Beobachtet) Seine Bemerkungen vereinigen eine ganze Ausſicht in einen Geſichtspunkt: hier ſtehe aber ein Leſer, der dieſen Punkt treffe, der ſein Auge, der ſeine Laune zu Beobachtungen hat — ſonſt ſieht er verzogne Stellungen, und Schimmel ſtatt eines Mikroſcopiſchen Waͤldchens. Leſer, der du bieſe hingeworfne Beobachtungen verſtehen, brauchen, ergaͤnzen kannſt: du haſt ſie erfunden!
Gedacht:) wie es ſcheint, uͤber Schriften, die ihm ein Aergerniß oder eine Augenweide geweſen — und uͤber Vorfaͤlle, dazu er allein den Schluͤſſel behaͤlt. Weil er aber die Spinnengewebe der Syſteme haßt: ſo iſt jeder Gedanke eine unaufgefaͤdelte Perle; jeder Gedanke iſt in ein Wort eingekleidet, ohne welches er ihn nicht denken und ſagen konnte.
Angenehme Worte geſucht und gefunden.) Seine Annehmlichkeiten ſind keine Folgen von gelernten Regeln: ſeine Fehler ſind ſo gar, bis auf die Einkleidungen, Anſpielungen und Licht und Schatten, bei ihm regelmaͤßig. Vielleicht hat ihn alſo der ehrliche Fulbert Kulmius, umſonſt zum Schuͤler der Baumgartenſchen Aeſthetik zu machen geſucht, und vielleicht haͤtte ihn der 254ſte Litteraturbrief nicht eben nach allen Regeln zum Verbrecher des Stils machen doͤrfen. Erfindung und Zeichnung ſind Fruͤchte der Denk- und Seh- art, die vielleicht einer gewiſſen Sokratiſchen Unwiſſenheit aͤhnlich ſeyn moͤgen, wie er ſie beſchreibt. Eine Zunge kann ſtammlen, wenn die Seele gewiſſe Jdeen nicht zu verknuͤpfen und auszudruͤcken weiß. — Barocci malte gruͤnes Fleiſch: und Guercius ein trauriges Colorit: Von den Schriften dieſes Verfaſſers gilt es alſo vermuthlich, was Plinius vom Maler Eutykrates ſagt: auſtero maluit genere, quam iucundo placere.
Seine Nahrung von ferne gebracht:) oft woher und wo es niemand vermuthete, und dachte. Wo der ehrwuͤrdige Satyr, Swift, leichtfertige Traͤumer und fromme Seleniten fand; im Monde; da findet ein anderer Ritter und Rieſen:
Jch hieb viel tauſend Feinde nieder,
Jn allen Neſſeln,
die ich fand Da lagen denn die kleinen Leichen u. ſ. w. ſ.
Gedichte von Karſchin.
Haͤtte unſer jezo ebentheuerlicher Sokrat, eine Aſpaſia, ſeine Gedanken auszudruͤcken, und einen Alcibiad, ſie auszubilden; vielleicht haͤtte er Schuͤler und Nachkommen, bis alsdenn vielleicht im dritten Gliede ein Ariſtoteles, Socratis et Platonis peior progenies, ein Syſtem errichtete, in der Philologie und Aeſthetik, woran ſein Großvater nicht gedacht hatte.
Beſchluß, uͤber das Jdeal der Sprache. 54
„Wenn man Werkzeuge nicht ſo vollkommen „haben kann, als man ſie wuͤnſchet: ſo „muß man aus den vorraͤthigen zu machen „ſuchen, was ſich daraus machen laͤßt. Leibnizens gelehrte Sprache iſt nicht zu bekommen: wie koͤnnten wir uns der Deutſchen z. E. noch am bequemſten zu den Wiſſenſchaften bedienen? Dieſe Frage doͤrfte allenfalls eine andre als Vorlaͤuferin haben, „welche unter denen in Europa recht bekannt „gewordenen Sprachen der Jdealvollkommenheit einer Sprache, die Worte braucht, „am naͤchſten koͤmmt. Eine gar nicht weitlaͤuftige Metaphyſik der Sprache, wuͤrde „uns dieſe Jdealvollkommenheit wenigſtens „einigermaſſen kennen lernen.„ Wir wollen zu dieſen angegebenen Stuͤcken von Jdealvollkommenheit einige Anwendungen auf die Deutſche Sprache dazuſezzen; erinnern unſern Leſer aber zuruͤck an den Unterſchied, den wir zwiſchen Jdealſchoͤnheit, mittlern Bequemlichkeit, und wirklichen Vollkommenheit gemacht, und den der Verfaſſer dieſes Briefes hie und da verfehlt hat.
