Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elazar Benyoëtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001093
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des Aphorismus im 20. Jahrhundert. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 104, 2012, S. 527–553. Mit einer Bibliographie auch der Rezensionen Günthers zum Aphorismus in den „Neuen deutschen Heften“; Vielzeitig, S. 284, 289 et. pass.

      ** Neue deutsche Hefte. Hg. von Joachim Günther, JoachimGünther (1905–1990)

      An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 17. Oktober 2010 Nr. 67

      Im Ganzen bietet die Anthologie* wieder eine gute Gelegenheit, über das Phänomen „Auswahl“ nachzudenken. Manchem Aphoristiker haben Sie gut aus der Fülle herausgeholfen, bei anderen erscheint mir Ihre Hilfsbereitschaft zu groß (bei Michael Rumpf, MichaelRumpf** etwa). Besonders danken möchte ich Ihnen dafür, dass Sie mir zeigen, wie gut Gabriel Laub, GabrielLaub und wie schlecht Hans Kudszus, HansKudszus*** doch sein können. Joachim Günther, JoachimGünther ist makellos; er erscheint hier im schönsten Licht seiner Denkart. Da ist Ihnen ein Porträt gelungen. Ich habe ihn gesehen und gehört und empfand so etwas wie Sehnsucht.

      * Friedemann Spicker, FriedemannSpicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695)

      ** Michael Rumpf, MichaelRumpf (geb. 1948), Lyriker, Aphoristiker, Essayist

      *** Hans Kudszus, HansKudszus (1901–1977), Journalist, Essayist, Aphoristiker in Berlin

      An Harald Weinrich, HaraldWeinrich, 3. Mai 2011 Nr. 68

      Zweimal die traurige Pflicht, beide Mal ging sie mir zu Herzen: Walter Helmut Fritz, Walter HelmutFritz, mit dem ich seit 1961 auf unauffällige Weise verbunden war*, und Friedhelm Kemp, FriedhelmKemp**, mit dem Du lange und intensiv verbunden gewesen bist. Für W. H. Fritz, Walter HelmutFritz habe ich keine Adresse, ich vermisse sie, für Kemp, FriedhelmKemp, so fühle ich, müsste und könnte ich Dir kondolieren. Du hast oft von und für ihn gesprochen, immer mit Sympathie und gebührendem Respekt. Als wir uns das letzte Mal sahen, hast Du mir noch seine Integrität in der Nazizeit bestätigt.

      Lieber Harald, Dein Freund, ein wichtiger Teil Deines „München“, ist nun von Dir weggegangen, ein ziemliches Stück von Dir, weil auch „romanistisch“ erheblich – und überhaupt: wie viele Kemp, FriedhelmKemps gibt es in einer Generation? Vor Jahren sagte ich Dir, man müsste ihm ein Denkmal setzen, so hoch schätzte ich ihn: als Lektor, Editor, Übersetzer, als Leser, auch als Sammler. Er hatte ja „alles“, und hatte ich, was er nicht hatte, zum Beispiel Däubler, TheodorDäubler, TheodorDäublers „Nordlicht“ in der Florentiner Ausgabe, dann war sie gewiss „nicht bedeutend“ genug, um sie besitzen zu müssen (immerhin 600 Exemplare …).

      Jetzt teile ich mit Dir die Trauer um ihn, der hoch in die Jahre kam, ein großer Liebhaber der Poesie, ein Nichtautor, der seine Mitstreiter (Hohoff, CurtHohoff*** und Holthusen, Hans EgonHolthusen****) um vieles, in vielem überlebte. Er hat nicht gedichtet, nur geleistet, und es war Poesie, ohne Dichtung zu sein. Das ist das Phänomen Friedhelm Kemp, FriedhelmKemp.

      Friedhelm Kemp, FriedhelmKemp, ich fühlte diesen Namen immer bedeutend über meine Lippen gehen. Ich weiß nicht, ob er zum Lieben war, ich habe es vielleicht versucht, aber zu großem Erfolge habe ichs mit ihm ohnehin nicht bringen können, er hatte allerlei gegen mich einzuwenden – bei einer gewissen Achtung, die er sich nicht verkneifen konnte. Ich werde ihn vermissen, so wenig ich von ihm auch hatte. Das muss ich Dir sagen – und schreiben, denn Du hattest nicht wenig von ihm. Meine Korrespondenz mit Kemp, FriedhelmKemp erstreckte sich über dreißig Jahre (1960–1990) und war eher dürftig, weil nur meinerseits erwartungsvoll, hier ein Beispiel:

