Beurteilungsgespräche in der Schule. Vera Mundwiler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vera Mundwiler
Издательство: Bookwire
Серия: Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000140
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Interaktion gehören. So ist bei vielen Gesprächen im öffentlichen Raum die Anwesenheit von nicht-ratifizierten Beteiligten durchaus die Regel (vgl. Goffman 1981: 132). Hingegen kann bei den vorliegenden Daten von schulischen Beurteilungsgesprächen in jedem Fall von offiziellen Gesprächsteilnehmenden gesprochen werden, da die Gespräche in geschlossenen Räumen stattfinden und alle Teilnehmenden auch ratifizierte Beteiligte des Gesprächssettings sind.

      Levinson (1988) hat in Bezug auf Goffmans Beteiligungsrahmen eine wichtige Ergänzung angebracht. So zeigt er, dass die Beteiligungsrollen aufseiten der Rezipierenden (participant roles) in ein sehr viel komplexeres Gefüge einbezogen werden können, nämlich beispielsweise wenn nicht-adressierte Rezipierende der Interaktion die eigentlich gemeinten Adressierten sind (indirect target) (vgl. Levinson 1988: 173, 210ff.). In Beispielen zeigt Levinson (1988: 211f.), dass typischerweise indirekt adressierte Rezipierende unmittelbar auf Äusserungen, die an eine andere Person gerichtet, aber für sie gemeint sind, antworten. Dies wiederum bestätige, dass die Adressierung gelegentlich eine Turnübergabe an die adressierte Person bewirkt. Die Schwierigkeit, die sich bei der Analyse (aber v.a. auch für die Interagierenden selbst) ergibt, ist es, die gemeinten Beteiligungsrollen in der Interaktion zu erkennen. Levinson (1988: 212f.) nennt als Indikatoren u.a. die sequenzielle Umgebung der Äusserung, das Turn Design, Referenzen der dritten Person auf die indirekt adressierte Person oder Blickzuwendungen nach der Äusserung. Hier wird deutlich, dass die Kategorie der ratifizierten Adressierten ungenügend definiert ist, wenn nicht auch die indirekt adressierten Rezipierenden beachtet werden.

      Beteiligungsrollen beim Produzieren von Äusserungen

      Goffman (1981: 145) kritisiert, dass beim Gebrauch des Begriffs SprecherIn meist nicht unterschieden wird, ob beim Sprechen bloss die eigene Stimme geliehen wird oder ob es sich auch um die eigenen Worte und/oder die eigene Position handelt. Vielmehr werden alle drei Rollen in einem Begriff impliziert – eine Vereinfachung, die jedoch nicht grundsätzlich überrasche, da sie häufig auch zutreffe.1 Für einige Fälle des Sprechens sei jedoch eine Differenzierung nötig und so führt Goffman (1981: 144ff.) in der Kategorie des Produktionsformats (production format) die Begriffe AnimatorIn (animator), AutorIn (author) und AuftraggeberIn (principal) ein. Der bzw. die AnimatorIn übernimmt die physische Produktion einer Äusserung und ist in Goffmans Worten eine sounding box oder talking machine (Goffman 1981: 144).2 In Fällen, in denen die geäusserten Worte jedoch inhaltlich und formell von einer weiteren Person zu verantworten sind, trifft die Rolle des Autors bzw. der Autorin zu. Und schliesslich nennt Goffman Situationen, in denen die soziale Verantwortung weder bei der sprechenden, noch bei der formulierenden Person liegt, sondern bei dem bzw. der AuftraggeberIn: „someone whose position is established by the words that are spoken, someone whose beliefs have been told, someone who is committed to what the words say“ (Goffman 1981: 144). Diese Rolle äussere sich beispielsweise dadurch, dass Personen von wir anstatt ich sprechen und dadurch nur als Vertretende einer grösseren Gemeinschaft auftreten, was gerade in institutioneller Kommunikation typisch ist (vgl. z.B. Drew & Heritage 1992a: 30f.; Levinson 1988: 203).

      Diese drei Beteiligungsrollen auf der Produktionsseite können dahingehend verändert werden, dass Sprechende sich selbst oder andere Personen als Figuren in der Rede einbetten können:

      [A]s speaker, we represent ourselves through the offices of a personal pronoun, typically ‚I’, and it is thus a figure – a figure in a statement – that serves as the agent, a protagonist in a described scene, a ‚character’ in an anecdote, someone, after all, who belongs to the world that is spoken about, not the world in which the speaking occurs. (Goffman 1981: 147, Hervorhebung im Original)

      Sprechende können sich selbst in die Rede einbeziehen und dadurch eine eingebettete Figur animieren, was durch Redewiedergabe oder durch metakommunikative Äusserungen (z.B. Ich wollte damit ausdrücken, dass…) erreicht werden kann. Die Figur entspricht in diesem Fall dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn, weshalb auch von zwei AnimatorInnen gesprochen werden kann:

