Unter Masken. Ludwig Fladerer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Fladerer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783904123600
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Urlaub gewährt haben. Mögen sie sich ruhig in der Stadt amüsieren. Nur wir beide sind hier – den Schützen da draußen kennen wir nicht. Mir scheint, der Vorhang hebt sich zu einem kurzweiligen Spiel.«

      Der Polizeiminister wusste das Lächeln seines Herrn zu deuten. Keine Worte mehr, er verbeugte sich und ging ab.

       Tagebucheintrag des Ersten Kammer­herrn Hans von Essen

      Mein Bericht muss heute kürzer ausfallen: Ich befinde mich äußerst unwohl, leide an Kopfschmerzen und Gliederreißen. Die lässige Adjustierung der Pagen wird mir immer mehr zur Last: Gerade an der Haupttreppe, auf welcher der König die Conduite der Jünglinge genauestens zu beachten pflegt, entdeckte ich gestern vor dem Diner abgerissene Knöpfe und mehrfach eine unzulässige Erweiterung der offiziellen Hoftracht mit französischen Seidenbändern in den unmöglichsten Farben. Natürlich war auch das modische Blau-Weiß-Rot der französischen Trikolore darunter. Mein Donnerwetter muss man von der Stiege bis hinunter in die Wache der Leibgardisten gehört haben. Jedenfalls wurde ich von den dummen Kerls aus den vornehmsten Häusern Schwedens länger auf der Treppe aufgehalten als mir lieb. Sie zieht die Luft von draußen in die erste Etage des Schlosses hinein, beinahe wie der Blasebalg der Orgel in der Tyska Kirkan – der Eishauch machte mir gleich zu schaffen.

      Um sieben Uhr das Diner in kleinerem Service. Anwesende Mitglieder der königlichen Familie waren die Brüder seiner Majestät, die Herzöge Carl mit Gattin Hedvig Elisabeth und Herzog Frederik. Anwesende von Stand waren der Gesandte des Königreichs Neapel, dann Graf Gustav Mauritz Armfelt, Elis Schröderheim, Graf Axel von Fersen und Oberst Munck. Bereits nach dem Karpfen in Schwarzer Sauce befiel mich Schwindel, vom Hühnerfrikassee konnte ich nichts mehr zu mir nehmen. Der König schien von meiner Unpässlichkeit nichts bemerkt zu haben und zeigte sich in alter Frische. Als er mich mit seinen großen, klaren Augen anblickte, schämte ich mich meines Unwohlseins und dachte an das Wort des Beaumarchais: »Die Schweden werden seiner Weisheit und überlegenen Vernunft immer folgen.« Ach, wäre es nur so! Polizeimeister Sivers macht derzeit dunkle Andeutungen über eine bevorstehende Revolte in Adel und Offizierskorps. Er lässt aber niemanden von uns in seine Karten schauen. Der König selbst zeigte sich gestern davon völlig unbeeindruckt. Ihn beschäftigte nur die Lage in Frankreich, denn er ließ die Depesche unseres Gesandten in Paris, Baron Staël-Holstein, zwei Mal während des Diners rezitieren. Vielleicht hatte ich auch deshalb keinen Appetit auf das Frikassee, denn alles deutet darauf hin, dass man sich in Frankreich nicht mehr um die erst wenige Monate alte Verfassung schert. Wirrköpfe und schöngeistige Träumer arbeiten den Machtmenschen entgegen. Das Leben von König Ludwig ist weniger wert als das Papier, auf dem man dort die Gesetze schreibt. »Was heute in den Straßen von Paris zählt«, so schloss der Bericht, »sind die Gefühle der Menge, die sich durch die Flucht des Königs und der Königin nach Varennes verletzt sieht.«

      Nach dem Vortrag stockte die Konversation. Graf Fersen, dem der König die Planung der gescheiterten Fahrt nach Varennes anvertraut hatte, sah man an, dass er am liebsten aufgesprungen wäre. Herzog Frederik lächelte süffisant, jeder weiß, dass er nach seiner gescheiterten Werbung um die Schwester des Grafen mit den Fersens noch eine Rechnung zu begleichen hat. Das Gesicht unseres edlen Monarchen war gerötet, als er sagte: »Marie-Antoinette, welch kluge und tolerante Königin, die Schönheit und Inspiration als das Wesentliche der condition humaine erkannt hat!«

      Niemandem fiel nun eine passende Erwiderung ein. Da erhob sich der Gesandte des Königreichs Neapel: »Ein herrliches Bonmot, Sire, aber bedenken Sie, dass Sie es waren, der den Olymp von Geist und Geschmack in Stockholm errichtet hat!«

      Der Einfaltspinsel hatte wohl zu dick aufgetragen, der König sank in seinen Stuhl zurück, die Farbe war ihm gänzlich aus dem Antlitz gewichen, sein Mundwinkel zuckte. Die Szene war mehr als peinlich, hatte sich der Gesandte doch eine anerkennende Replik erwartet. Graf Armfelt, geistesgegenwärtig wie immer, erhob sich: »Ein Toast auf die Königin Marie-Antoinette und zum Teufel mit den Philosophen. Sie sprechen über Toleranz und sind doch intoleranter als ein ganzes Kardinalskollegium!«

      Der König fasste sich wieder oder, besser gesagt, spielte den charmanten Gastgeber, aber niemand konnte seine Angst übersehen, die Angst um das Leben von Königen.

