„Folgendes ſind alſo die allgemeinen Regeln des Deutſchen Hexameters. Die Laͤnge „und Kuͤrze muß nach dem Accente, der Ausſprache gemaͤß, genau beobachtet werden; „die Daktylen muͤſſen insbeſondere, ſo viel „moͤglich, rein ſeyn; keine Endung muß einer „andern, oder der Mitte des Verſes allzuſehr „aͤhnlich ſeyn; kein Hexameter muß auf zweierlei Art koͤnnen ſcandiret werden. Der „Abſchnitt muß, ſo viel moͤglich, im dritten „Fuß und maͤnnlich ſeyn.
„Wir haben in unſerer Sprache einen „Mangel an Spondaͤen, und dieſer Mangel „entzieht dem Deutſchen Theater keinen geringen Theil von dem geſezten Wohlklange, den die Griechiſchen und Lateiniſchen Hexameter „haben. Solten wir alsdenn die Spondaͤen, „die uns die Sprache noch giebt, nicht ſorgfaͤltig zu Rath halten? Unſre lange Sylben „werden ganz genau durch das Zeitmaas der „Ausſprache beſtimmt; und dieſes hangt entweder von der Natur der Sylbe ſelbſt ab, „welche eine merklich laͤngere Zeit zum Ausſprechen erfodert, oder von dem Accent, den „wir in der Ausſprache drauf legen. Muͤſſen wir nun nicht zweiſylbige Woͤrter, deren Sylben einerlei Laͤnge des Zeitmaaßes „haben, als natuͤrliche Spondaͤen anſehen, „dafuͤr wir der Sprache Dank ſchuldig ſind? „z. E. Umgang, Schickſal, Ungluͤck, Aufruhr, „Freundſchaft ꝛc. Dieſe muͤſſen wir alſo nie „als Trochaͤen und noch weniger als Daktylen gebrauchen.
„Aus Mangel der Spondaͤen muͤſſen wir „oft Trochaͤen gebrauchen. Das Ohr verliert etwas dabei, und der Hexameter bekommt einen weniger maͤnnlichen Klang, „wir muͤſſen ihn alſo durch Trochaͤen ſo vollklingend zu machen ſuchen, als es moͤglich „iſt. Die Trochaͤen muͤſſen ſich alſo mit einer beſtimmten langen Sylbe anfangen, daß „der Leſer nie verleitet werde, ſie Jambiſch zu „leſen: die Daktylen, die wir mit einmiſchen, „muͤſſen ſehr rein ſeyn, und dem Ohr die doppelte kurze Sylbe merklich zu vernehmen „geben. Durch dieſen geſchwindern Fall „werden die Trochaͤen gleichſam kontraſtirt „und gehoben, ihr langſamer Gang faͤllt „deutlicher ins Gehoͤr, und naͤhert ſich dem „Spondaͤiſchen. Wenn man aber Trochaͤen „nach dem Sylbenmaas Jambiſch leſen muß, „wenn man eine natuͤrlich lange Sylbe bald „im Trochaͤen lang, bald wieder in Daktylen kurz gebraucht findet: ſo verſchwindet „dem Leſer die Harmonie des Verſes.
„Man hat es ſich auch, wie mich duͤnkt, „zu leichtſinnig angewoͤhnt, die einſylbigen „Woͤrter als gleichguͤltig in der Proſodie zu „betrachten. Allein die Ausſprache, oder „der Accent, den der Nachdruck der Rede „auf ein einſylbiges Wort legt, beſtimmt ſeine „Laͤnge oder Kuͤrze in den meiſten Faͤllen ganz „genau, und das Ohr wird ſehr beleidigt, „wenn es Sylben kurz hoͤren muß, die doch „der Nachdruck und die Ausſprache lang macht — und ſo umgekehrt. Je groͤßern „Vorrath nun unſre Sprache an einſylbigen „Woͤrtern hat; deſto genauer muͤſſen wir in „Beobachtung der Proſodiſchen Regeln ſeyn. „Hier darf uns die Proſodie der Griechen „und Roͤmer, die uͤberdem auf unſere ſchwerfaͤlligere und vollſylbige Sprache nicht applikabel iſt, gar nicht zur Regel dienen. Die „einſylbigen Woͤrter, die ſie in ihrer Sprache „als gleichguͤltig anſahen, moͤgen wirklich in „ihrer Ausſprache ein mitleres Maas gehabt „haben: oder das Maas aller uͤbrigen Sylben war auch ſo genau beſtimmt, daß die „wenigen ancipites keinen Mißklang in der „Harmonie machen konnten. Dies iſt beides aber nicht bei uns. Die Natur unſrer „Sprache ſcheint auch ſelbſt das Tonmaas „zu beſtimmen, und vielleicht auf folgende „Weiſe: Alle einſylbige Nomina ſind immer „lang; die einſylbige Verba auch, nur iſt „und hat ſcheint davon eine Ausnahme zu „machen, das lang und kurz iſt; die einſylbigen Nomina mit ihrem Artikel, und die „Verba mit ihrem Vorwort ſind offenbar „Jamben, und ein einſylbiges Adiectiuum, das kurz gebraucht wird, beleidigt faſt allezeit das Ohr. Unter allen uͤbrigen einſylbigen Woͤrtern, die Partikeln und Vorwoͤrter ſind, gibts wenige lange; die meiſten „ſind kurz, es ſei denn, daß der Nachdruck „der Rede einen Accent darauf legt.„
Dies ſind die grammatikaliſche Regeln, die die Litteraturbriefe zum Bau des Hexameters gegeben; ich ſezze eine Philologiſche Bemerkung dazu, ohne mich in die Grammatik einzulaſſen, die blos aus dem Genie der Sprache die Sache betrachtet.
