„2) Was fuͤr Geſezze man zur Folge einer „gewiſſen Anzahl von Jdeen, die in Verbindung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das „Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung „folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken „und dem jedesmaligen Zweck des Redenden „gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Redenden in tauſend Faͤllen nur einerlei [ſey]n; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Conſtruktionsordnung geben; hundertmal aber „gibt es einen beſondern Zweck des Redners, „und denn iſt diejenige Sprache die beſte, „welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre „Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤnnen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt „uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen „eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch „die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind, „ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange „unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen. „Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11-13te Fragment ein Commentar ſeyn, der unſern Nachtheil nach der Griechiſchen und Lateiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſiſchen Sprache zeigt. Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Beziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zweideutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſorgen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ und Accuſativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruktionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Franzoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden Perioden der Deutſchen, und die dritte bei den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤcher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortreflichen Perioden nicht kennen, der nichts unbeſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich ſchreibt.
„Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die „Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn „dem Sprechenden helfen Geberden und der „Ton der Stimme, den wahren Verſtand beſtimmen, da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat alſo ganz andere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volk ſie ſtammlet, ſinget, ſpricht, ſchreibet, und nicht mehr ſpricht, ſondern allein ſchreibt. Und hierauf gruͤndet ſich mein Fragment von den Zeitaltern, und den Graͤnzen der Nachahmung alter Sprachen. (Fragm. 2. und 8.) Jezt ſezze ich folgende wahre Beobachtung Samuel Johnſons dazu: „Es giebt Worte, deren Sinn allzufein iſt, als daß man ihn „mit Worten ſollte faſſen, und in eine Umſchreibung bringen koͤnnen. Das ſind diejenigen „Worte, welche die Sprachlehrer particulas „expletivas, oder ausfuͤllende Woͤrter nennen. „Jn todten Sprachen uͤberſieht man ſie als „leere Toͤne; als Toͤne, die zu anders „nichts dienen, als einen Vers auszufuͤllen, „oder einen Perioden wohlklingender zu machen. Aber in lebenden Sprachen wird „man bald inne, daß dergleichen Woͤrter „mehr, als ausfuͤllende Woͤrter ſind, daß „ſie Kraft und Leben haben, ob man gleich „ihren Nachdruck mit andern Worten nicht „ausdrucken kann.„ Dies wird jedem bei dem Leſen Homers unzaͤhliche mal beifallen; wenige Fuͤllwoͤrter, aber deſto oͤfter und kraͤftiger: die ſpaͤtern Dichter mehr; die ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen Herodot, vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldieweil, ſintemalen und anerwogen, gegen die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perioden, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.
„Durch was fuͤr Kuͤnſte haben es die Franzoſen dahin gebracht, daß man ihre Sprache, „die Sprache der Vernunft nennet?)„ Jch glaube, drei Urſachen dazu angeben zu koͤnnen. Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch welche Urſachen es auch ſeyn moͤge, eine gewiſſe Regelmaͤßigkeit ſich eingedruͤckt, die unſere Sprache nicht hat. Da ihre Conſtruktionsordnung ſehr beſtimmt iſt: ſo kommt man minder in die Verlegenheit, ſich ſchielend auszudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zeiten hat man an ſie ſo viel Politur angewandt, als nicht viel andere Sprachen erhalten haben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Barbariſch oder Lateiniſch ſchrieb, feilte man ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes geblieben: man ſah die Buͤcher immer mehr fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die unterhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche Anſtalten gedenken ſollte, die der Sprache aufgeholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe Stuffe erreicht. Premontval 55 urtheilt nicht unbillig: „ſoll ich bei ihrem großen „Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden: „ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung „mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt „ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo „majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger „zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an „Nachdruck weit unter der Deutſchen; an „Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder „Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer „Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Majeſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr „ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Gedanken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klarheit und Politeſſe/ die ſie karakteriſiren, „ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und vernuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann, ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte.
„Stellt eine Philoſophiſche Materie, die „ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo Sprachen vorgetragen worden, in der einen ſich klaͤrer, netter und uͤberzeugender „dar, als in der andern?)„ Ja! und Exempel beſtaͤtigen dies allerdings. Eine tiefe Philoſophiſche Materie kann ſich in der alten reinen Lateiniſchen Sprache nicht ſo klar, ſo nett, ſo uͤberzeugend ausdruͤcken, als in einer gewiſſen neuern Lateiniſchen Sprache, die eben deswegen noch nicht Barbariſch iſt, weil ſie von den Worten der Alten abgeht. Jn den Schriften des Philoſophen Baumgarten herrſcht ein gewiſſer aͤchter Roͤmiſcher Geiſt, ſeine Blumen, die gleichſam ſelbſt aus ſeiner Weltweisheit zu wachſen ſcheinen; und nicht uͤber dieſelbe geſtreuet ſind: eine ſo nachdruͤckliche Kuͤrze, daß jeder Gedanke ſich ein Wort ſelbſt zu ſchaffen ſcheint: kurz eine Sprache, die nicht netter und uͤberzeugender und fuͤr den denkenden Leſer klaͤrer ſeyn kann. Jch habe mich gezwungen, mir dieſen Eigenſinn auszureden, weil andre ſie eben fuͤr Barbariſch, oft ſpielend und dunkel hielten: ich fieng an, ſie in das flieſſende Latein der Schriften des Cicero zu uͤberſezzen, zu umſchreiben, zu verſchoͤnern; und der Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſuche man gar die Ueberſezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr verlieren. Die Urſache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit gebildet hat, und an dem geſchickten Schriftſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken weiß. „Das alſo Dinge in der einen „Sprache ſich