      Jerusalem, den 30.8.1990

      Lieber Herr Kemp, FriedhelmKemp,

      Dank für Ihren Brief und für Ihre Bereitschaft, mein Experiment zu betrachten. Es erfordert Kritik, ist sie hoffentlich auch wert. Ich denke: Wäre ich meiner Sache sicher, ich suchte Ihre kritische Weite nicht auf. So muss ich mich damit nicht weiter zieren, und Sie brauchen keineswegs zimperlich zu sein. Vor hundert Jahren, am 19. Juli 1890, nach dem Tode Gottfried Keller, GottfriedKellers, schrieb Conrad Ferdinand Meyer, Conrad FerdinandMeyer an Julius Rodenberg, JuliusRodenberg:

      „Obwohl ich mit ihm nicht in nähern Verhältnissen gestanden, geht mir die Sache doch nahe, auch ganz abgesehen von seiner literarischen Größe, wegen seiner innerlichen Liebenswürdigkeit; deshalb würde ich mich gar nicht wundern, wenn in seinem Nachlass etwas Unangenehmes für mich zum Vorschein käme – ich verzeihe es im Voraus.“

      Es ist ein merkwürdiges Wort: „deshalb“ – im Anschluss gerade an die „innerliche Liebenswürdigkeit“. Ihre innere Liebenswürdigkeit, lieber Herr Kemp, FriedhelmKemp, wird deshalb ohne Abstriche fortbestehen, und ich müsste Ihnen, wenn Ihre Lektüre Unangenehmes für mich zeitigt, nicht einmal im Voraus verzeihen. Noch lebe ich und werde mich verteidigen können. Das Beste, was Sie mir bieten können, ist kritischer Widerstand. Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Auf Ihre Kritik, fiele sie sehr hart aus, würde ich vielleicht erwidern mögen, und wenn es dann zwischen uns Funken gibt, darüber freuen wir uns sicher nur.

      Dies freilich gilt ganz und gar nur hinsichtlich „Ihres Verhältnisses zu manchem“, was ich schreibe, das „gelegentlich problematisch ist“, wie Sie sagen; nicht gilt es ganz und gar bezüglich „der Art, wie ich schreibe“. Wäre diese doch nur anfechtbar – ich selbst stehe mit ihr auf Kriegsfuß. Aber „wer spricht von Siegen …“, und wenn auch Sie meine Art angreifen wollten, was wäre damit gewonnen? Es sei denn, Sie wollen mir eine bessere vorspielen oder vorschreiben, die ich mir so gut aneignen könnte, dass aus ihr wiederum ein Werk hervorginge, darin ich mich, den Anfechtbaren, erkennen kann. Ich würde darum vorschlagen, dass Sie alles, was Ihnen an meiner Art missfällt, ohne Rücksicht rot oder dick im Manuskript streichen. Ich werde es schon verstehen und sehen, was mir zu verantworten bleibt. Eitelkeit ist in diesem Manuskript zum Stilprinzip erhoben, das Zitat auf seine Spitze getrieben; dass „ein Wort das andere gibt“, ist das Auffallendste, wenn auch als der Weisheit letzter Schluss nicht ohne weiteres erkennbar.

      * Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen); vgl. EB: Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 39

      ** Friedhelm Kemp, FriedhelmKemp (1914–2011), Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Übersetzer; Vielzeitig, S. 16

      *** Curt Hohoff, CurtHohoff (1913–2010), Literaturkritiker und Essayist

      **** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 54

      An Werner Helmich, WernerHelmich, 6. November 2011 Nr. 69

      Ich habe etwas Absurdes, wohl auch Sträfliches unternommen, ob Sie bereit wären, darüber kurz nachzudenken, mir ein Wort zu sagen? Vermochte ich eine echte Stimmung zu erzeugen? Lassen sich beide Stücke zusammendenken (muss nicht sein)? Weil Sie es unbefangen (und ohne Rücksicht auf mich) lesen sollen, erfahren Sie von mir nichts Näheres, aber dann!

       Wieder auf dem Wüstenpfade

       reitet der Jahrtausendgeist

      Wenn sich der Pfad vor deinem Fliehen engt,

      wenn sich der Pass vor deinen Augen schließt,

      welch ein Weg beginnt vor deinen Füßen!

      Gen Abend liegt das Totenreich im Meer,

      dort hausen Tote ganz im Schein des Lebens.

      Abgründlich droben tut sich sternlos auf

      nordlichterhelltes Nichts.

      Wer durfte wandeln Dich zur Aschensaat?

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      Wer sagts dir an, was du gesehn? Kein König

      kann seine Träume deuten, wie sie auch

      ihn siebennächtlich quälen. Er muss doch

      den jungen Seher rufen, der allein

      die Magier beschämt. Horchen muss er

      der grausen Deutung und den Deuter töten,

      auf dass sie sich erfüllt. Wer herrscht, erblindet.

      wer