      „Eine Sprache, die wenig Unterſchied in „den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfswoͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich „zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die „Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif „von den temporibus der Griechiſchen „Sprache. Der Deutſche hat ſelten das „Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden temporum praeteritorum der Franzoſen, daß „aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Mißverſtaͤndniſſe entſtehen.„ Jndeſſen iſt dieſe Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbetraͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſionen haben wir ſogar vor dem Franzoſen viele Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang bringen, und ſelbſt als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man ſtatt der Auszuͤge es unternehmen wird, einzelne Zeitpunkte der Geſchichte mit allem Fleiß zu bearbeiten: ſo wird unſere Sprache ſo leicht Muſter im hiſtoriſchen Stil bekommen, als ſie ſchon in der Weltweisheit hat.

      Schoͤne Proſe iſt ſchon mehr in die Jdiotismen verwebt; und unſre Sprache hat alſo in dieſer Schreibart viel von der Franzoͤſiſchen gewonnen. Poeſie iſt beinahe in ihren Schoͤnheiten unuͤberſezzbar, weil hier der Wohlklang, der Reim, einzelne Theile der Rede, Zuſammenſezzung der Worte, Bildung der Redarten, alles Schoͤnheit giebt.

      Aus alle dieſem folgt, daß unſre Sprache unſtreitig von vielen andern was lernen kann, in denen ſich dies und jenes beſſer ausdruͤcken laͤßt (ſollte es auch nur das Schimpfen ſeyn, wozu den Critikern gemeiniglich das ſchoͤnſte Latein gedienet); daß ſie von der Griechiſchen die Einfalt und Wuͤrde der Ausdrucks, von der Lateiniſchen die Nettigkeit des mittlern Stils, von der Engliſchen die kurze Fuͤlle, von der Franzoͤſiſchen die muntere Lebhaftigkeit, und der Jtaliaͤniſchen ein ſanftes Maleriſche lernen koͤnne. Allein, man ſieht auch, daß in jeder Gattung der Schreibart kein Genie ſich ſeiner Mutterſprache ſchaͤmen, oder ſich uͤber ſie beklagen darf, weil uͤberhaupt fuͤr einen jeden vortreflichen Schriftſteller die Gedanken Soͤhne des Himmels, die Worte, Toͤchter der Erde ſind.

      Fußnote