Mamsell an Polizeiminister Sivers
Herr Minister, die Orakel verheißen nichts Gutes. Gestern waren zwar nur unbedeutende Gäste zu meiner Séance geladen, aber im Kaffeesud erkannte ich den Schrei aus einem offenen Mund. Man beginnt schon über unheilvolle Vorzeichen zu sprechen. Sie glauben, ich fantasiere, aber ich hätte Ihnen nicht geschrieben, wenn ich nicht auch Nachrichten erhalten hätte, wie sie beunruhigender nicht sein könnten.
Ohne Annoncen in den Stockholmer Zeitungen fand in der Schenke des Frederik Fagerberg im Solnaer Forst eine Art Ball statt, für den man sogar Monvel als Tanzmeister engagiert hatte. Mein Informant erklärt nun, alle Gäste seien am besagten Abend incognito erschienen, harmlose Bürger auf den ersten Blick, tatsächlich aber einflussreiche Mitglieder des Reichstags. Irgendwann geriet das Fest außer Kontrolle. Oberstleutnant Lilljehorn kam offensichtlich Madame de Geer zu nahe, vielleicht von ihrem Auftreten als deutsches Liebchen entflammt. Sie jedoch zeigte ihm die kalte Schulter und verbrachte die Nacht mit Graf Ribbing. Danach grölte ein betrunkener Schauspieler aus Monvels Truppe jakobinische Parolen, er wurde von Monvel geohrfeigt, der Tanz ging vorzeitig zu Ende.
Über die Gespräche selbst hat mein Informant nichts in Erfahrung gebracht. Nur so viel: General Pechlin, die beiden Grafen Horn, Ribbing und Baron Bjelke steckten andauernd ihre Köpfe zusammen. Mein Informant fürchtet, enttarnt zu werden, ich soll ihn abziehen. Mittlerweile hat er vom Schicksal des Wagenknechts erfahren, er ist in Sorge. Es wird immer schwieriger, verlässliche Leute einzuschleusen. Ich selbst fühle mich beobachtet, aber ich kenne Wege, die niemand geht. Meine inständige Bitte: Sorgen Sie dafür, dass der Unteroffizier bei meiner nächsten Séance tatsächlich erscheint. Durch gezielte Indiskretionen sollte es gelingen, die Neugier der feinen Gesellschaft zu wecken. Dort laufen die Fäden zusammen.
Polizeiminister Sivers an Graf Armfelt
Exzellenz, ich bitte Sie, darauf Bedacht zu nehmen, dass trotz der patriotischen Stimmung, die unser edler Landesherr im Theater zu entfachen vermochte, mir meine Fliegen etwas anderes ins Ohr summen. Der Tote im Friedhof von St. Jakobi war Opfer eines gezielten Mordes, der Schlag wurde direkt gegen die Polizei geführt. So viel kann ich Ihnen brieflich mitteilen. Es ist von höchster Bedeutung, auf Ew. Majestät einzuwirken, nur unter dem Schutz meiner Leute in Gesellschaft zu erscheinen. Meine Informanten berichteten von einem Ball im Solnaer Forst, in dem sich führende Mitglieder des Reichstags und jakobinisch gesinnte Schauspieler incognito getroffen haben. Ich kenne die Namen.
Am Hof können wir niemandem mehr wirklich trauen. Möge Exzellenz erwägen, dieses Billett unverzüglich zu vernichten.
Champagner bekommen Sie beim Moskowiten Semjonow. Die Qualität soll sein wie früher.
Mamsell an Seine königliche Hoheit Herzog Carl
Königliche Hoheit, da ich das Vergnügen habe, Sie als Mann von vorurteilsfreier Gesinnung zu kennen, ist es mir eine Ehre, Sie zu meiner nächsten Séance am 3. Januar in meine Wohnung in der Johannesgatan 23 einzuladen. Ihre Anwesenheit als Prinz unseres edlen Hauses wird meine Gäste inspirieren, sich ohne Argwohn den Mächten der Geisterwelt hinzugeben.
Ergebenst Ulrica Arfvidsson
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Plötzlich liebte Oberstleutnant Lilljehorn Carlotta nicht mehr. In der Nacht nach dem Tanz hatte ein warmer Südwind das Eis unter den hölzernen Bogen der Skeppsholmbron gesprengt. Dieser Wind, sanfter Bruder eines fernen Sommers, ließ die Kinder reihum tanzen auf den Gassen und Plätzen der königlichen Stadt. Die Großen verließen ihre Kontore, hoben ihre Blicke von den Rechnungsbüchern, stellten sich breit vor ihre Geschäfte. Ihre Münder standen offen, ihre Gesichter wurden weich und unverstellt wie damals, als sie selbst reihum tanzten.
