Am Ende des Males servierte der Mohr des Königs kandierte Orangen und Kaffee aus silbernen Karaffen, sie waren ein Geschenk der Zarin aus den fernen Tagen ihrer Freundschaft. Man munkelte, der Mohr habe noch eine Schwester in Stockholm, die einer geheimnisvollen Dame diene. Die zwei Neger, so hieß es, seien ein Geschenk des Sultans, um dem König von Schweden zu danken, doch für welche Gefälligkeit? Der Schwarze hörte auf den Namen Mojo. Es hieß, er habe das Vertrauen des Königs, stehe im näher, als die Herren aus den guten Familien.
Nach der ersten Tasse erhellten sich beinahe gleichzeitig die Gesichter der beiden Prinzen: Die Herzöge Carl und Frederik durften sich jetzt erheben, ihnen folgten die Gattin Carls und die Königin selbst. Man empfahl sich: Die Königin, linkisch und verhärmt, wurde von ihrer Kammerfrau in ihre Gemächer geführt. Dort würde sie die Bibel lesen, wachend und klagend. Die beiden Herzöge konnte man sich in den Armen ihrer Geliebten vorstellen, besonders Carl war in diesen Tagen wie außer sich. Pagen wollten ihn vor dem Zimmer der Madame Rudenschöld gesehen haben, wie er vor ihrer Tür kniete und weinte.
Lilljehorn musste für einen Augenblick unachtsam gewesen sein. Etwas zupfte ihn am Ärmel. Ohne ein Wort wies der Mohr mit der Selbstsicherheit eines Kindes, das von seinem begriffsstutzigen Vater nicht verstanden wird, auf den König. Es bestand kein Zweifel, der Diener sollte Lilljehorn zum König führen. Hinter der hohen Rückenlehne mit den in Gold ziselierten drei Kronen bewegte sich der Arm des Königs, müde und doch gebieterisch. Lilljehorn folgte der Gebärde und nahm vis-à-vis von Gustav Platz. Sonst war niemand mehr an der Tafel, nur der König mit seinem Mohren. Lilljehorn schien es, als ob der Blick des Königs ihn durchdringe, erst hinter ihm in der Saalmitte sein Ziel finde. Weit waren die Augen und erloschen. Dann kam unversehens Leben in seine Züge, er beugte sich vor und schlug Lilljehorn kameradschaftlich auf die Schulter. »Lieber Oberstleutnant, Sie sind doch Poet, ein Mann der Vernunft. Ich stelle Ihnen ein Rätsel:
Wer ist es, der da verspricht, was er nicht gibt,
und gibt, was er nicht versprochen,
der im Anfang groß erscheint und am Ende klein,
der am meisten die Jugend begünstigt
und eine Plage für das Alter ist,
der voller Torheit ist, und dennoch manchen zwingt, weise zu werden,
dem alle schmeicheln und der allen schmeichelt?
Das ist …
Nun, Herr Oberstleutnant?«
Lilljehorns Zunge fühlte sich pelzig an. Wie hätte er das Rätsel nicht kennen sollen? An Hauswänden, auf Kneipentüren, ja sogar am Portal der Riddarholmskyrkan hatte man es angeklebt und wie zum Hohn die Lösung darunter geschmiert: Gustav, immer wieder Gustav stand da in verschieden großen Lettern. Der König selbst war die Lösung, die Lösung des Rätsels und aller Schwierigkeiten.
Die Hand Gustavs lag immer noch auf dem Arm seines Offiziers, zart und knochig. »Keine Bange, Lilljehorn, das Volk hat im Grunde ja recht. Ich kümmere mich um die Jungen. Sie sind jung, Sie übersetzen den Werther ins Schwedische. Mein Kompliment, jetzt, wo Frankreichs Stern erlischt, sollten wir uns neuen Grenzen zuwenden. Plus Ultra. Ich werde die Schwedische Akademie bitten, Ihr Unternehmen zu fördern, betrachten Sie die Drucklegung als gesichert. Ihr Werk wird bleiben.« Die dunklen Ringe unter den Augen Gustavs erschreckten Lilljehorn. »Mein tapferes Volk, es hat große Unternehmungen und Leute wie Sie verdient. Der ganze verlogene Plunder hier – oft habe ich mich gefragt, ob ich in die Schweiz ins Exil gehen sollte oder nach Amerika, die Geburt eines Staates zu beobachten. Aber ich bleibe, ich werde die Mächte des Chaos stürzen. Man hat mich seit Beginn meiner Regentschaft mit Verachtung gestraft, ich werde mir Achtung verschaffen.
