Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elazar Benyoëtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001093
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wohl auch, weil ich Fälschung betreibe. Ich kann nichts unverändert lassen, Berühren heißt schon Verändern. Für mich ist alles Dichtung, und Dichtung – ein reißender, mitreißender Strom. Ich nenne es so, man kann es auch anders nennen, gut anders. Ich verlasse aber nie Boden und Himmel der Poesie, ich sage nicht Land, ich sehe nicht Land. Wie reagiert die Dichtung, wenn sie poetisch bleiben will, da alles Poetische verpönt ist? Ich will Zeitgenosse aller Zeiten sein – aber nicht „Zeitgenosse“. Ich muss viel experimentieren, abweichen, ausweichen, vornehmlich in diesem Sinn. Alles Deutsch-Jüdische, das ich für mein Teil mit „Treffpunkt Scheideweg“ erledigt zu haben meinte, ist nicht in allen möglichen Formen erledigt. Doch wollte ich nicht mehr gesagt haben. Also lasse ich andere sagen, wie Gott Bileam sagen ließ. Doch bin ich nicht Gott und will diese Rolle nicht spielen, nur vertreten, ja sogar verantworten: Ich lege kein Wort von mir in den Mund Bertram, ErnstBertrams – es sind alles seine Worte, von mir ausgesucht, zusammengebunden – und ihm wieder auf die Zunge gelegt.

      Das alles sage ich jenseits des Gelingens, auch bleibt meine Intention nicht eindeutig.

      Warum Bertram, ErnstBertram? Nicht nur der AnregungWolfskehl, Karl Wolfskehls folgend. „Treffpunkt Scheideweg“ war grundlegend, für mich selbst bahnbrechend. Zu den schwersten Aufgaben damals gehörte das Prüfen der Namen – auf Herz und Nieren. Den Boden der Poesie nie verlassend, musste ich mich, bei aller Poesie, der Geschichte stellen. Das tat ich zitatweise, die Zitate, an Namen gekettet, mussten gesichtvoll werden. So bekam ich die Gesichter zu sehen, viele Namen sind dabei hinfällig geworden. Manche Namen habe ich mir verbieten müssen (die Berühmten meide ich aus anderen Gründen). Kommen sie vor, hat sie die Not, habe nicht ich sie gerufen. Nun nehme ich mit den kommenden Büchern Abschied – wie es sein soll, nicht wie es sein muss. Mein Gefühl, das mit „Treffpunkt Scheideweg“ nicht erledigte, sagte mir – laut wurde es gegen Ende der „Olivenbäume“ –, dass ich den ausgeschlossenen Todfeind wieder einschließen müsste, sonst ginge meine Rechnung (Poesie und Leben in einem) nicht auf. Wieder geprüft, Rang und Schattierung in Rechnung gebracht, steht er nun in meinem letzten Buch, mit Namen: Gottfried Benn, GottfriedBenn, Ernst Bertram, ErnstBertram, Carl Schmitt, CarlSchmitt. „Falsche Versöhnung streitet wider Gott“, sagt Bertram, ErnstBertram, ich treibe keine falsche Versöhnung, aber ich besinne mich auf die Rolle des Todfeindes in meinem gelebten Leben, mit dem ich mich versöhnen soll.

      Ich wollte Ihnen eine Ahnung vom Umkreis des bei mir Gedachten geben, ich habe wenig gesagt, mehr angedeutet, wir werden darüber weiter sprechen, jedenfalls Sie bei sich und ich bei mir.

      Einiges davon sehen Sie klarer, wenn Sie das Buch bekommen haben, meine Methode geht über Bertram, ErnstBertram hinaus, sie betrifft z.B. auch Mombert, AlfredMombert, der am Anfang des Buches steht (hebräisch erstreckt sie sich über die Psalmen). Ich destilliere Gedichte auch aus nüchterner Prosa. Ich meine: Die Toten werden nie die Toten begraben, das tun die Lebenden, die den Tod auch feststellen müssen. Ich gehe suchend und lauschend über Leichenfelder.

      Was ich Ihnen hier „verrate“, werden Forscher erst in Jahren herausfinden, nicht nur, weil Bequemlichkeit und blinder Glaube sie daran hinderten. Ja, wer wollte mir eine Unredlichkeit unterstellen. Doch jenseits von Moral und Rhetorik hat Poesie ihre bestimmte Unredlichkeit. Also gäbe es bei mir viel zu prüfen, zu vergleichen, zusammenzudenken und auseinanderzuhalten – dem Zitieren neue Dimensionen erschließend.

      Zeilen zeugen gegen ihren Erzeuger, im gleichen, vertrauten, unverwechselbaren Ton, echt, nicht nachgeahmt – das Parodistische ausschließend, eine Willkür zum Vorschein bringend. Eine Grenze gebe ich zu: Mit Lebenden lässt sich das nicht machen, sie bleiben – und nicht nur urheberrechtlich – geschützt und unantastbar. So muss es sein, mit der Vergangenheit aber doch auch anders werden, sonst bleibt die Poesie um diese Möglichkeit verkürzt. Was bei mir steht, soll bei mir nicht stehen bleiben, es mache jeder daraus sein Bestes.

