Neben der Intention spielt der Kontext eine wichtige Rolle. So spricht Günthner (1997: 229) bei der Redewiedergabe grundsätzlich von einer De- und Rekontextualisierung, da eine zitierte Äusserung jeweils aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgegriffen und in einen neuen Kontext integriert wird, was unweigerlich eine Veränderung des Gesagten mit sich bringt. Und schliesslich erfährt die neu eingebettete Rede auch eine neue Bedeutung durch die Interagierenden, die sich interaktiv dazu positionieren.
In Bezug auf die Beteiligungsrollen heisst das, dass der bzw. die AnimatorIn immer auch das Geäusserte mitverantwortet, sowohl inhaltlich als auch wertend. Um die verschiedenen Beteiligungsrollen innerhalb des Geäusserten zu markieren, verwenden Sprechende u.a. prosodische Verfahren, weshalb auch von einer „Stimmenvielfalt“ oder „Polyphonie“ gesprochen werden kann (Günthner 2002; vgl. auch Kotthoff 2008; Tannen 2007).
In den aufgenommenen Beurteilungsgesprächen sind nicht nur direkte Redewiedergaben interessant, sondern es weisen sich im Besonderen diejenigen Formen der Redewiedergabe als funktional aus, die sich nicht auf tatsächlich Geäussertes, sondern auf imaginierte Aussagen oder Gedanken beziehen. Diese Form der Redewiedergabe wird von Ehmer (2011) erstmals im Detail untersucht und mit dem Begriff animierte Rede eingeführt.4 Es handelt sich dabei um die „Einbettung einer Figur in die eigene Äusserung“ (Ehmer 2011: 63), wobei es sich nicht um reale Vorkommnisse, sondern um mögliche Szenarios oder Zuschreibungen handelt. Es werden also fiktive Dialoge, Monologe oder Gedanken meist fremder Figuren (aber auch der eigenen Figur) von den Sprechenden bzw. AnimatorInnen in der Form direkter Redewiedergabe dargestellt. Diese Äusserungen, Handlungen oder Verhaltensweisen sind fiktiv, da ihnen keine Originaläusserung vorausgeht. Unter einem Szenario verstehe ich gemäss Brünner (2005: 313) „einen verbalen Entwurf einer kontrafaktischen Situation“, wobei sie sich dabei nicht explizit auf die Redewiedergabe bezieht, jedoch die wörtliche Rede als häufiges sprachliches Mittel erwähnt (vgl. Brünner 2005: 323). Szenarios werden von Brünner und Gülich (2002: 81) als eine Form der Veranschaulichung herausgearbeitet, die insbesondere einen verbesserten Adressatenbezug herstellen und somit in direktem Zusammenhang mit dem Recipient Design zu verstehen sind. Veranschaulichung wird als Verfahren verstanden, welches „auf der Annahme bestimmter Schwierigkeiten in der Verständigung [operiert]“ (Brünner & Gülich 2002: 22) und die Hauptfunktion besitzt, dass sich die Gesprächsbeteiligten das Dargestellte besser vorstellen können (vgl. Brünner & Gülich 2002: 78; vgl. auch Beiträge in Birkner & Ehmer 2013).
Eine wichtige Leistung der Redewiedergabe, die auch für die animierte Rede gilt, ist die Involvierung der Beteiligten in das dargestellte Geschehen (vgl. z.B. Brünner 1991: 6; Ehmer 2011: 160). Brünner (1991: 2) spricht metaphorisch von der direkten Redewiedergabe als Fenstertechnik, da eine „kommunikative Handlung in Inhalt und Form vorgeführt, demonstriert“ wird und die Beteiligten am Ereignis teilhaben lässt. Ehmer (2011: 63) spricht von einer „Übernahme der Perspektive der Figur“ (vgl. aber auch Brünner 1991: 2), die sich im Falle animierter Rede in einem mentalen Raum befindet. Da es sich bei der animierten Rede um nicht real geäusserte Rede handelt, öffnen wir also keine „Fenster in die Vergangenheit“, sondern werfen vielmehr einen Blick durch die „Fenster in die Zukunft und in mögliche Welten“ (Brünner 1991: 3). Auch Ehmer (2011: 77) betont, dass man „prinzipiell jedes Ereignis – sei es ein reales vergangenes, ein in der Zukunft antizipiertes oder ein generisches – demonstrieren und dadurch Aspekte des Ereignisses vorführen“ könne.5 Ehmers (2011: 77) Verständnis der animierten Rede als die „Demonstration eines Sprechereignisses bzw. einer Sprechhandlung“, die sich auf eine „Figur in einem mentalen Raum“ bezieht, soll auch im Folgenden als grundlegende Definition verwendet werden. Es wird sich dann bei den Analysen allerdings die Frage stellen, ob diese Definition hinsichtlich der identifizierten Formen nicht zu eng gefasst ist. Zu den bisher in der Forschung dargelegten Formen der animierten Rede fasst Brünner (1991: 3) folgendermassen zusammen: „Imaginierte Äusserungen können als zukünftige, mögliche, gewünschte oder nicht gemachte wiedergegeben werden.“ Und Ehmer (2011: 432) identifiziert in seinen Analysen die Möglichkeit von Sprechenden, „Szenen [zu] imaginieren, die sie für die Zukunft planen, die fiktiv, generisch oder auch negiert sind“. Zu den Funktionen der animierten Rede liegen insbesondere die Ergebnisse von Ehmer (2011) vor, die sich aber, dies im Gegensatz zu den hier besprochenen institutionellen Beurteilungsgesprächen, auf alltagssprachliche Interaktionen beziehen. Er stellt fest, dass die animierte Rede für die Vermittlung von Gefühlen, für Identitätszuschreibungen (auch karikierend und dadurch bewertend) sowie für die Verständnissicherung genutzt wird und dies geschieht in seinem Korpus beispielsweise in humorvollen Sequenzen mit besonders hoher Expressivität (vgl. Ehmer 2011: 434f.). In den folgenden Analysen (vgl. Kap. 7) wird es darum gehen, die Anwendungsbereiche und die Funktionen anhand des Korpus institutioneller Gespräche weiter auszudifferenzieren.