      Ich muss jetzt abbrechen. Lundgren meldet mir gerade den Doktor Salomon. Aber das Wichtigste, Schönste muss ich noch festhalten. Der König nahm mich knapp vor dem Aufbruch beiseite: »Seien Sie Schwede, Essen, überwinden Sie wie der alte Gustav die Widerstände, die sich Ihnen in den Weg stellen. In Ihrem Fall denke ich an die Eroberung der charmanten Gräfin Carlotta de Geer – unseren Segen haben Sie!«

      1

      Fritz Engelke, man merke, Leibbursche Fritz Engelke, balancierte ein Tablett mit Kaffee, Zwieback und Butter von der Offiziersmesse zur Kommandantur und rief dort mit vollem Bass: »Tür auf!« Wie so oft war er der Erste gewesen, der für seinen Herrn, Oberstleutnant Lilljehorn, das Frühstück ausgefasst hatte. Vielleicht gefiel er trotz seiner Glatze der drallen Küchenmagd, oder die tat ihm den Gefallen, weil sie aus Pommern war wie er und allein hier in Stockholm.

      Die schweren Pranken des Fritz umklammerten das Geschirr, dass die Knöchel weißlich hervortraten, denn jetzt kam die steile Stiege, und die musste er rauf, ohne was zu verschütten. Pech, wenn ihm ausgerechnet jetzt einer der Herren Offiziere begegnete, das Salutieren und gleichzeitig das Servieren wollte ihm nicht in den Kopf. Rotgesichtig kletterte er Stufe um Stufe empor. Wenn er nur brav und laut genug daherpolterte, würde sein Herr ihn hören und ihm selbst die Tür öffnen, sollten die anderen nur witzeln, aber er log nicht, so war sein Herr.

      Ein kalter Luftzug und das hohe Tor, das unten in der Vorhalle laut ins Schloss fiel, schließlich ein knapper Wortwechsel, das verhieß nichts Gutes. Umdrehen konnte er sich nicht, das war auch nicht nötig, denn die forschen Schritte auf der Stiege kamen gleichzeitig wie der Befehl: »Zur Seite, Mann!« Fritz presste sich an die Wand, um den diensthabenden Offizier passieren zu lassen. Danach kam ein junger Herr mit widerborstigem Haar, der aussah wie einer, der stets zuerst durch die Tür geht. Dahinter eine Frau, sie verbreitete einen Duft, der dem Mann den Verstand nimmt.

      2

      Carl Pontus Lilljehorn, Oberstleutnant der königlichen Leibgarde, war ein empfindsamer Mensch. Wie er die Monotonie des Militärdienstes verabscheute, so liebte er die Dichtung. Denn die große, erhabene Heimat fand er in den Versen Shakespeares, Ossians und Goethes. Nicht weniger liebte er seinen König Gustav III., der doch selbst Dichter war, und dessen Größe er nicht nach den Siegen auf dem Schlachtfeld, sondern nach dem Esprit seiner Dramen und Opern bemaß. Vielleicht schätzte der König ihn als seinesgleichen, denn eine geheime, segensreiche Macht hatte ihn, den unbedeutenden Freiherrn, über alle Intrigen hinweg immer wieder befördert. Konnte es Zufall sein, dass er im Russischen Krieg nie einen Angriff führen, nie meuternde Truppen zur nächsten Attacke zwingen musste? Während andere, ehrgeizigere Kameraden an dieser Tatenlosigkeit zerbrochen wären, sehnte sich Lilljehorn nach dem nächsten Sonett. Freilich – hinter seinem Rücken zerrissen sie sich die Mäuler: Lilljehorn sei Protegé des Königs, weil die ­Königinwitwe Lilljehorns Mutter zur Amme Gustavs bestimmt habe – Milchbruder Lilljehorn! Was wussten sie schon von der Macht der Poesie, davon, dass der König ihn sicherlich für höhere Aufgaben vorhergesehen hatte im unsterblichen Reich des Lichts und der Gedanken.

      So dachte Lilljehorn, der im Grunde seines Herzens nicht nur ein empfindsamer, sondern auch ein einfacher Mann war. An diesem späten Novembermorgen des Jahres 1791 spähte er durch das Fenster in den Innenhof, ob Fritz sich nicht schon mit seinem Frühstück zeigte. Der Tag zog nebelig durch die Arkaden und Winkel des Schlosses. Ein paar Happen Zwieback und heißer Kaffee konnten da vor dem lästigen Besuch des Grafen Ribbing nicht schaden. Die Übersetzung von Goethes Werther ins Schwedische war ihm bis auf ein paar Tintenklecksern heute noch nicht gediehen, also wozu Konvention und liebenswürdige Artigkeiten.

      Endlich stapfte Fritz die Treppe herauf, doch Lilljehorn unterschied auch andere Schritte, und ihm war klar, dass Frühstück und Werther für heute verloren waren. Rasch postierte er sich hinter seinem Schreibpult und kritzelte immer noch Wort und Wörter,