„Man kann die Sprache unter zwei Augpunkten betrachten, in ſofern ſie einmal unverbundene, und unzuſammenhaͤngende Begriffe vorſtellt; hernach ſo fern ſie dieſe Begriffe in Verbindungen anzeigt.„
„Vom erſten Stuͤcke haͤngt der Reichthum, „und der Wohlklang und auch das Bilderreiche der Sprache ab.)„ Der Reichthum kann ſeyn in Namen der Sachen, oder in Zeichen der Begriffe; der erſte macht eine Sprache ſinnlich oder Bilderreich; der zweite abſtrackt oder Gedankenreich; und den Unterſchied von beiden hat das 7te Fragment zu zeigen geſucht. — Der Wohlklang hat mit Begriffen keine Verbindung, ſondern muß aus der Natur der Sprach- und Hoͤrwerkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Fragment verſucht.
„Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommenheiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, „wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, verloͤſchen.)„ Nicht blos mit dem Tode der Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter gehen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebensalters erſezzt werden. So lange ſich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen-Digkeit, iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſprache iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, und den hoͤchſten Wohlklang: Wird ſie Sprache des ſittlichen Volks: ſo bekommt ſie mehr Reichthum an Politiſchen Ausdruͤcken, allein der hohe Wohlklang und das Bildervolle mildert ſich: Als Buͤcherſprache wird ſie reicher an Begriffen; allein der Poetiſche Wohlklang wird Proſe; das Bild wird Gleichniß: die malenden klingenden Beiwoͤrter verlieren ſich: Als Philoſophiſche Sprache wird ſie beſtimmt, aber arm; verliert Synonymen; und Bilder und Wohlklang achtet ſle nicht. Dichteriſch iſt eine Sprache am vollkommenſten, ehe ſie; und Philoſophiſch am vollkommenſten, wenn ſie blos geſchrieben wird: am brauchbarſten und bequemſten, wenn ſie geſprochen und geſchrieben wird. Die Anwendung auf die Deutſche Sprache macht das 3te bis 5te und 8te Fragment.
„Es iſt doch unſtreitig, daß auſſer den fuͤnf „Selbſtlautern noch viele Zwiſchenlaute haͤtten angebracht werden koͤnnen; ſo wie die „vorhergehende und nachfolgende Bewegung „der Redewerkzeuge zu ſolchen Lauten noch „weit mannichfaltiger einzurichten waͤre.)„ Nach der Bewegung der Redewerkzeuge haben wir wirklich mehr Selbſtlauter, als fuͤnfe: weil dieſe fuͤnfe mit verſchiedener Hoͤhe und Tiefe, Laͤnge und Kuͤrze ausgedruckt werden. Daß wir nun nicht fuͤr dieſe Zwiſchenlaute neue Zeichen, wenigſtens Unterſcheidungen haben; iſt eine große Unvollkommenheit unſrer Orthographie, die unter allen mir bekannten Europaͤiſchen Sprachen die lezte und fuͤr einen Lehrling die ſchwerſte ſeyn doͤrfte. Wer wird Meer und mehr, Zehn, Zeen, Zaͤhn, zaͤhe u. ſ. w. als Fremdling beſtimmt finden? Was wir bei J zuviel an Zeichen haben, iſt bei A und E zu wenig. — Und brauchen wir Accente nicht noch immer, obgleich unſre Sprache kurzſylbig und eintoͤnig iſt? Der Laͤcherliche Fehler mit Géſ-pen-ſtern, ſtatt Geſpénſtern; mit vérg-lich, ſtatt ver-glìch; mit Enter-bẽter, ſtatt Ent-érbeter: iſt doch bei Lehrlingen immer moͤglich, da er uns gebohrnen Deutſchen manchmal in Gedanken und bei verzerrtem Druck, oder verzerrter Hand anwandeln kann. Bei vielen Woͤrtern aͤndert ſich ja die Bedeutung ſelbſt; z. E. Unterhálten (entreténir) und únterhalten (ſuppoſer), uͤberſézzen (vertere) und í eberſezzen (traiicere), Ueberſézzer (translateur) und Uéberſezzer (Bootsknecht) ſind ja himmelweit verſchieden. Zu dem Hebraͤiſchen Schin fehlt uns gar das Zeichen, weil ich Geſchmack als ein Fremder immer eher Geſchmack leſen werde. Der Mangel an punctis diaereticis macht auch inſonderheit fremde Namen verwirrt; und uͤberhaupt kann man den Mangel unſrer Zeichenſchrift am beſten aus Reiſeund Erdbeſchreibungen ſehen, wenn die Namen fremder Sprachen in unſern Buchſtaben ſich kaum mehr erkennen. — Soll unſer Hexameter ausſtehlich werden; ſo muß er Accente haben, und der erſte Dichter, der ſich die Muͤhe geben wird, wahre Hexameter zu machen, wird ſich auch der Accente nicht ſchaͤmen, weil er ſie vor allen am wenigſten braucht. Sollte unſre Sprache ſterben; Himmel! wie ſchlecht wuͤrde man ſie aus