Bislang wurde differenziert, bei wem die Verantwortung einer Äusserung liegen kann und welche Beteiligungsrollen beim zitierenden Sprechen evoziert werden. Eine weitere Differenzierung wird nötig, wenn mehrere Anwesende gemeinsam an Formulierungen oder an Erzählungen beteiligt sind und sich dadurch als kollektive Autorschaft präsentieren. Levinson (1988: 203) spricht in diesem Fall von joint authorship. Wenn vom gemeinsamen Sprechen die Rede ist, lässt sich die ‚Gemeinsamkeit’ unterschiedlich weit oder eng verstehen (vgl. Schwitalla 1993: 72ff.). Geht man von einem sehr weiten Begriff aus, ist jede fokussierte Interaktion charakterisiert durch das gemeinsame Zusammenwirken. Diese allgemeine Definition liegt auch Goodwins (2007: 24f.) Verständnis von Beteiligung und Kooperation zugrunde, wenn er participation definiert als
temporally unfolding process through which separate parties demonstrate to each other their ongoing understanding of the events they are engaged in by building actions that contribute to the further progression of these very same events.
Damit betont er einerseits die prozesshafte Komponente von Beteiligung in der Interaktion. Andererseits wird hier auch schon angetönt, wie grundlegend die gemeinsame Beteiligung ist. Später wird dies noch deutlicher, wenn er schlussfolgert, dass die Analyse von Beteiligungsrollen dadurch vertieft werden kann, wenn wir betrachten „how separate parties build meaning and action in concert with each other through their mutual participation“ (Goodwin 2007: 46).
Gemäss Schwitalla (1993: 74) soll hingegen nur dann von gemeinsamem Sprechen die Rede sein, wenn durch die sprachlichen Aktivitäten Kooperation, Konsens sowie eine positive Einstellung zu Gesprächsteilnehmenden ausgedrückt wird. Dies ist der Fall bei der Ko-Konstruktion von Erzählungen, bei der demonstrativen, redebegleitenden Äusserung von Identifikation mit einer anderen Person sowie beim kollektiven Sprechen (vgl. Schwitalla 1993: 72ff.). Das gemeinsame Sprechen wird dem blossem Miteinandersprechen gegenübergestellt, welches beispielsweise bei kooperativen Sprachhandlungen wie helfenden Formulierungsaktivitäten auftritt, die zwar die Involvierung der Gesprächsteilnehmenden demonstrieren, jedoch nicht eine geteilte Einstellung ausdrücken müssen (vgl. Schwitalla 1993: 74).
Der Ausdruck von Kooperation in der Interaktion wird durch Begriffe wie Ko-Konstruktion und alignment gefasst und ist v.a. in Bezug auf Erzählungen schon vielfach in der Forschung hervorgehoben worden (vgl. z.B. Goodwin 1986; Lerner 1992; Mandelbaum 2013; Stivers 2008). Die redebegleitende Demonstration von Gemeinsamkeit kann sich durch wörtliche Wiederholungen, Vervollständigungen, Ergänzungen, Paraphrasen, prosodische Angleichungen sowie bestätigende Rezeptionssignale äussern (vgl. Kangasharju 1996: 292; Schwitalla 1993: 75ff.).
Insbesondere in Mehrparteieninteraktionen können Gesprächsteilnehmende zu kleineren Gruppen und Koalitionen zusammenfinden und dies auf unterschiedliche Weise sprachlich aufzeigen.6 Bei der Diskussion von Koalitionen ist insbesondere die kollektive Beteiligung (oder das kollektive Sprechen bei Schwitalla) von Interesse, worunter Schwitalla (1993: 83) Gesprächssequenzen fasst,
in denen zwei oder mehr Sprecher ungefähr gleich verteilt, simultan oder nacheinander dieselben Sprechakte (sprachliche Aktivitäten) hervorbringen, die die gleiche Überzeugung, ein gutes Einvernehmen oder gleiche Einstellung und gleiches Gefühl ausdrücken.
Kollektive