* Hans AlbrechtMoser, Hans Albrecht Moser: Efeu ohne Baum. Gedanken eines Durchschnittsmenschen. Hg. von Friedemann Spicker, FriedemannSpicker. Bochum: Brockmeyer 2009 (dapha-drucke 2)
** Emil Staiger, EmilStaiger (1908–1987), Professor der Germanistik an der Universität Zürich, zu seiner Zeit einer der meistbeachteten deutschsprachigen Literaturwissenschaftler („Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters“, 1939; „Die Kunst der Interpretation”, 1955)
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 19. August 2009 Nr. 61
Sie treiben unverdrossen Ihre dapha-Ausgrabungen*, genießen Marbach und noch nicht aufgehobene Nachlass-Schätze. Das habe ich seit dreißig Jahren nicht mehr getan, wie bedauernswert. Auch Kessel, MartinKessel gehört zu den Aphoristikern, denen ich nie gerecht werden konnte. Dabei besaß ich seinen riesigen Band** (nur Rathenau, WaltherRathenaus „Reflexionen“*** konnten damit konkurrieren, oder?) und habe mich ernsthaft um diesen bemüht. Damals lebte Kessel, MartinKessel noch und in Berlin, und ich frage mich gerade, ob ich ihn vielleicht kannte? Es ist nicht allein die Zeit, die verblasste. Bin ich nicht aber auch selbst die verblasste Zeit und bemüht, mir etwas Schamröte als Farbe ins Gesicht zu treiben?
Wenn Sie also von Indien zurückgekommen sind, werden Sie erfahren, dass zwei umfangreiche Bücher von mir erschienen sind, der Briefband bei Brockmeyer**** und das Hauptwerk „Scheinhellig“ bei Braumüller in Wien. Habe ich Glück, finden Sie darin Frisches.
* Arbeit an Martin Kessel, MartinKessel: „Ein Fragezeichen der Gesellschaft“. Aphorismen. Mit Zeichnungen von Gisbert Tönnis. Hg. und mit einem Nachwort von Friedemann Spicker, FriedemannSpicker. Bochum: Brockmeyer 2012 (dapha-drucke 4)
** Martin Kessel, MartinKessel. Gegengabe. Aphoristisches Kompendium für hellere Köpfe. Darmstadt: Luchterhand 1960
*** Walther Rathenau, WaltherRathenau: Reflexionen. Leipzig: Hirzel 1908
**** Vielzeitig
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 22. September 2009 Nr. 62
Unter den Papieren fand ich einige Zeilen Klaus von Welser, Klaus vonWelsers*, die er als Klappentext für „Einsätze“ verfasste, ich konnte es nicht gebrauchen, nehmen Sie es als Erinnerungsstück und Dank für Ihre lange Beschäftigung mit EB. Er gehört, als einer, der über den Aphorismus nachdachte, zu Ihrer Geschichte.
„Die Einsätze von Benyoëtz sind riskant. Denn die Regeln jenes Sprachspiels, das Aphorismus heißt, fordern, eine Einsicht zu gewinnen oder den Gedanken zu verlieren, den man zu haben meinte. Mit einem Satz ist der Spatz aus der Hand. Und der Reiz des Sprachglücks ist [?], die man nur gegen sich selbst gewinnen kann, und wenn ein Gedanke verspielt wurde, es von der Sprache heimgezahlt bekommt: Nie schien die Taube auf dem Dache schöner. Solches Denken geht nicht auf Nummer sicher, semper crescit aut decrescit. In des Autors Worten: Kein Wort, das bei dir stehen bliebe. Aber die Klage ist unaphoristisch. Der Liebhaber der Sprache muss gerade dort zudringen, wo sie ihm die Verifizierung seines Glaubens vorenthält. Seine Insistenz kann er nur damit rechtfertigen. Dass sie ihm schon öfters, wie unabsichtlich, recht gegeben hat.“
* Siehe Anm. zu Brief Nr. 45
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 22. Oktober 2009 Nr. 63
Ich bekam gestern das Lichtenberg-Jahrbuch 2009*, mit dem ich nicht mehr gerechnet hatte. Ich schreibe Ihnen aus der Bewegtheit der ersten Lektüre, über die ich noch lange nachdenken müsste, denn – sie rührte mich zu Tränen. Warum? Umso näher waren Sie mir mit Ihrem Nachwort.