      * Friedemann Spicker, FriedemannSpicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 320–328, 454–456

      ** Ernst Bertram, ErnstBertram: Nietzsche, FriedrichNietzsche. Versuch einer Mythologie. Berlin: Bondi 1918

      Von Werner Helmich, WernerHelmich, 9. November 2011 Nr. 73

      Also: Eine Überraschung war es schon für mich. Ich hatte beide Texte für (parodistische? da war ich mir nicht sicher) Rollenlyrik aus Ihrer Feder gehalten, ohne den Anlasstext zu kennen; nehmen Sie es als Bestätigung, dass Sie im zweiten den Ton des ersten, fremden getroffen haben. Dann habe ich erst einmal die Bileam-Erzählung* nachgelesen, um Ihre Bedenken überhaupt zu verstehen. Dann werde ich noch einmal „Treffpunkt Scheideweg“ lesen, um zu ahnen, wo Sie jetzt weitermachen. Das Verfahren ist gut und notwendig (für Sie und für die Schmachgeschichte der deutschen Literatur), aber: Wie hermetisch wollen Sie es halten? Wenn Sie Bertram, ErnstBertram, Mombert, AlfredMombert (und Wolfskehl, KarlWolfskehl) nur in Ihrem eigenen Zitatentext (einem Cento, so nennt man wohl in der älteren Tradition diese Form) durchklingen lassen, also ohne direktere Entschlüsselungshilfe, bin ich nicht sicher, dass die Germanistik je draufkommt – was aber auch nicht viel ausmacht: Der kluge Leser riecht da vielleicht etwas von einem zweiten Text, der darunter verborgen ist (Palimpsest sagt man heute gern metaphorisch), auch ohne ihn punktuell zu kennen. Andererseits, und das ist viel wichtiger: Soll denn des Bertram, ErnstBertram-Texts als solchen überhaupt gedacht werden? Da kommt eben alles darauf an, wieweit sich ein Zitate-Cento, ohne ein eigenes Wort einzufügen, selbst decouvriert. Spielen Sie weiter, mit allem Ernst, der dazugehört. Mehr Brosamen als diese Ermunterung habe ich nicht, brauchen Sie auch gar nicht.

      * 4 MosesMoses 22–24

      An Werner Helmich, WernerHelmich, 9. November 2011 Nr. 74

      Ein Wort (mehr) zu Recht – kein Wort zuviel? Es ist ein quasi wissenschaftliches Buch, und dass es leicht verwirre, gehört zum Programm. Engen wir die Wissenschaft auch ein, wäre denkbar – für mich auch dankenswert, dass ein gediegener Germanist sich vor den Kopf gestoßen fühlte oder sich kundig machte. Wolfskehl, KarlWolfskehl trommelt auf Bertram, ErnstBertram herum, das ist nicht zu überhören, doch bleibt Bertram, ErnstBertram nicht stumm, was sagt er? Er sagt, was man nicht vermuten oder gar erwarten würde.

      Das ist zu wenig, mag sein. In einem Werk, das auf Andeutungen gründet und der Winke voll ist, muss es genügen. Ich habe nichts zu sagen, ich stehe hinter meinem Wort, auch wenn es Bertram, ErnstBertram heißt. Einzig die Sprache und die Namen haben das Wort. Erklärungen stünden diesem Verständnis im Wege. Man wird sich Rat wissen oder gleichgültig daran vorbeigehen. Indes hatte Wolfskehl, KarlWolfskehl das Wort, das in meinem Olivenhain weder zum Sang noch zum Klang gekommen ist. Wolfskehl, KarlWolfskehl, ein sich ebenfalls stolz germanisierender Dichter, steht für den weitesten Weg: von Palästina – über Rom und Rhein – bis Neuseeland. Mir liegt der Prachtband, in Halbpergament, vor: „Älteste deutsche Dichtungen. Übersetzt und herausgegeben von Karl Wolfskehl, KarlWolfskehl und Friedrich von der Leyen, Friedrich von derLeyen. Im Insel Verlag Leipzig 1909“. Ich habe es für die „Sandkronen“ verwendet. Die Namen, dynamisch zu nehmen.

      Nehmen Sie das Glatteis südlich, die Sonne bringt Vertrauen und Zuneigung an den Tag, etwas Spiel gehört ja auch dazu. Es ist nicht alles Bärenernst, nicht alles beerenstachlig.

      An Werner Helmich, WernerHelmich, 23. November 2011 Nr. 75

      Großen Gebärden „in eigener Sache“ misstrauend – bei Nicolás Gómez Dávila, NicolásGómez Dávila wie bei mir, glaube ich nicht, dass seine Behauptung fruchten könnte: „Das Fragment umfasst mehr als das System“.

      Es ist mehr Aufsicht denn Einsicht. Aber – dies meine Frage – ist mit „umfassen“ die richtige Bewegung übertragen? Das Fragment ist zwar kein Torso, doch sehe ich „es“ nicht mit ausgestreckten Armen, um-fassend. Umfassen, umfassend sein, ist gerade der Wunsch des „Systems“ (des Systematikers).

      Von Werner Helmich, WernerHelmich, 28. November 2011 Nr. 76

      Ich teile Ihre Bedenken bei „umfassen“, habe aber auch keine Lösung parat. „Intueri“ würde man im Lateinischen wohl sagen, das gehört zum Bildbereich des Schauens und der plötzlichen Einsicht, also mit einem Blick, punktuell das Wesentliche