Nie wäre er hierhergekommen, wenn ihm der Feldzug etwas eingebracht hätte. Aber wenn man den Kugeln der Russen und der Ruhr entkommen war, blieb entweder nur die Entlassung ohne Sold oder die Schikanen in einer verlausten Garnison unter Offizieren, die sich über seinen Herrn, den König, die Mäuler zerrissen, bevor sie ihren Hass in Branntwein ersoffen. Doch genau dieser König hatte in seinem Kanonenboot vor Wiborg einen Ruderer, dem eine Kugel den Arm weggerissen hatte, mit seiner seidenen Schärpe verbunden. Die Herren trugen an allem Unglück Schuld, nicht der König. Was konnte es schaden, ihnen eins auszuwischen und auch noch in barer Münze bezahlt zu werden. Er griff in die andere Tasche, die Reichstaler waren kein Hirngespinst. Ein paar Aufträge noch für seine Dame, die ihr Gesicht immer hinter einem Schleier verbarg, und er konnte den kleinen Hof bei Savitaipale kaufen. Die Magd würde dann wohl mitgehen. Die Bedingung war nur, er musste das Maul halten.
Das Riddarhuset lag jetzt schon hinter seinem Rücken. Er zwang sich, aufrecht zu gehen. Um keinen Preis auffallen. Zwischen den Palästen und vornehmeren Kaffeehäusern herrschte ein eifriges Kommen und Gehen. Wer würde hier schon nach ihm schielen. Auf der Norrbrogatan machte er unter einer Laterne Halt, um ein letztes Mal seine Karte zu studieren. Die Pfeiler der noch unfertigen Steinbrücke daneben ragten wie Riesen, die nach dem fehlenden Gewölbe griffen, aus dem Strömmen. Nach der Brücke wandte er sich nach rechts und ging dann die Kungsträdgårdsgatan hinauf. Von dort konnte er durch eine unverschlossene Pforte in den Friedhof der Jakobikirche schlüpfen. Dort würde er sich auf den Spürsinn des Mittelsmannes verlassen, der ihn erkennen musste. Er faltete den Plan sorgsam zusammen und bemühte sich um einen unauffälligen Schritt. Ob ihm jemand folgte? An der Einmündung der Kungsträdgårdsgatan drehte er sich endlich um. Zwei grobschlächtige Kerle, vermutlich Knechte wie er, begannen wild gestikulierend miteinander zu streiten. Das Geläute der Jakobikirche verhallte direkt über ihm. Schlag neun Uhr, das Ziel war pünktlich erreicht. Tatsächlich hob sich eine dunkle Vertiefung von der Umfriedung des Friedhofs ab. Die Pforte war nur angelehnt, er schob seinen Fuß in den Türspalt. In dem Moment durchbrach Mondlicht die zerschlissenen Wolken. Grabsteine, aufrecht wie Gardesoldaten, hielten hier Wache. Am Ende des Weges löste sich ein Schatten unsicher aus dem Spalier der Gräber. Er wollte gerade das Erkennungszeichen aus der Hose holen, als ein Sausen in der Luft ihn herumfahren ließ. So klang es, wenn er mit seinem Vater und den Brüdern den harten Boden von Savitaipale von Wurzeln und Baumstümpfen befreite, mit mächtigen Armen die Spitzhacke schwingend. Der letzte Gedanke in seinem Leben galt seinem eigenen Hof, bevor ihm der Schädel zermalmt wurde.
Rapport des Polizeihauptmanns Lundquist an Polizeiminister Sivers
Der Postenkommandant des Kreises Norrköping meldet, dass der aufständische Bauer Ihrer Anweisung entsprechend vom Ende der Predigt bis zum Sonnenuntergang auf das Spanische Pferd verbracht wurde. Am nächsten Morgen entdeckten ihn Knechte des Grafen Horn erhängt an einer Birke, der Tod war bereits eingetreten.
Am ersten Dezember fand ein Aschenträger an der Böschung des Strandvägen den am Kopf schwer malträtierten Korporal Johann Jacobson vom Königlichen Artilleriebataillon Major Hartmannsdorf. Besagter Korporal verstarb während seines Abtransports in das Militärlazarett. Strenge Inquisition in den angrenzenden Kneipen hat ergeben, dass der Korporal mit seinem Kameraden, dem Artillerieunteroffizier Olof Rosenschütz, auf Zechtour war und zuletzt mit dem amtsbekannten Vagabunden Klaus Peterson gesehen wurde. Peterson konnte noch in derselben Nacht mit einem Betrag von neun Reichstalern im Freudenhaus des Moskowiten Nikita Sobolew aufgegriffen und verhört werden. Er will mit dem Totschlag nichts zu tun haben. Er erklärt, Rosenschütz habe ihm zehn Taler gegeben. Rosenschütz streitet das ab, er habe mit Jacobson und Peterson auf den Sieg über die Russen getrunken. Er erklärt, nichts über irgendwelche zehn Taler zu wissen. Ich erbitte um Weisung zu untertänigster Befolgung.