Fraͤgt man denn: koͤnnen wir Hexameter machen? Nein! wir haben ja ſchon gnug! Fraͤgt man: koͤnnen wir welche nach der Proſodie der Alten machen? Nein! denn das koͤnnen hat Uz gezeigt! Sondern iſts unſrer Sprache natuͤrlich, Hexameter zu machen? Und wie weit muͤſſen wir Zwang großen Zwecken aufopfern? Natuͤrlich! und wie iſt das zu ſehen? Entwoder aus der Natur der Sprache, oder aus Verſuchen. Aus dem erſten Geſichtspunkt merke man: Nach Lowths Bemerkung iſt ſelbſt die Hebraͤiſche Sprache zu feurig und in ihren Formen zu einfach, als daß ſie ſo einem abgemeſſenen Polymetriſchen Numerus, als die Griechen nachher hatten, ſich haͤtte bequemen koͤnnen. Und trift nicht das Gegentheil auf unſere Sprache vielleicht? Viel zu volltoͤnig und in ihren Formen zu zerſtuͤckt und zuſammengeſezt, als daß ſie ſich dem Polymetriſchen Numerus bequemen koͤnnte. Jene, und unſere halten beide, Extreme, nur beide entfernen ſich von der Mitte.
Zu volltoͤnig;) da die Sprache der Griechen hochtoͤnend war, und außer langen und kurzen auch hohe und niedrige Accente hatte; einen Unterſchied, den wir entbehren. Aber fuͤr Hexameter nicht entbehren koͤnnen, denn bei unſerm niedrigen vollen Accent erhoͤhet man ſich ja wenig zum Daktylus, ohne einſylbige Woͤrter als Flickwoͤrter in der Rhythmik noͤthig zu haben; wie kann die Sprache aber Polymetriſch ſeyn, die eigentlich nur zu Jamben und Trochaͤen eine Hoͤhe und Tiefe hat; die ſich ſelten in Spondaͤen erhalten kann, weil ſie dieſe nicht mit den kurzen Sylben zu compenſiren weiß.
Zu zerſtuͤckt in ihren Formen;) Dies zeigen die vielen einſylbigen Woͤrter, und unſere ganze Flexion. Unſer ganzer Periode bekommt alſo, da die meiſten dieſer Woͤrter lang ſind, was ſteifes, oder Proſaiſches. Woher aber ſind ſie lang? Weil unſre volltoͤnige Sprache, die die hoͤheren Accente entbehrt, ſie durch mehrere erſezzen muß, und alſo fallen die Griechiſchen ατονα im Deutſchen fort, die den Ton auf die vorhergehende Sylbe ſchoben; theils fallen die Lateiniſchen ancipites weg, die den Ton, der nach einem hohen folgte, ungewiß laſſen konnten. Unſere Sprache mag in der Wendung des Perioden noch ſo biegſam ſeyn; ihre Beſtandtheile kann ſie doch ſchon nicht aͤndern, und ſelbſt unſre Vaͤter im Poetiſchen Zeitalter aͤhnlicher Sprachen, die Skaldrer, ſie haben nie auf Griechiſche Art Polymetriſch geſungen; hoͤchſtens Sapphiſch, und das iſt noch immer die leichtſte Griechiſche Versart fuͤr uns.
Hiezu ſezze man nun noch Verſuche? Nicht in Hexametern, ſondern in einem freien Sylbenmaas, um zu ſehen, was fuͤr Fuͤße am meiſten in unſrer Sprache liegen? Ob, wenn man den Gedanken den Zuͤgel laͤßt, man Pindariſche Oden und Tragiſche Choͤre erblicken werde, oder einfoͤrmigere Cadencen? Und ich glaube alsdenn; tanzt unſer Deutſches nicht einmal nach Griechiſchen Sylbenmaaßen ungebunden; wie viel minder, wenn es in Metriſchen Feſſeln ſo tanzen muß.
Ramler that dies in einer andern Abſicht: er loͤſete die Proſe Geßners und Eberts in ihre natuͤrliche Sylbenmaaße auf, um den Wohlklang zu zeigen. Vielleicht haͤtte er feurigere Stellen zergliedern ſollen, die nicht mehr geleſen, ſondern deklamirt werden muͤſſen, um alsdenn gewiß mehr als Proſaiſche Harmonie zu entdecken — und ich glaube, wenn man dies thut: ſo wird man immer weniger Polymetriſches finden, als man zu finden glaubt.
Jch darf nicht mehr verſuchen: es hat es ein andrer gethan: Klopſtock hat „ſeine „Poetiſche Empfindungen ſo frei ausgedruͤckt, „daß ſie ſich ſelbſt in ſymmetriſche Zeilen geordnet zu haben ſcheinen, die voller Wohlklang ſind, aber kein beſtimmtes Sylbenmaas haben.„ Er hebt am Feſt der Souveraͤnitaͤt in Daͤnnemark an:
We̅ht ſan̅ft, au̅f ih̅ren⏑ Gruͤ̅ften⏑, ih̅⏑r Wi̅nde⏑!
Un⏑d ha̅t e⏑in u⏑nw̅iſſen⏑der⏑ Ar̅m
De⏑r P̅atr⏑iot̅en⏑ Stau̅b wo⏑ au̅sge⏑gra̅be⏑n,