Blicken Sie sich um, was das für Menschen hier sind. Ihr ganzes Denken geht dahin, ihren Stuhl möglichst nahe an meine Tafel zu rücken. So mühen sie sich ab, ihr ganzes kleines Leben lang, sie verstehen nicht, dass es auf den Platz gar nicht ankommt. Denn der Erste spielt oft nicht die erste Rolle. Meinen Vater hat der Reichstag zu einer Marionette gemacht. Ich hingegen habe mir die Hauptrolle erkämpft und werde sie spielen, solange ich die Kräfte und Leidenschaften meines Volkes für meine Pläne entfessle. Mein Name und der Name Schwedens sollen in Asien und Afrika bekannt sein.«
Der König sank in seinen Stuhl zurück. Nach einer Pause richtete er sich wieder auf. Lilljehorn hätte seine Stimme beinahe nicht wiedererkannt, als er gefragt wurde, ob man sich unter allen Umständen auf seine, Lilljehorns Truppen, verlassen könne. Der Ton war geschäftsmäßig. Lilljehorn bejahte und verstand in dem Augenblick, dass in dieser Szene nur das eine Wörtchen »ja« für ihn vorgesehen war. Eine lässige Handbewegung, und Lilljehorn konnte abtreten.
Tagebuch des Ersten Kammerherrn Hans von Essen
Ich bemühe mich, die Ereignisse dieses denkwürdigen Dienstags noch vor Mitternacht zu Papier zu bringen. Denn dieser Tag wird mir für alle Zeiten heilig sein. Diese Zeilen, geschrieben am Tag meines Glücks, sind Unterpfand meiner gegenwärtigen und künftigen Seligkeit. Wie immer hielt heute die königliche Familie Hof mit offener Tafel. Das Tauwetter stimmte uns alle heiter, ja nachsichtig. Im Weißen Saal herrschte eine gelöste Freude, zumindest beim Dessert lachte man wieder, was seit dem Russlandkrieg kaum mehr geschehen war. Ich hätte eine Vorahnung haben können, als Seine Majestät zu scherzen beliebte und Lilljehorn mit dem Kommando der Saalwache betraute – ausgerechnet Lilljehorn. XXX hat mir geflüstert, der Oberstleutnant sei mit Pechlin in einer abenteuerlichen Schenke gesehen worden. Dort sei er Carlotta de Geer zu nahegekommen und in Liebe entbrannt wie ein Studiosus in Uppsala. Meine Einwände schob Gustav beiseite: »Die ganze Welt ist Bühne«, sagte er, »wir werden sehen, ob unsere kleine Szene in einer Komödie endet.«
Ich war beauftragt, Lilljehorn zu empfangen und einzuweisen. Beinahe tat er mir leid, der arme Kerl. So stocksteif stand er da, das galante Abenteuer mit Carlotta muss ihm doch sehr zugesetzt haben. Dann kam mein Part, den man mir verschwiegen hatte. Gleich nach dem senilen Rektor der Universität von Uppsala, der verstohlen einige Törtchen in seinen fleckigen Talar gesteckt hatte und nicht wusste, wie er sich ohne großes Malheur verbeugen sollte, winkte mich der König zu sich. Ich dachte an einen Auftrag für die Tafelmusik, aber nun sprach er den Satz, der aus dem Stück und der Zeit herausfiel und mich in die Sphäre des himmlischen Elysium hob: »Lieber Essen, der ganze Hof wartet darauf, dass Sie Ihre Ehe mit Frau Carlotta de Geer bekanntgeben.«
Von Dankbarkeit übermannt, sank ich auf die Knie und küsste unserem Wohltäter die Hände. Ich versuchte mich zu sammeln, erhob mich, um mich herum tanzte der Widerschein der Kerzen und Diamanten. Ohne zu denken, durchschritt ich den Saal, ich weiß nicht, wie oft. Endlich stand ich vor Carlotta. Sie, die meinen zahlreichen Briefen nie die Hoffnung genommen, aber auch nie Hoffnungen gemacht hatte, streckte mir die Hand entgegen. Ich wusste, dass sie wusste: »Teure Freundin«, begann ich, aber sie unterbrach.
»Schweigen Sie, wir haben noch viel zu reden, ein ganzes gemeinsames Leben lang.«
Später hat man mir berichtet, Graf Ribbing habe wutentbrannt die Tafel verlassen – ohne sich vom König zu verabschieden. Die Regie Seiner Majestät stimmte wie immer, ein zorniger Liebhaber gehört einfach dazu, besonders einer aus dem alten Adel. Den weiteren Dienst tat ich, so gut ich konnte. Von Lilljehorn geht keine Gefahr aus. Der König bat ihn sogar an seinen Tisch. Dort saß er wie ein Rekrut, vermutlich glücklich über die Taler für sein bescheidenes Büchlein. Am Ende des Abends lobte ihn der König: »An der alten Treue des Lilljehorn uns gegenüber besteht kein Zweifel, ein Schwede und echter Patriot. Sorgen Sie dafür, dass er nichts Unbedachtes tut, es wäre sehr schade!« Doch meine Gedanken waren schon bei ihr. Mit ihrem Namen soll der Tag und dieser Bericht sein Ende finden – Carlotta.
9
Lilljehorns Schlaf war leicht gewesen. Das Schnarchen seines Burschen Fritz, dessen Bett von seinem nur durch einen Paravent abgetrennt war, ließ ihn immer wieder hochfahren. Wovon der wohl träumte, träumte er überhaupt? Er mochte Fritz, weil er mit ihm Deutsch