* EB: Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91–112. Friedemann Spicker: Elazar Benyoëtz und Lichtenberg, Georg ChristophLichtenberg. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 113–116
An IngeborgKaiser, Ingeborg Kaiser, 8. Januar 2010 Nr. 64
Zu Hermann Hakel, HermannHakel* gehört der Brief an die Hakel-Gesellschaft in „Vielzeitig“.** Hast Du Anstoß daran genommen? Kennst Du Hakel, HermannHakel und glaubst Du, ich hätte ihn verzeichnet? Ich frage mich, aus welchem Grund und mit welchem Recht man über Personen herfällt und was damit gewonnen sein könnte. Man gibt seine Eindrücke wieder, sein Urteil ab. Auf wessen Geheiß? Warum soll der Richter der Bessere gewesen sein? Er weiß, was richtig ist. An seiner Richtschnur bleibt er auch hängen. Er spielt seine überlegene Rolle in Schwarz. Er fällt sein Urteil, verhängt die Strafe, ein Vollstrecker, vollschrecklich. Hier habe ich mit der Reflexion begonnen, sie müsste fortgesetzt werden. Ich will weder als noch wie ein Richter gesprochen haben. Ich habe diesen Fragenkomplex mit einem Blick auf Stephan Hermlin, StephanHermlin*** erweitert. Gut möglich, dass ich diese gefälligst gefällten Urteile aus den Tagebüchern streichen werde.
Hessing, JakobHessing****, Professor für deutsche Literatur an der hiesigen Universität, ein zu vielem begabter Mensch, am wenigsten aber zur eigenständigen, feinkarierten Prosa. Seine Studien hingegen haben einen Rang, sie machen auch seine bessere Prosa aus. Er hatte ein Herz für Else Lasker-Schüler, ElseLasker-Schüler, sie nahm seinen Verstand unter ihre Fittiche, Freud, SigmundFreud zerknirschte ihn, gedemütigt ist er Vater geworden – nun sollte er Beschneidungen vornehmen, mit wem sollte er beginnen und zu welchem Ende. Alle seine Antworten fragen danach. Sein Buch über Heine, HeinrichHeine***** ist so gut wie Hessing, JakobHessing.
* Hermann Hakel, HermannHakel (1911–1987), österreich. Lyriker, Prosaist, Herausgeber und Übersetzer
** Vielzeitig, S. 169f.
*** Stephan Hermlin, StephanHermlin (1915–1997), 1936 Emigration nach Palästina, nach 1949 einer der bekanntesten Schriftsteller der DDR, rechtfertigte 1961 den Bau der Berliner Mauer, gehörte 1976 zu den Initiatoren des Protestes prominenter Schriftsteller gegen die Ausweisung WolfBiermann, Wolf Biermanns aus der DDR („Abendlicht“, 1979 und 2015).
**** Jakob Hessing, JakobHessing (geb. 1944), Leiter der germanistischen Abteilung der Universität Jerusalem; vgl. Olivenbäume, S. 41f. et pass.
***** Jakob Hessing, JakobHessing: Der Traum und der Tod. Heinrich Heine, HeinrichHeines Poetik des Scheiterns. Göttingen: Wallstein 2005
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 13. Februar 2010 Nr. 65
Steffens, AndreasSteffens schickte mir mittlerweile sein Buch*, zu dem Ihr Nachwort – auch seitenzahlenmäßig verholfen hat. Ich habe ihm gratuliert, gratuliere nun auch Ihnen. Ich kenne die neue Aphoristik nicht, habe dennoch den Eindruck, dass sie mit Steffens, AndreasSteffens wieder nennenswert geworden ist.
Steffens, AndreasSteffens schrieb mir, er würde gern mein Büchlein „vom Menschen und seiner Ausgesprochenheit“ (in der Festschrift für Sonnemann, UlrichSonnemann, 1992)** herausgeben. Ich zögerte, stimmte einer kleinen, einmaligen Auflage zu. Nun muss er sich entscheiden. Gefallen hat mir, dass er darauf gekommen ist. Aber kennen Sie den Nordpark-Verlag?
* Andreas Steffens, AndreasSteffens: Petits fours. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker, FriedemannSpicker. Wuppertal: NordPark 2009
** Siehe Anm. zu Brief Nr. 28
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 28. April 2010 Nr. 66
Günther, JoachimGünther* – gut, und bitte, um ihn kämpfen. Es ist ein Gebot des Anstands, nicht nachzugeben.
Geben Sie nach, verfälschen Sie das wichtigste „Für“. Günther, JoachimGünther verstand so viel und so gut er verstehen konnte, und doch war es auch das wichtigste, gediegenste Verstehen: ein anderes – und darauf kommt es an – hatte es nicht gegeben. Schon allein, dass er den NDH** einen aphoristischen Anstrich gab, ist viel und wäre genug, um ihn in diesem geschichtlichen Zusammenhang zu würdigen. In dieser Zeitschrift, wie in keiner anderen der Nachkriegszeit, die lange auf dem Plan blieb, bekam der Aphorismus ein Gewicht. Man hatte ihn vielleicht nicht gesucht, wollte ihn aber finden. Er stand immer da – und nicht auf einem anderen Blatt. Er gehörte ganz natürlich zur Sache Literatur. So wollte Günther, JoachimGünther es gesehen haben. Das machte leider keine Geschichte, gehört aber zur Geschichte