Am nächsten Morgen tobten Krähenschwärme über den hohen Himmel, da wurde es Lilljehorn ganz leicht ums Herz. Ja, er gehörte einer neuen Zeit. Monvel musste recht haben. Auf dem Himmelsrund zeichneten die schwarzen Vögel ihre Bilder, fuhren dann nach allen Seiten auseinander und trafen sich wieder zu immer neuen Figuren.
Es war Dienstag. Überraschenderweise hatte man das Kommando über die Leibgarde für die große Hofgesellschaft mit öffentlicher Tafel ihm übertragen. Tagsüber studierte er also das Reglement für den wöchentlichen Höhepunkt des königlichen Hoflebens. Er versuchte immer wieder sich einzuprägen, wann er wie viele Schritte von der königlichen Familie entfernt zu stehen hatte. Aber sein Kopf war schwer und leicht zugleich und wollte sich die Ordres nicht merken.
Noch immer johlten die Buben auf den Straßen. Ihn hielt es nicht mehr auf der Kommandantur. Die Kastanienröster aus den Weiten des Ostens, aus Polen, manche aus Odessa, legten ihre mit Wolfspelz besetzten Mäntel ab und drückten aus zahnlosen Mündern lächelnd Kindern heiße Maronen in die Hand. Ein Gruß aus dem Land der Pomeranzen. In der Mannschaftsunterkunft im Parterre fügte sich alles in beste Ordnung, die Epauletten glänzten wie die Gürtelschnallen, und selbst die Befehle der Unteroffiziere hatten einen milderen Klang.
Endlich neigte sich der Nachmittag dem Abend zu. Im Geviert des Schlosshofes lag die letzte Sonne auf den dorischen Kapitellen des Säulenganges. Lilljehorn marschierte mit seinem Detachement zur Prunkstiege, die zum Weißen Saal führte. Kammerherr Hans von Essen empfing ihn auf der obersten Stufe und führte ihn, so wie es auch im Reglement festgehalten war, an die Stirnseite des Saales, wo er direkt hinter der königlichen Tafel Aufstellung bezog. Seine Männer sicherten die Ausgänge. Schon drängten hohe Staatsbeamte, Kavaliere, Hofdamen, Offiziere des Generalstabs und ausländische Diplomaten in den Saal. Der Kammerherr blieb gelassen, wohl auch, weil Armfelts dröhnendes Lachen aus dem dumpfen Brausen des Saales aufstieg.
Dann war da auch Carlotta. Sie wollte sich gerade mit Ribbing an einen Platz an der Längsseite des Saales begeben, als Hans von Essen ihr seinen Arm bot und sie näher an die königliche Tafel führte. Sie saß jetzt zur Rechten des österreichischen Gesandten. Er grüßte sie, sie grüßte ihn und begann dann mit dem Gesandten ihre Konversation. Endlich öffneten sich die Flügeltüren, und es wurde still. Es erschien der König, kleiner als die Königin mit ihren hohen Absätzen. Er hinkte leicht. Wie bei jedem Empfang trug er den mit Brillanten besetzten Seraphimorden, goldene Knöpfe und Spangen und auch den Federhut, den er gewählt hatte, als er auf seiner Barke Amphion in die Schlacht gegen Russland gezogen war. Seine Gefährten würden versichert haben, dass nichts den Glanz seiner Augen übertraf. Nur wenige Schritte trennten Lilljehorn vom Monarchen, als dieser zu den Diplomaten schritt. Hätte Gustav jetzt einige Worte an ihn gerichtet, er wäre zu keiner Antwort fähig gewesen. Aber der König ging vorbei. Nun hielt er Hof und richtete das Wort an jeden Gesandten in dessen Muttersprache. Nur ein Gecke, es musste wohl ein deutscher Junker gewesen sein, den seine Cavalierstour nach Rom geführt hatte, erdreistete sich, dem König auf Italienisch zu antworten. Der setzte sich wie jeden Dienstag an den Spieltisch. Alles drängte sich dicht um ihn. Die Gesichter verschwammen vor Lilljehorn. Er hätte nicht sagen könne, ob auch die Agenten Sivers zur Bedeckung darunter waren.
Die Minuten krochen dahin. Immer wieder ging er das Reglement durch, bei welchen Vorkommnissen er seinen Platz verlassen durfte und musste. Wer war befugt, die Treppe abzuriegeln und Verdächtige zu arretieren? Endlich meldete der Hofmarschall, dass serviert sei. Um die nächsten Plätze beim König entbrannte ein verschwiegener Streit. Reichsrätinnen, Oberhofmeister, jüngere Hofdamen vergaßen ihre Toilette, schon saßen die ersten Perücken schief. Zwischen Spanischer Suppe und Pfau mit Trüffeln winkte der König den einen oder anderen Würdenträger zu einem Gespräch heran. Dabei öffnete sich dem Erwählten eine Gasse durch die Reihen der Gäste. Lilljehorn verstand bloß Wortfetzen. Einer der Erwählten war Hans von Essen. Als der König zwischen dem Gesandten Englands und dem Rektor der Universität Uppsala einige Worte an