In einem offenen Grab am Friedhof bei der Jakobikirche wurde eine männliche Leiche gefunden. Der Stadtphysikus Elias Salomon stellte im Zuge der amtlichen Untersuchung eine schwere Kopfverletzung fest, die von einem harten und stumpfen Gegenstand herrührt. Die Personalia des Erschlagenen sind unbekannt. Die vom Stadtphysikus und einem beeideten Amtsdiener durchgeführte Leibesvisitation brachte folgende Gegenstände zu Tage: ein Kamm aus Horn, ein Sechskant Schraubenschlüssel, ein handgezeichneter Plan des Viertels um die Jakobikirche und ein in der Mitte abgebrochener Schilling.
Bericht des Polizeiministers Sivers an Graf Armfelt
Exzellenz, es freut mich, Ihnen melden zu dürfen, dass keine Indizien für bevorstehende politische Unruhen in Stockholm und den benachbarten Landkreisen vorliegen. In Norrköping hat sich der aufrührerische Rädelsführer beim Überfall auf den Schlitten des Grafen Horn selbst gerichtet. Zwei Fälle von Totschlag unter dem üblichen Gesindel stehen kurz vor der Aufklärung.
Der Erste Kammerherr Hans von Essen hat die Pagen betreffend der verbotenen dreifarbigen Kokarde belehrt und ist von ihrer Reue überzeugt. Der junge Herr Carl Klingspor hat sich allerdings krankgemeldet und wurde seit dem Vorfall in Stockholm nicht mehr angetroffen.
Hinter der Agentin mit dem Decknamen Mamsell steht die Wahrsagerin Ulrica Arfvidsson. Sie ist das Medium, das auch Mitgliedern des königlichen Hauses das Schicksal entschleiert. Sie fragen, warum wir ihr trauen sollen? Ob ich sie in der Hand habe, mit welchen Methoden? Ausnahmsweise muss ich passen. Ulrica Arfvidsson findet sich in keiner unserer Akten. Es existiert keine flüchtig hingekritzelte Notiz meiner Agenten, die in Leben emporheben oder in die Tiefe schleudern kann, kein Vermerk, der Personen, die von höherer Geburt sind als ich, zwingt, mir zu Diensten zu sein. Nein, die Arfvidsson ist frei von Schuld, vielmehr wurde ihr Leid angetan.
Ihr Stiefvater, nach dem sie sich nennt, hatte als Hofkoch die besten Referenzen und förderte die talentierte Ulrica in Musik und Sprachen. Mit ihrer Mutter lebten die drei im Schloss, waren überall gern gesehen. Das Mädchen wuchs zu einer Schönheit heran, die hohen Herren wurden auf sie aufmerksam – Galanterie wandelte sich zur Leidenschaft. Ja, man machte ihr, der Tochter des Kochs, den Hof. Der wusste, was kommen würde, und grämte sich. Dem schönen Kind verbot er das Tageslicht, zwang sie, in den Kellergewölben des Schlosses zu bleiben, während er Dienst tat. Das Mädchen fügte sich, bis es eines Tages verschwand. Mutter und Stiefvater vergingen vor Kummer. Wenn sie sich bei sämtlichen Hofstellen erkundigten, erhielten sie nie mehr als ein süffisantes Lächeln zur Antwort. Nach drei Tagen fand man Ulrica, halb entblößt, mit zerrissenem Gewand. Es war im dämmrigen Keller mit seinen hohen Gewölben geschehen, zwischen geräuchertem Fisch und eingelagerten Kartoffeln. Einer der Galane – Sie verstehen. Natürlich wurde der Schuldige nie gefunden. Dem Stiefvater empfahl man den Abschied mit einer großzügigen Pension. Der Koch nahm an und verstarb bald danach. Das Mädchen erbte alles, man munkelt von 4000 Reichstalern. Ihre Mutter verheiratete sich neu.
Als Gras über die Affäre gewachsen war, trat Ulrica als Medium in Erscheinung, sie begann, aus dem Kaffeesatz die Zukunft vorauszusagen, was ihr gute Münze einbringt. Sie lebt frei und unabhängig, sie scheint mir eine der wenigen nicht korrupten Personen in unserer Residenz zu sein. Ihre einzige Vertrauensperson ist eine schwarze Dienerin namens Adotja. Liebhaber gibt es keinen. Die Neugier führt vom Matrosen bis zum Herzog ganz Stockholm zu ihr. Wenn auch Ulrica, die man nur mehr Mamsell nennt, das Schicksal verkündet, lebt sie doch nur für den einen Gedanken, unter ihren Besuchern einst jenen Mann zu entlarven, der ihr die Unschuld genommen hat. Wüssten Sie irgendjemand, der uns bessere Dienste leistet?
Graf Armfelt an Polizeiminister Sivers
Mein lieber Sivers, verschonen Sie mich mit Details aus der Welt Ihrer Totschläger. Angesichts der patriotischen Begeisterung, die ich im Beisein unseres Landesherrn erleben durfte, sind das doch alles Kinkerlitzchen. Sagen Sie mir lieber, wo man angesichts der Hafenblockade für französische Schiffe noch einen vernünftigen Champagner kriegen kann.
Die Arfvidsson, sieh an! Ihr Schicksal bedaure ich zutiefst. Das alles hat sich freilich