      [T]wo animators can be said to be involved: the one who is physically animating the sounds that are heard, and an embedded animator, a figure in a statement who is present only in a world that is being told about, not in the world in which the current telling takes place. (Goffman 1981: 149)

      Es geht Goffman in dieser ersten Darstellung erst um das Einbetten der eigenen Figur, wenn wir nämlich beim Sprechen auf uns selbst verweisen. Dabei macht er den Unterschied zwischen dem beschriebenen Setting und dem tatsächlichen Setting der Äusserung. Jedoch zeigt Goffman an späterer Stelle, dass der Begriff der eingebetteten Figur nicht nur auf die sprechende Person zutrifft und also eine Figur nicht unbedingt dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn entsprechen muss, sondern auch eingebettete AutorInnen und AuftraggeberInnen möglich sind:

      Following the same argument, one can see that by using second or third person in place of first person we can tell of something someone else said, someone present or absent, someone human or mythical. We can embed an entirely different speaker into our utterance. (Goffman 1981: 149, Hervorhebung im Original)

      Goffman (1981: 128, 151) spricht also von einem Wechsel der Beteiligungsrollen (change in footing), wenn Sprechende durch die Wiedergabe fremder oder eigener Rede (oder Gedanken) Figuren einbetten. Dieser Wechsel zeigt sich insbesondere darin, dass die drei vorgestellten Rollen (AnimatorIn, AutorIn und AuftraggeberIn) nicht mehr durch dieselbe Person ausgeführt werden, sondern teilweise an die Figur übergehen. Wie aus den zitierten Stellen hervorgeht, kann es sich bei der eingebetteten Figur um die eigene Person handeln, um eine andere – anwesende oder abwesende – Person, oder gar um eine fiktive Person.

      Für Levinsons leicht abweichende Aufgliederung der Beteiligungsrollen auf der Produktionsseite – bei ihm production roles genannt – sei auf seine Darstellungen verwiesen (Levinson 1988: 170ff.). Hier möchte ich v.a. auf einen Punkt eingehen, nämlich auf seinen Hinweis, dass sich bei der indirekten Redewiedergabe auch die übermittelnde Person (AnimatorIn bzw. transmitter bei Levinson) an der Ausgestaltung des Gesagten beteiligt und eine Trennung der Rollen folglich schwierig ist. So lässt sich nicht genau unterscheiden, bei wem die inhaltliche (AutorIn bzw. composer bei Levinson) und soziale Verantwortung (AuftraggeberIn bzw. motivator bei Levinson)3 liegt und folglich ist die eingebettete Figur nicht ohne Weiteres als Verantwortende für Form und Inhalt anzusehen (vgl. Levinson 1988: 177). Eine begriffliche Bestimmung kann in solchen Fällen kaum zufriedenstellend vollzogen werden.

      Levinson bezieht seinen Hinweis auf die indirekte Redewiedergabe und vollzieht damit eine gängige Trennung zwischen direkter Redewiedergabe, welche eine wörtliche Übernahme der Originaläusserung meint, und der indirekten Redewiedergabe, welche nur den Inhalt, jedoch nicht die Form des tatsächlich Geäusserten wiedergibt. Dass sich jedoch auch bei der direkten Redewiedergabe keine klare Trennung der Beteiligungsrollen ziehen lässt und Sprechende bei der Realisierung einer direkten Redewiedergabe ebenfalls die Form und auch den Inhalt mitgestalten können, zeigt die jüngere Forschung zur Redewiedergabe (vgl. z.B. Brünner 1991; Ehmer 2011; 2013; Günthner 1997; 1999; 2000a; 2002; 2009; Imo 2009; König 2013; Kotthoff 2005; 2008; Mayes 1990). So bezweifelt beispielsweise Günthner (1997: 229), ob die exakte, wortwörtliche Redewiedergabe überhaupt möglich sei (man bedenke dabei auch die Prosodie, Stimmqualität, Pausen etc.) und betont, dass Faktoren wie Intention, Kontext und lokale Interpretation der Redewiedergabe die Äusserung beeinflussen:

      [D]ie Darstellungsweise der zitierten Rede orientiert sich an den interaktiven Absichten, dem kommunikativen Kontext und der gemeinsamen Interpretationsaushandlung der Interagierenden. (Günthner 1997: 229)

      Die interaktiven Absichten beim Gebrauch der Redewiedergabe können vielfältig sein und finden v.a. in den Arbeiten von Günthner Beachtung. Als eine der wichtigsten Funktionen hebt Günthner (1997; 1999; 2000a; 2002; 2009), aber auch andere AutorInnen (z.B. Bublitz & Bednarek 2006; Ehmer 2011; Kotthoff 2005), die Bewertungsleistung der Redewiedergabe hervor. Die Bewertung kann sich dabei sowohl auf die Person beziehen, die für das Gesagte ursprünglich verantwortlich war, als auch auf die Form oder den Inhalt des Gesagten:

      Evaluation is the central pragmatic